Interview zu Banksy (mit Fotostrecke)

Spezialist spricht über die Banksy-A(u)ktion

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Zum Ersten, zum Zweiten, geschreddert: Banksy-Bild „Girl with Balloon“ bei der Sotheby’s-Versteigerung. © Banksy/Museum Frieder Burda

Es war ein Moment zum Luftanhalten im Oktober 2018. Kaum war der Druck des Street Art-Künstlers Banksy „Girl with Balloon“ für fast 1,2 Millionen Euro versteigert worden, setzte sich im Londoner Auktionshaus Sotheby's vor den Augen der Teilnehmenden ein im Rahmen versteckter Schredder in Gang und zerschnitt das Bild - zumindest fast. Etwa ein Drittel des Werks blieb verschont, und das Ergebnis dieser Banksy-Aktion ist ab kommenden Dienstag im Museum Frieder Burda Baden-Baden zu sehen - ein Gespräch mit dem Heidelberger Banksy-Spezialisten Ulrich Blanché.

Herr Blanché, Sie gelten als Banksy-Spezialist. Kennen Sie den Künstler, den keiner kennt, im Geheimen doch persönlich und mussten ein Schweigegelübde ablegen?

Ulrich Blanché: Nein, obwohl ich mich seit zwölf Jahren mit ihm beschäftige. Ich sehe mich als Kunsthistoriker, nicht als Künstlerhistoriker. Die Person ist für mich weniger wichtig als das Werk.

Aber die so genannte werkimmanente Interpretation ist doch etwas aus der Mode gekommen…

Blanché: Ja, aber in dem Fall ist es ja durch den Künstler und seine Anonymität diktiert. Man weiß ja nur ein paar Sachen über ihn. Das integriere ich schon, auch Interviews, in denen er Aussagen trifft. Aber ich arbeite mehr aus dem Werk heraus.

Und da spricht man zurzeit vor allem über das spektakulär bei Sotheby's geschredderte „Mädchen mit Luftballon“. Was ist eigentlich von einem Menschen zu halten, der den Kunstbetrieb hinters Licht führt und gleichzeitig von ihm profitiert?

Blanché: Sowohl der Mensch als auch der Künstler Banksy braucht den Kunstmarkt nicht. Und er braucht auch die Institutionen nicht. Das Einzige, was er braucht, ist eine Öffentlichkeit, die er übers Internet bekommt und die sehr groß ist. Sie ist auch größer als die Wirkmacht eines Gerhard Richter…

… laut Kunstkompass der wichtigste lebende Künstler der Welt.

Blanché: Genau, aber das ganze Institutionelle lehnt Banksy ab. Er verachtet es bis zu einem gewissen Grad. Er spielt es aber gleichzeitig auch mit. Eine schillernde Angelegenheit.

Und wenn er jetzt in Baden-Baden im Museum hängt, dann ist das doch paradox und gewissermaßen das Ende seiner Street Art.

Blanché: Stimmt, man muss in diesem Fall aber auch anschauen: Was wollte er eigentlich? Sein Ziel war ja, dass das Bild im Papierkorb landet, worauf ja der Titel „Love is in the Bin“ (Liebe ist in der Mülltonne, d. Red) anspielt. Offenbar wurde es aufgrund eines technischen Defekts nicht ganz geschreddert. Und wenn das verkauft ist, dann hat er ja keinen Einfluss mehr darauf, wenn es jemand ins Museum stellt. Es ist die Frage, inwieweit man das ihm anlasten kann.

Aber das - illegale - Genre Street Art bringt doch mit sich, dass die Kunst nicht langfristig konserviert wird. Warum dann die Versteigerung?

Blanché: In dem Fall ging es ihm um die Performance und die Geste. Er wollte weltweit vorführen, wie aufgeblasen dieser Markt ist und wie unnötig gerade das Besitzen von Objekten ist. Er sagt: Kunst ist etwas für die Öffentlichkeit. Kunst ist nicht etwas, was ein Millionär sich daheim aufhängt - und keiner darf es mehr sehen. Deswegen kann man es auch jederzeit schreddern.

Ist das, was man unter der Demokratisierung der Kunst versteht?

Blanché: Ich sehe das so, ja. Banksy sagt sich: Ich brauche nur 35 Sekunden, um ein Werk zu sprühen. Menschen im Museum schauen die Sachen statistisch auch nicht länger an. Warum soll das alles also länger dauern? Warum sollte man dem so einen großen Wert beimessen? Sein Prinzip ist: Wenn es Ihnen nicht gefällt, dann malen Sie doch etwas drüber!

Albrecht Dürer gilt als erster Künstler mit systematischem Marketing. Wäre er begeistert gewesen?

Blanché: Ja, Banksy ist ein Künstler, der einen relativ altmodischen Kunstbegriff hat. Bei ihm geht es stark um handwerkliche Fähigkeiten. Das ist nicht nur Konzeptkunst. In der Hinsicht hätten die beiden sich gut verstanden. Und Marketing ist auch ein großer Anteil in Banksys Kunst.

