Interview - Regisseur Gernot Grünewald inszeniert mit „2027 – Die Zeit, die bleibt“ ein Stück zur Klimakrise am Nationaltheater Mannheim

Gernot Grünewald inszeniert am NTM ein Stück zur Klimakrise

Von 
Martin Vögele
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„Warum handeln wir nicht, warum taumeln wir sehenden Auges in die Katastrophe hinein?“ Das ist laut Regisseur Gernot Grünewald die zentrale Frage im Stück „2027 – Die Zeit, die bleibt“. © Maximilian Borchardt

Mannheim. Die Zeit läuft ab: Vergangenen Sommer zeigte die sogenannte „Carbon Clock“ an, dass bei unverändertem Kohlendioxidausstoß das weltweit zur Verfügung stehende CO2-Budget im Jahr 2027 aufgebraucht sein wird - wenn wir die globale Erderwärmung bei 1,5 Grad gegenüber den vorindustriellen Durchschnittstemperaturen stoppen wollen. Durch dieses 1,5-Grad-Ziel sollen die eklatanten Folgen des Klimawandels für Menschen und Umwelt gemindert werden.

Ob wir in der Klimakrise handeln oder untätig bleiben, damit setzt sich das Stück „2027 - Die Zeit, die bleibt“ auseinander, das Regisseur Gernot Grünewald am Mannheimer Nationaltheater (NTM) zusammen mit Mitgliedern des Schauspielensembles sowie Mannheimer Bürgerinnen und Bürgern inszeniert. Nachdem die Uraufführung vor knapp zwei Jahren (damals noch unter dem Titel „Siebenundzwanzig Jahre“) wegen der Pandemie abgesagt werden musste, feiert sie nun am 14. Januar im Schauspielhaus Premiere. Wir sprachen mit Grünewald über die überarbeitete Version der theatralen Versuchsanordnung, die zugleich seine erste Regiearbeit am NTM ist.

Herr Grünewald, wie sehr hat sich die Welt in den knapp zwei Jahren seit der im Zuge des ersten Lockdowns abgesagten Premiere weitergedreht - für das Klima und für das Stück?

Gernot Grünewald: In den Tagen vor der geplanten Premiere am 14.3.2020 wurden weltweit sämtliche Flüge eingestellt und man wähnte sich kurz in der Hoffnung, dass sich Corona positiv auf die weltweiten Emissionen auswirkt, dass ein kleines Virus es vermag, unseren Alltag in einer Weise zu transformieren, wie es bis dahin undenkbar erschien.

Aber dann ...

Grünewald: Dann kam das Virus zu uns und eine Zeitlang wirkte es so, als ob Corona die Klimakatastrophe vollständig aus dem Bewusstsein verdrängt. Positiv überrascht hat mich, wie schnell es dann wieder medial präsent geworden ist, wozu tragischerweise natürlich auch die Flutkatastrophe im letzten Sommer beigetragen hat. Verstört hat mich, dass selbst Corona es nicht vermocht hat, eine substanzielle Nachhaltigkeitsdiskussion auszulösen.

Und wie lautet sie?

Grünewald: Wie müssten wir unser Leben und unsere Wirtschaftsweise in Frage stellen, um zukünftige Pandemien zu verhindern und die Klimakatastrophe zumindest hinauszuzögern? Darin liegt eine gewisse Tragik. Einen stärkeren Weckruf, die Fragilität unserer Gesellschaft und des Ökosystems betreffend, kann man sich ja kaum vorstellen. Wenn wir selbst jetzt nur die Symptome behandeln, anstatt die Ursachen zu diskutieren, dann ist uns wirklich nicht mehr zu helfen.

Der Regisseur und sein Projekt

  • Gernot Grünewald inszeniert „2027 – Die Zeit, die bleibt“ mit Nationaltheater-Ensemblemitgliedern. Außerdem wirken sieben Mannheimer Jugendliche sowie zehn Bürgerinnen und Bürger mit.
  • Die Premiere ist am Freitag, 14. Januar, 19.30 Uhr, im Schauspielhaus. Die nächsten Vorstellungen finden am 28. Januar, 19.30 Uhr, und am 23. Februar, 19 Uhr, statt.
  • Gernot Grünewald, geboren 1978 in Stuttgart, studierte Schauspiel in Berlin. 2003 wurde er Ensemblemitglied des Schauspiels Stuttgart, 2005 wechselte er ans Hamburger Schauspielhaus, 2007 begann er ein Regiestudium an der Theaterakademie Hamburg.
  • 2011 erhielt er für seine Diplominszenierung „Dreileben“, den Körber Preis für Junge Regie in Hamburg. Für „ankommen“, ein Projekt mit unbegleiteten Flüchtlingen am Thalia Theater, wurde er 2016 mit dem Kurt-Hübner-Regiepreis ausgezeichnet. Er inszeniert vor allem gegenwartsbezogene Recherche- und dokumentarische Projekte.

In welcher Form greift das Stück die Klimadebatte auf?

Grünewald: Wir arbeiten neben den vier Schauspielenden mit sieben Jugendlichen und zehn Mannheimer Bürgerinnen und Bürgern. Mit allen haben wir Interviews geführt, in denen wir, wie auch an dem ganzen Abend, die Frage umkreisen: Warum handeln wir nicht, warum taumeln wir sehenden Auges in die Katastrophe hinein? Diese Frage ist in den letzten zwei Jahren noch virulenter geworden. Unser Handlungsspielraum verringert sich mit jedem Tag.

Was ist gegenüber der ersten Fassung anders?

Grünewald: Zwei Themen haben uns diesmal besonders interessiert: zum einen die Frage nach einer Radikalisierung des Protestes, zum anderen die Notwendigkeit, Dinge in größeren Zusammenhängen zu denken und innerhalb eines solchen Denkens zum Beispiel die Erde als einen Gesamtorganismus zu begreifen.

Wie meinen Sie das?

Grünewald: Angesichts der Größe des Problems braucht es nicht nur eine Transformation unserer Lebensweise, sondern auch eine des Denkens. Solche Fragen in einem Diskursraum wie dem des Theaters zu stellen, finde ich wichtig.

Wie setzen Sie das konkret auf die Bühne?

Grünewald: Es gibt drei Gruppen: die Jugendlichen, die Erwachsenen und die Schauspielenden. Die Jugendlichen befragen unsere Verantwortung, fordern radikale Entscheidungen und reflektieren darüber, was sie anders machen würden, wenn sie Macht hätten. Die Erwachsenen bilden in einer Art Readymade ihrer Leben ein Tableau unseres gegenwärtigen Nichthandelns. Und die vier Schauspielerinnen und Schauspieler haben sich zum Teil sehr persönlich mit dem Thema auseinandergesetzt, das sie an dem Abend immer wieder diskursiv reflektieren.

Freier Autor

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