Festivalkritik

So gut waren die Foo Fighters und Apache 207 bei Rock am Ring 2023

Das Kultfestival in der Eifel verzeichnet nach 90 000 zwar nur 70 000 zahlende Fans, startet am Freitag aber absolut furios

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Jörg-Peter Klotz
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Fünf Foo Fighters bei Rock am Ring 2023 (von links): Keyboarder Rami Jaffee, Frontmann Dave Grohl, der neue Schlagzeuger Josh Freese, Bassist Nate Mendel und Gitarrist Pat Smear. © Thomas Frey/dpa

Nürburgring. Man wird immer abwarten müssen, was die Toten Hosen sich am Schlusstag einfallen lassen. Abgesehen davon wird der Auftakt von Rock am Ring 2023 (RaR) kaum zu toppen sein. Er endet mit einem furiosen zweistündigen Auftritt der Foo Fighters auf der Hauptbühne und mit einem bestens aufgelegten Apache 207 im „Late Night Special“ auf der früheren Alternastage bis weit nach zwei Uhr. Danach gehen die letzten Ringrocker beschwingt in ihre Zelte, viele davon mit dem Refrain des letzten Lieds „Komet“ auf den Lippen.
Ein Rapper aus Ludwigshafen mit einem Fetisch für Eurodisco-Sounds bei Rock am Ring – geht das? Klar! Die Zeiten, als das ein Problem war und zum Beispiel ein Bushido 2006 nahezu von der Bühne gebuht wurde, sind längst vorbei. Zwischenzeitlich waren auch DJs wie Deadmou5 2011 gern gehörte Gäste unter der Nürburg, die Hits von Pandarapper Cro übertönte 2012 auf der einstigen Männerdomäne Centerstage mal ein stimmgewaltiger Frauenchor – und am Freitag wurde sogar ein Überraschungsauftritt von Olaf gefeiert. Genau, dem letzten aktiven Mitglied der Schlagercombo Die Flippers.

Die Show von Apache 207 endete nach zwei Uhr mit "Komet" und Feuerwerk. © Milan Koch

Diskussion um Eintrittspreise

Das kann man beliebig finden. Oder aufgeschlossen. Aber das lange von der Veranstalterfamilie Lieberberg im Alleingang gestaltete Traditionsfestival ist schon lange vor der Pandemie zu einem Mainstream-Festival avanciert. Das im Dienst des Eventim möglichst auf Nummer sicher geht. Und auch die nach wie vor dominante musikalische Härte kommt in der Regel von kommerziell höchst erfolgreichen Acts. Und da passt auch ein Apache perfekt ins Bild. Zumal der gebürtige Mannheimer bei der Konzertagentur DreamHaus unter Vertrag ist, die die von Marek Lieberberg geleitete Firma Live Nation 2021 erstaunlich geräuschlos als RaR-Veranstalter abgelöst hat.
Nach 90 000 nur noch 70 000 Fans

DreamHaus-Chef Matt Schwarz verzeichnet nun nach stolzen 90 000 Fans im postpandemischen Jahr 2022 nun knapp 20 000 Besucherinnen und Besucher weniger. Das mag mit der wohl kaum vermeidbaren, aber deftigen Erhöhung der Preise zu tun haben. Es sind aber auch rein quantitativ weniger Bands am Start. Und zum Beispiel die Zugkraft des Samstags-Headliners Kings Of Leon hat schon bessere Tage gesehen. Campino und die Hosen ziehen zwar immer, sind nun aber auch schon zum neunten Mal auf dem Nürburgring.

Apache 207 überrascht mit "In The Air Tonight" von Phil Collins

Am Freitagsprogramm liegt es jedenfalls nicht. Nach dem furiosen und europaweit exklusiven Auftritt der Foo Fighters auf der Centerstage sagen sich viele kurz vor ein Uhr: „Brudi, lass ma’ Apache gucken.“ Der Erfolgsrapper Volkan Yaman liefert – und staunt: „Es geht bis nach hinten, man sieht das Ende gar nicht“, sagt er mit Blick aufs Publikum. Zehntausende lassen sich von seiner effektreichen Show in Tankstellen-Kulisse einfangen, um bei „Apache Oil“ Partylaune für die Nacht zu tanken. Aber der 25-Jährige beginnt mit einer eher ruhigen Überraschung – und singt eindringlich Phil Collins’ 42 Jahre alte Mega-Hitballade „In The Air Tonight“. Und das gemütlich in Jeansjacke und -hose auf dem Sofa sitzend, begleitetet von Gitarrist Max Grund und DJ Pretty Flippo in der zweiten Etage.

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Jörg-Peter Klotz
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Die „Apache! Apache!“-Sprechchöre sind zwangsläufig nicht so massiv wie bei seinen triumphalen eigenen Konzerten. Aber der Ludwigshafener ist souverän und registriert aufmerksam, wie positiv auch dieses halbe Auswärtspublikum schon auf sein zweitees Lied „Brot nach Hause“ reagiert. Der eigentlich sichere Abräumer „Kein Problem“ schlägt dagegen nicht so ein wie gewohnt. Apache merkt, dass er für die Aufmerksamkeit mehr arbeiten muss und lobt charmant die „schöne Energie“ und generell den Vibe bei RaR: „Ich habe noch kein Festival gesehen, wo so wenig Handys gezückt werden.“

Spätestens bei „Roller“ fühlt es auch der Brudi in der Iron-Maiden-Weste

Bei „Fame“ erfährt man, dass Mama Yaman inzwischen Multimillionärin ist – Glückwunsch dazu. Als das in „Bläulich“ zitierte „Rhythm Is A Dancer“ durch die kalte Eifelluft pumpt, ist die Partystimmung komplett und verspricht noch höher zu steigen, als beim Ballermann-tauglichen Hip-Hop-Kollegen Finch zuvor an gleicher Stelle. Spätestens bei „Roller“ fühlt es auch der Brudi in der Iron-Maiden-Weste. Er wippt zumindest versonnen lächelnd mit dem erfolgreichsten deutschen Song der letzten Jahre.