Unmodern und immer gegenständlich ist Banksy ja auch.

Blanché: Ja, und die Reproduzierbarkeit ist ein Kerngedanke bei beiden. Es gibt auch bei Dürer wenig Einzelstücke, nur die Gemälde. Beide zielen auf extreme Breitenwirkung. Und Breitenwirkung und Marketingstrategien gehören immer zusammen.

Inwiefern ist ein sich selbst zerstörendes Kunstwerk am Ende auch Ausdruck unserer Wegwerf-, Konsum- und Einweg-Gesellschaft?

Blanché: Natürlich drückt sie sich in dieser Kunst aus. Aber auch das Gegenteil ist der Fall: Nämlich der Kunstmarkt, wo dann für ein Gemälde irgendwie 50 Millionen Dollar bezahlt werden - das ist natürlich der Zerrspiegel dieser Wegwerfgesellschaft, weil das Werk da zu einem Fetischobjekt wird, mit dem man wuchern kann, weil eben diverse andere Erzählungen vielleicht keinen Sinn mehr haben. Man verlässt sich dann auf etwas physisch Vorhandenes.

Welche Kriterien setzen Sie an für solche Kunst, die zum einen immer dem Vorwurf des Leichten ausgesetzt ist, sich aber auch wieder gern allem und also auch einer inhaltlichen Auseinandersetzung entzieht?

Blanché: Das Motiv selbst, „Das Mädchen mit dem Ballon“, ist banal. Aber darauf kommt es nicht an. Das ist sozusagen nur ein Träger. Wichtig ist das Außenrum: Wann wurde es angebracht? An welchem Ort? Auf welche Art? Das ist ja illegal und atemlos entstanden. Das muss also ganz schnell und einfach gehen. Es ist auch für einen Betrachter, der das schnell sieht. Und wenn man die Frage stellt: Was will dieses Werk!, dann ist das doch immer sehr reichhaltig. Der Aufhänger ist zwar ein einfaches Motiv, aber es ist dennoch eines, das man nicht ganz auflösen kann und das doch sehr viele Menschen anspricht. Man sieht es auf T-Shirts, auf Tassen, auf dem Arm von Justin Bieber oder in einem Film von Woody Allen (Match Point, d. Red). Es kommt überall in der Popkultur vor. Und das ist gar nicht so einfach: Ikonen zu schaffen.

Fast wird schon nicht mehr über Inhalte gesprochen. Das Mädchen verliert ja den Luftballon, ihr Objekt der Begierde löst sich also quasi in Luft auf wie auch das Bild als Ganzes. Ist das Genialität?

Blanché: Es kommt auf die Fassung an. Es gibt Versionen, da schaut es aus, als würde das Mädchen nach dem Seil des Ballons greifen, und auf anderen hat sie es gerade losgelassen. Da lässt sie also ihre Hoffnung und Träume gerade fliegen. Am Anfang war das ja ein Antikriegsmotiv und wurde auf der Platte „Think Tank“ der Britpopper Blur benutzt und bezieht sich auf den Irakkrieg. 2003 war das. Da ist es als Hoffnung und Liebe ein Gegenstück zu Krieg, Gewalt und Waffen gemeint. Später hat Banksy es allgemeiner gefasst.

Erwarten Sie im Burda-Museum nun einen Ansturm auf das eine Werk „Love is in the Bin“?

Blanché: Wir werden sehen. Es gibt nicht nur das Bild, es gibt ein weiteres Objekt, zwei Videos, die Banksy als Performancedokumentation ins Internet gestellt hat, und dann das Blur-Plattencover. Aber keine Angst: Wir spielen nicht dauernd Blur-Musik.

Ulrich Blanché und Banksy

  • Ulrich Blanché: Der Habilitand der Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg (35 Jahre alt) publizierte „Street Artivist Banksy“ (2010), und „Konsumkunst. Kultur & Kommerz bei Banksy & Damien Hirst“ (2012). Seine Schwerpunkte sind Street Art, Graffiti, Konsum, britische Nachkriegskunst, insbesondere Francis Bacon und Damien Hirst.
  • Banksy: Keiner kennt ihn, und doch ist er der bekannteste Graffitikünstler der Welt. Banksys Werke prangen in vielen Ländern an Wänden und Mauern. Er ist für seine Abneigung gegenüber einer Kommerzialisierung seiner Kunst bekannt und lehnt etwa Ausstellungen seiner Werke ab. Seine Identität hat er nie preisgegeben.
  • Die Ausstellung: Das Museum Frieder-Burda Baden-Baden zeigt die Schau „Love Is In The Bin“ (Liebe ist in der Mülltonne) vom 05.02-03.03. Sie enthält das Bild, Videos und ein Plattencover.
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Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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