Schauspielkritik

So war der neue Mannheimer Nathan am Nationaltheater

Die Adaption von Dramatiker Nuran David Calis lässt eine Lösung der Konflikte auch unserer Zeit als Utopie erscheinen. Das Ensemble erntet kräftigen Applaus

Von 
Uwe Rauschelbach
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Ein engagiertes Ensemble spielt frei nach Lessing den neuen Mannheimer „Nathan“ im Alten Kino Franklin. © Maximilian Borchardt

Mannheim. Rassenhass, identitäre Bewegungen und soziale wie religiöse Polarisierungen sind akute gesellschaftliche Erscheinungsformen. Dabei hat Gotthold Ephraim Lessing mit seinem Drama „Nathan der Weise“ bereits vor rund 250 Jahren ein Dokument der Aufklärung verfasst, das einer fehlgeleiteten Menschheit mit Humanismus und Toleranz beikommen will. Bleibt das aufgeklärte Zeitalter eine Utopie? Das von Nuran David Calis für das Mannheimer Nationaltheater inszenierte Stück „Nathan“ beantwortet diese Frage trotzig.

Am Ende wird das Kernstück in Lessings Drama verlesen, jene Parabel über drei Ringe, die für drei Weltreligionen - Judentum, Christentum und Islam - stehen, die in Zwietracht miteinander verklammert sind, und von denen doch keine den Status der Alleingültigkeit beanspruchen kann.

Die eigentliche Versöhnung zwischen den Vertretern dieser drei Glaubenssysteme vollzieht sich in Lessings „Nathan“ jedoch nicht mit der Einsicht in sein aufklärerisches Potenzial, sondern über wundersame familiäre Entwirrungen, an deren Ende sich die Beteiligten dank der Entdeckung ihres gemeinsamen Verwandtschaftsgrades selig in die Arme fallen.

Nathan wird im Alten Kino auf Franklin gezeigt

Dieses finale Tableau in Lessings Drama kann man durchaus mit einem kritischen Auge betrachten. Denn was wäre dieser Friedensschluss wiederum nichts weiter als das Resultat einer aufklärerischen Regression, nämlich die Flucht zurück in ein bürgerliches Idyll? Auf der Bühne des Alten Kinos Franklin, wo Calis’ „Nathan“ nun erstmals aufgeführt wurde, wirkt jene Familienzusammenführung denn auch so aufgesetzt wie die abschließende Lesung jener Ringparabel, die gleichwohl ihre bleibende Gültigkeit in einer Welt behauptet, in der die hehre Idee der Menschlichkeit jenen niederen Instinkten des Allzumenschlichen, die sich als Ideale tarnen, vielfach geopfert wird.

Diesen realen Vorgängen kann das Theater heute nicht mehr mit dem Aufklärungsfuror früherer Zeiten begegnen. Es kann sie allenfalls zynisch spiegeln und auf diese Weise läuternd wirken. Oder es kann ein ästhetisches Milieu schaffen, das aufgrund seiner Distanz zur Wirklichkeit einen kreativen Umgang mit ihr ermöglicht. Das Stück des jüdisch-aramäisch-stämmigen Regisseurs Nuran David Calis versetzt Lessings Nathan unterdessen sehr realitätsnah in ein modernes Szenario, in dem ein Brandanschlag auf den Vorsitzenden einer jüdischen Gemeinde aufzuklären ist.

Clans zunächst verdächtigt

Was arabischen oder türkischen Clans zunächst in die Schuhe geschoben wird, entpuppt sich in diesem Krimi am Ende als Attentat einer christlichen Flüchtlingsgruppe aus Syrien, die die muslimische Community damit in Verruf bringen wollte. Die Korrumpierbarkeit einer Polizei inklusive, deren Ermittlungen von eigenen kruden Interessen dominiert werden. Im Hintergrund erzählt ein syrisches Mädchen seine Flucht vor den heranrollenden Pickups bewaffneter Islamisten - Reminiszenzen an den Terroranschlag der Hamas auf Israel sind nicht unbeabsichtigt.

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Die Bühne des Alten Kinos Franklin zeigt eine Art Guckkasten mit mehreren Modulen, auf die einzelne Szenen verteilt werden. Hierdurch lassen sich mehrere Handlungen gleichzeitig abspielen, die dem Geschehen eine reizvolle darstellerische Topographie verleihen. Zusätzlich werden einzelne Szenen durch Kameraaufnahmen perspektivisch vervielfacht. Währenddessen wird das Geschehen auf der Bühne nicht komplett ausagiert, sondern über weite Strecken erzählt - fraglos ein Aspekt dramaturgischer Ökonomie, der sich aber durchaus als integrativer Bestandteil dieses Stücks erleben lässt. Und dazwischen, funktional den Chor in der griechischen Tragödie nachahmend, gut gemachte Rap-Songs des Heidelberger Advanced-Chemistry-Mitgründers Toni-L, die das Geschehen mit kritischen Texten über Erscheinungsformen des Hasses sowie der Ab- und Ausgrenzung wirkungsvoll kommentieren.

Lessings Original bleibt erkennbar

Lessings „Nathan“ bleibt im Hintergrund erkennbar. Doch dies erweist sich zugleich als Schwäche dieser Inszenierung, die zwischen Nach- und Neuerzählung, zwischen Fantasie und aufklärerischer Propaganda hängen bleibt. Zumal die Figuren auf der Bühne auch schauspielerisch nicht wirklich entwickelt sind, bis in Ansätzen auf den zwischen alle Fronten geratenden Jonas (Omar Shaker) - bei Lessing der Tempelritter -, das Flüchtlingsmädchen (Shirin Ali) oder den aramäischen Flüchtling Aris (Sandro Sutalo). Boris Koneczny charakterisiert die Person des Nathan Grossmann zwar als humanitär gesinnt, aber ohne Zugang zu jener Weisheitsfülle, wie sie Lessings Nathan zu Gebote steht.

Beflissen werden auf der Bühne Konstellationen durchgespielt und Zusammenhänge konstruiert. Doch vermag das Theater die akute Realität, um die es offensichtlich geht, ästhetisch nicht zu vermitteln geschweige denn zu bewältigen. Selbst jenes Mitgefühl, wie es Lessing anregen wollte, um seine aufklärerischen Anliegen zu transportieren, stellt sich nicht ein.

Was bleibt, ist Beklommenheit ob der schieren Aktualität der Verhältnisse, wie sie auf der Bühne in ungeschminkter Weise adaptiert werden. Bei der Premiere gibt es hierfür, wie auch für die engagierten Darsteller, kräftigen Applaus.

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