Das Programm von Apache 207 und den Foo Fighters bei Rock am Ring 2023

Apache 207:

1. In the Air Tonight (Phil Collins), 2. Brot nach Hause, 3.Kein Problem, 4. Breaking Your Heart, 5. Fame, 6. 2 Minuten, 7. Fühlst du das auch, 8. Bläulich, 9.Wenn das so bleibt, 10. 200 km/h, 11. Roller, 12. Boot, 13. Wieso tust Du Dir das an?, 14. Madonna, 15. My Heart Will Go On (Celine Dion, vom Band), 16. Sport, 17. Doch in der Nacht, 18. Neunzig, 19. Angst.
Zugabe:

20. Lamborghini Doors, 21. Komet.

Foo Fighters: 1. All My Life, 2. No Son Of Mine, 3. Rescued, 4. The Pretender, 5. Walk, 6. Learn To Fly, 7. Times Like These, 8. Under You, 9. Breakout, 10. The Sky Is A Neighborhood, 11. Whip It / March of the Pigs (Devo / Nine Inch Nails), 12. My Hero, 13. This Is A Call, 14. Nothing At All, 15. Shame Shame (mit Dave Grohls Tochter Violet), 16. These Days, 17. Aurora, 18. Monkey Wrench, 19. Best Of You, 20. Everlong

Kleiner Exodus bei Fahrt mit dem Boot durch die Fans

Es ist allerdings nicht die beste Idee, nach so einem Höhepunkt zu Fahrstuhlmusik und langweilig animierter Leinwand mit dem Boot langsam zur B-Bühne zu fahren. Für alle, die auf dem riesigen Gelände dabei keinen Sichtkontakt mehr haben, fühlt sich das an, wie eine für den deutschen Markt nicht gebuchte Werbepause in einem NBA-Finale, in denen Fans des US-Basketballs reihenweise vor dem grauen Bildschirm einschlafen. Dafür ist es hier zu kalt und zugig. Aber vielen fällt in den paar Minuten Leerlauf ein, dass sie seit dem Festivalstart mit Flogging Molly schon fast zwölf Stunden in den schmerzenden Knochen haben. Da setzt schon ein kleiner Exodus ein. Der völlig unnötig ist, denn die Trio-Einlage mit Grund und Schlagzeuger Dirk Erchinger aus „Boot“, dem gesanglich stark neu interpretierten „Wieso tust du dir das an“ und dem umarrangierten Bausa-Duett „Madonna“ ist exzellent. Anschließend hebt Apache die Laune noch mit den Uptempo-Nummern „Neunzig“ und „Sport“ nochmal mächtig an, bevor er zum Schluss im 15-maligen Nummer-eins-Hit „Komet“ auch den Gesangspart von Udo Lindenberg übernimmt. Das kleine Schluss-Feuerwerk und Konfettiregen sind verdient. Denn die Show war noch besser als der noch später angesetzte Rockpalast-Auftritt der Söhne Mannheims im Eisregen am 9. Juni (!) 2000.

Erinnerung an Taylor Hawkins

Zumal die Foo Fighters zuvor extrem stark vorgelegt haben. Anders als auf ihrer bereits angelaufenen Nordamerika-Tournee spielen sie nur drei Nummern vom am Freitag veröffentlichten neuen Album mit dem fast trotzigen Titel „But Here We Are“ (Aber hier sind wir). Ansonsten reiht die Band aus Seattle Fan–Favoriten an Fan-Favoriten: Das Mitsing-Festival im Festival geht schon mit „All My Life“ los, erreicht mit „The Pretender“ früh den Höhepunkt und endet mit einem frenetischen Hit-Dreierpack. Aber das Konzert steht auch unter traurigen Vorzeichen: Es ist der erste Europa-Auftritt ohne den 2022 überraschend verstorbenen Schlagzeug-Weltstar Taylor Hawkins, dem Frontmann Dave Grohl bewegt dessen Lieblingslied „Aurora“ widmet: „Das ist für die eine Person, die heute nicht hier sein kann“).

Josh Freese überzeugt

Mit dem 50-jährigen Josh Freese versucht ein absoluter Top-Profi, diese großen Fußstapfen zu füllen – und das noch im Schatten Grohls, der als Nirvana-Drummer schon zur Ikone wurde. Als Instrumentalist ist das für ihn kein Problem: Der sehr präzise Freese hat den nötigen Stadion-Punch, auch Finesse und Groove. Aber ist kein Entertainer am Schlagzeug wie Hawkins, der mit wirbelnden blonden Haaren, kalifornischem Lächeln und Marathon-Mann-Biss mit den Stöcken berserkerte wie einst Keith Moon bei The Who. Von seinen verblüffend guten Gesangseinlagen nicht zu reden.
Die gute Nachricht ist: Die Foo Fighters funktionieren als Band trotzdem schon jetzt ohne Abstriche. Dass ihr Auftritt nicht so extrem überragend ausfiel wie bei ihrem RaR-Debüt 2015 an der Ausweichspielstätte in Mendig, lässt sich emotional leicht erklären. Schließlich war Hawkins eine Art Co-Frontmann. So liegt alle Last auf Dave Grohl. Und der zeigt als Hauptdarsteller des zentralen Headliners beim größten deutschen Rock-Festival, wie souverän er diese Last auch in der zweiten großen Trauerphase seiner Karriere nach dem Tod von Nirvanas Sänger Kurt Cobain tragen kann.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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