Schauspiel

Sibylle Bergs Glückssuche am Mannheimer Nationaltheater

Von 
Martin Vögele
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Suchen das Glück im Mannheimer Nationaltheater (von hinten): Sarah Zastrau (Vera), Camille Dombrowsky (Nora), Rocco Brück (Helge) und vorne Robin Krakowski in der Rolle des Tom. © Maximilian Borchardt

Bald, nachdem wir Sibylle Bergs Romandebüt „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ aufgeschlagen hatten, begannen wir uns der Begrüßungsworte zu besinnen, die Dante einst über den Eingang der Hölle setzte: „Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren“, notierte er da allbekannt in seiner „Göttlichen Komödie“. Dahinter warteten dann erst mal neun Höllenkreise auf den Dichter. Bei Berg sind es ein Vielfaches von Kapiteln, in denen die Schicksale eines knappen Dutzend Protagonisten (plus etwas Figuren-Beifang) erzählt werden, die allesamt bereits im Diesseits in ihren eigenen Lebenshöllen schmurgeln.

Die meisten sind auf unterschiedliche Weise, teils durch familiäre Fäden miteinander verknotet. Vereint sind sie nicht zuletzt auch in einem gemeinsamen Kanon der Befindlichkeiten: In ihnen allen herrscht eine niederschmetternde Unzufriedenheit, ein Leiden an der Belanglosigkeit und Bedeutungsleere des Daseins, das sie mit inbrünstiger Selbstbezogenheit und der Intensität einer Vollzeitstelle betreiben.

Die Langeweile in der Hölle

Vor allem empfinden sie: eine Langeweile, aus der sie dann doch irgendwie auszubrechen, halt was Neues machen wollen. Eben das Glück suchen. Und am Ende sind fast alle tot. Lukas Leon Krüger hat das Berg’sche Figurenkarussell für seine Bühnenfassung des Romans - die nach zwei Jahren als Regieassistent am Schauspiel des Nationaltheaters Mannheim zugleich seine Abschlussarbeit markiert - ebenda auf vier Protagonisten reduziert: auf Vera (Sarah Zastrau) und ihren Ehemann Helge (Rocco Brück) sowie deren Tochter Nora (Camille Dombrowsky) und Tom (Robin Krakowski).

Dieses Quartett lässt Krüger eingangs seiner Inszenierung im Studio Werkhaus - und das hat Witz - an einer langen Bar sitzen, während aus den Lautsprechern Roland Kaisers und Barbara Schönebergers muntere Einsamkeits-Elegie „Niemand“ sickert.

Man fühlt sich da an Edward Hoppers „Nighthawks“-Gemälde erinnert, und dieses Gefühl der Verlassenheit zündet noch eine weitere Raketenstufe, wenn man die blauen und dottergelben Kostüme (Davide Raiola) der Vier betrachtet, die uns an die erste Generation der „Star Trek“-Raumschiffbesatzung erinnern: allein in einer Bar - und im Weltraum.

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Sarah Zastrau verleiht ihrer Vera, die aus einem tristen Büroleben ausbüxt, eine wunderbar aufgekratzte Grundempörung; eine, die zugleich zeigt, das in ihr mehr Restleben steckt, als in den anderen (und tatsächlich wird sie am Ende auch als einzige überleben). Helge, der todessehnsüchtige Barpianist, der seinen Job und die Menschen verabscheut, wird von Rocco Brück mit einer flatterhaften Anlage zum Träumen beseelt, Augenblicke, aber immer wieder über Bruchkanten ins Bodenlose abstürzen.

Nora ist gerade 17 geworden, ist 1,75 groß und 40 Kilo schwer, wie sie durchaus jovial erzählt. Von Camille Dombrowsky wird sie feinnervig gespielt, als würde sie keinen Zugang zu anderen, einfach nicht den richtigen Takt finden, um durch die Drehtür zu gelangen, hinter der das Leben stattfindet. Tom ist beruflich offenbar erfolgreich, aber wirft seinen Job hin und trampt in die Schweiz, wobei er „auf ein Gefühl wartet“: Robin Krakowski zeichnet ihn plastisch als angeödet-impulsiven Charakter, der mit seiner Reise auch zwischenmenschliches Neuland betritt.

Hedonismus und Aufbruch

Bei Berg wechseln die Erzählperspektiven zwischen Ich- und auktorialem Erzähler, und auch im Stück ist vieles in dynamischer Bewegung - das Bühnenbild (eingerichtet von Nora Müller) mit seiner roll- und teilbaren Bar ebenso wie die Spielerinnen und Spieler selbst: Es wird viel chorisch gesprochen und es fließt viel Konfetti-Inhalt aus Gläsern und Flaschen, die allenthalben auch zu Bruch gehen.

Die innere Anspannung zwischen hedonistischer Aufbruchswut und lähmender Leere kulminiert in einer genüsslich-bizarren Disco-Szene (für uns der stärkste Moment des Abends!), in der die Vier Zombie-haft tanzen - eine Club-Nacht der lebenden Toten, wenn man so will. Krüger und seinem Ensemble gelingt das nicht geringe Kunststück, dass man Anteil an den im Roman (trotz aller Satire-Überspitzungen) wenig leidlich gezeichneten Figuren nimmt, dass man ihnen über 90 Minuten gespannt und gerne folgt: eine gute Arbeit.

Freier Autor

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