Sich über behinderte Menschen lustig machen, das geht eigentlich gar nicht. Mit Behinderten über deren Hindernisse im Alltag lachen, das geht sehr wohl! Und dazu ermutigen der hörgeschädigte Toby Käp und der (fast) blinde Timur Turga, die ihrerseits den Mut haben, Handicaps mit Ironie und einer Portion Sarkasmus auf die Bühne zu bringen. Im vollen Casino des Mannheimer Capitols findet „Ungesehen & Unerhört“ viel Beifall - auch wenn es dem einen oder der anderen im Publikum anfänglich schwerfällt, sich über Einschränkungen, die üblicherweise mit Tabu belegt sind, offen zu amüsieren
Für Toby Käp ist der Auftritt in der Spielstätte mit der intimen wie beflügelnden Atmosphäre ein Heimspiel. Der 34-Jährige zog im Frühjahr von der Pfalz nach Mannheim, um im Capitol als Verwaltungskraft zu arbeiten. Hingegen reiste Timo Turga aus Köln an. Dass am 11.11. in der rheinischen Narrenhochburg eine Zugfahrt zum Abenteuer werden kann, schildert er natürlich hautnah. Es sind die kleinen und großen Alltagserlebnisse, die belustigend wie bizarr aufbereitet werden - nach dem Motto „Treffen sich ein Hörgeschädigter und ein Blinder“, was ein schlechter Witz sein könnte, wenn es nicht der Realität entspräche.
Jeder Tag ein LSD-Trip
„Mit einem 50 prozentigen Hörschaden bin ich zu behindert, um normal zu sein, und zu normal, um behindert zu sein“, klärt der Mittdreißiger Käp lakonisch auf - ohne seinen Sprachfehler zu kommentieren. Denn dieser transportiert sich akustisch. Und Timur Turga, der als Jugendlicher aufgrund einer Augenerkrankung 95 Prozent seiner Sehkraft eingebüßt hat, unkt: „Für mich ist jeder Tag wie ein LSD-Trip!“ Denn bunte Lichtblitze vermag der Mittzwanziger noch wahrzunehmen.
Machen die beiden etwas anderen Comedians ihre Behinderung zur Masche? Ein Vorwurf, der immer mal wieder auftaucht, wie Toby Käp genervt erzählt. Von wegen! „Ungesehen & Unerhört“ ist im wahrsten Sinne des Wortes Programm. Wobei die Komik darin besteht, dass ein Blinder Sehenden die Augen öffnet, und ein nuschelnder Hörgeschädigter dazu bringt, ihm zu lauschen. Die Beiden tauchen in Irrungen und Wirrungen rund um ihre Unzulänglichkeiten ein. Beispielsweise erfährt das Publikum, wie Gutmenschen den jungen Mann mit den Rastalocken und dem Taststock übereifrig in einen falschen Zug bugsieren.
Changiert wird zwischen groteskem und gnadenlosem Ausleuchten des ganz normalen Alltags von Menschen mit Anomalien. Und dazu gehört, dass Timur den Sprachfehler seines Bühnenpartners nachäfft, und Toby ungerührt behauptet, er habe diesen mit einem Logopäden nach dem Vorbild von Paul Panzer trainiert.
Mit Gast und Niedlichkeitsfaktor
Und weil Toby und Timur nur zu gut wissen, dass die Corona-Pandemie insbesondere Bühnenschaffende getroffen hat, die noch am Anfang stehen, präsentieren sie zwei Überraschungsgäste. Patrick Johansson begeistert als artistischer Comedian: Der junge Heidelberger lässt bei einer Jonglage Diabolos kombiniert mit einer Geschichte durch die Luft wirbeln. Und nach der Pause hat Frieda, die kleine Hundedame, ihren großen Auftritt - als „mein Niedlichkeitsfaktor“ , wie Käp den Wuselvierbeiner vorstellt.
Wie heißt es so schön: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Diese Volksweisheit bekommt bei dem Abend mit Behinderten über Behinderungen eine ganz neue Dimension.
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