Der Anfang von „Autoplay“ ist von größter Klarheit: Die ausladende Bühne des Mannheimer Eintanzhauses ist weiß und leer, bis auf zwei Bildschirme an den Flanken und eine zentral positionierte Leinwand. Eine Tänzerin und drei Tänzer (Magdalena Agata Wójcik, Daniel Conant, David Cahier, Antoine Roux-Briffaud) treten erst nacheinander, dann miteinander vertaktet auf: Wójcik rahmt mit den Händen einen Kamera-Bildausschnitt, Conant wirft sich in Michelangelos David-Positur, und während die eingespielte Musik allmählich an Intensität gewinnt, sehen wir Ballettstellungen und -Sprünge, (Film-)rituelle Tanz-Elemente und Instagram-Koketterie, Sportives, Breakdance-Skizzen, Videoclip-Schritte und kollektive „Gangnam Style“-Moves.
Das wird in diesem „Tanz Mashup“-Gastspiel von Choreograph Moritz Ostruschnjak mit selten gesehener Schwerelosigkeit in Szene gesetzt: Mit leisem Humor collagiert und mit wunderbar leichtläufiger Finesse getanzt (bravourös: Daniel Conant), entsteht hier ein assoziativer Bewegungs- und Bewusstseinsstrom, ein fließender Zitaten-Groove. Der sich indes bald nicht mehr im Zaum halten lässt.
Abseitige Fundstücke verquirlt
Bilder eines Fidget Spinners flackern auf, gefolgt von durch die Luft wirbelnden Computerspiel-Autos, und es beginnt, was sich im weiteren Verlauf von „Autoplay“ zu einem choreographisch-medialen „Overflow“ auswächst, einer (kalkulierten) Überladung und Überreizung der Sinnesorgane. Ikonische Bilder, Szenen, Slogans und Filmsequenzen aus der Zeitgeschichte und Popkultur werden alsbald in wirbelndem Tempo mit kuriosen, teils abseitigen Fundstücken verquirlt, die aus den digitalen Tiefen von Internet und sozialen Netzwerken geschürft wurden.
Wir sehen: Vietnam, Action-, Super- und Cartoon-Helden, Obama, Che Guevara und Katzenbilder, eine verstörende Waffennarren-Galerie, Schuhplattler, Michael Jacksons Moonwalk und ein Hip-Hop-Posen-Tutorial. Wir hören: Stimmeinspielungen von Martin Luther King und Beyoncé, Musik von Wagner, Strauss, Rihanna, Jeff Buckley; und während Matt Monro „The Impossible Dream“ singt, führt das Tanzquartett eine bezaubernde Busby-Berkeley-artige Hollywood-Choreographie auf. „Autoplay“ setzt die chaotische Hyperlink-Grenzenlosigkeit der digitalen Welt geschickt in Bezug zur Körperkunst, kreiert eine Kopieren-und-Einfügen-Kaskade, die einen immer weiter in den Irrgarten des WWW, des weltweiten Wahnwitzes führt. Und das ist absolut sehenswert.
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