Früher war es leichter, ihn zu würdigen. Denn Woody Allen hat mit Dutzenden Regiearbeiten längst Filmgeschichte geschrieben. Viele Jahre kam beinahe jedes Jahr ein neuer Film von ihm ins Kino und fand regelmäßig viele Zuschauer. Auch Oscar-Auszeichnungen bestätigen seinen Rang. Doch da sind und waren auch die Missbrauchsvorwürfe seiner Adoptivtochter, die im Zuge der „MeToo“-Bewegung mehr und mehr in den Vordergrund rückten. Auf seinen 85. Geburtstag, den der überzeugte New Yorker am 1. Dezember begeht, werfen die von ihm zurückgewiesenen Anschuldigungen einen Schatten. Zahlreiche Filmschaffende haben sich inzwischen von Woody Allen distanziert.
Er habe nur eine Angst, nämlich die vor einer Schreibblockade, hat der Regisseur, der auch sein eigener Drehbuchautor ist, einmal gesagt. Und kürzlich schrieb er in seiner Autobiografie, sein Bild in der Öffentlichkeit sei ihm schlicht gleichgültig. Ob man das wirklich glauben kann? Mit viel weniger Zweifeln lässt sich sein künstlerischer Rang bestätigen. Filme wie „Der Stadtneurotiker“, „Manhattan“, „Hannah und ihre Schwestern“ oder später „Vicky Cristina Barcelona“ und „Blue Jasmine“ hat er realisiert; zumindest die drei erstgenannten können längst als Klassiker gelten. Zuletzt lief von ihm „A Rainy Day in New York“ im Kino, fand aber längst nicht mehr die Aufmerksamkeit, die für Woody Allen früher selbstverständlich war.
Geboren wurde der Regisseur als Allan Stewart Konigsberg und Sohn einer jüdischen Familie im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Schon als Kind sei er das gewesen, was später die oft von ihm selbst gespielten Hauptfiguren seiner Filme charakterisierte: ängstlich, nervös und neurotisch. Er soll oft die Schule geschwänzt haben und stattdessen ins Kino gegangen sein.
Als Comedian und Witze-Schreiber schaffte der Mann mit der markanten schwarzen Brille den Sprung in die Entertainment-Branche. Ende der 1960er Jahre kam er schließlich zum Film. Die 70er Jahre machten ihn, der Ingmar Bergman als großes Vorbild nennt, zum Star – mit Filmen wie vor allem „Der Stadtneurotiker“ und „Manhattan“. 1978 gewann Allen seine ersten beiden Oscars, zwei weitere und 20 Nominierungen folgten. Der Eigenbrötler hat bis heute an nur einer Oscar-Gala teilgenommen. 2002, wenige Monate nach den Terroranschlägen des 11. September 2001, wurde er als Botschafter seiner Heimatstadt auf die Bühne gebeten.
In die Schlagzeilen der Klatschpresse geriert er durch die Ehe mit der Schauspielerin Mia Farrow – und erst recht durch den späteren Scheidungskrieg mit ihr. Woody Allen, der heute mit Farrows Adoptivtochter Soon-Yi Previn verheiratet ist, soll die gemeinsame Adoptivtochter Dylan missbraucht haben – das behaupteten Farrow und später auch Dylan Allen selbst. Woody Allen hat dies aber stets zurückgewiesen.
Melancholische Noten
New York ist Allen bis heute treu geblieben. Der Regisseur lebt auf der noblen Upper East Side, wo man ihn zuweilen über die Park Avenue schlendern sieht – und wo er vor der Corona-Pandemie noch regelmäßig in einer Hotel-Bar Klarinette spielte. Nostalgische und melancholische Noten haben seine Filme oft gehabt. Dazu passt Woody Allens Abneigung gegen technische Neuerungen. Einen Computer habe er nicht, und Streaming sei ebenfalls nicht seine Sache, hat er gesagt. (mit dpa)
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