Das Porträt

Schwetzinger Premiere zu Popliteratur, Udo Lindenberg und Oasis

Das langjährige NTM-Ensemblemitglied Till Weinheimer liest und singt zu Benjamin von Stuckrad-Barres Roman „Panikherz“ im Schwetzinger Theater am Puls, Hausherr Joerg Steve Mohr, inszeniert und Stefan Ebert musiziert

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Freut sich auf die Premiere eines literarisch-musikalischen Abends in Schwetzingen: Schauspieler Till Weinheimer. © rcl

Noch ein wenig trüb linst der Frühling über den morgendlichen Schlossplatz. Wir wagen uns trotzdem auf die noch recht frische Kaffeehaus-Terrasse, wo es sich seines sonnigen Gemüts und freilich auch der Heizstrahler wegen schon gut aushalten lässt. Was führt Till Weinheimer, der nach gut sechs Spielzeiten am Mannheimer Nationaltheater (NTM) in den Nullerjahren auf den Bühnen von Frankfurt und Berlin Karriere machte, zurück in die Kurpfalz – und gerade ins beschauliche Schwetzingen?

Das sei schnell erzählt, meint der (unfassbar!) 64-Jährige: In schwierigen Corona-Zeiten hatte er mit Studenten der renommierten Berliner Schauspielschule Ernst Busch, einen Abend über Klaus Manns Roman „Mephisto“ erarbeitet. Im Publikum saß ein umtriebiger Eppelheimer namens Joerg Steve Mohr, bekanntlich Intendant des von ihm gegründeten Theaters am Puls (TaP) im Schwetzinger Bassermannhaus. Mohr fragte, ob er sich vorstellen könne, eine Bühnenfassung zu Benjamin von Stuckrad-Barres 500-Seiten-Roman „Panikherz“ zu machen – und sie auch mit Musiker Stefan Ebert in Form einer szenisch-musikalischen Lesung auf die Bühne des TaP zu bringen. Das konnte er.

Stuckrad-Barres „Panikherz“ ist ein musikdurchdrungener, autobiografischer Entwicklungsroman, wenn auch mit etwas anderen Vorzeichen. Als Journalist und Gag-Schreiber für die „Harald Schmidt Show“ avancierte der mit Intelligenz, Beobachtungsgabe und schriftstellerischem Talent gesegnete Pastorensohn aus Niedersachsen zügig zum literarischen Shootingstar der späten 1990er Jahre. Musik und Exzess, ein Leben wie ein Rockstar war das Ziel.

Mit „Soloalbum“, „Livealbum“, „Remix“ oder „Tristesse Royale“ wurde er zum führenden deutschen Popliteraten. Was ihn als solchen mit den Rockstars verband, war Glamour, Suff, Kokain und anderes – vor allem aber auch der tiefe Fall. In „Panikherz“ legt er diesen Weg in Ängste, Entzug und Geldnot schonungslos offen und benennt seine Retter: Udo Lindenberg und den Bruder.

Popliterat, Musiker und Schauspieler begegnen sich

Lang war bis dahin Stuckrad-Barres Weg durch psychische Erkrankungen und Entzugskliniken, öffentlich war er weg vom Fenster und machte erst 2023 von sich reden: Seine Verbandelungen und späteren Scharmützel mit Springer-Chef Mathias Döpfner und Ex-„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt wurden ebenfalls autobiografisch verarbeitet und in „Noch wach?“ zum Schlüsselroman der Springer-Medienwelt.

Literatur und Musik bilden im Werk Stuckrad-Barres ein untrennbares und wesensbestimmendes Amalgam. Und hier begegnen sich in Schwetzingen vier Künstler: der Popliterat, Regisseur Joerg Steve Mohr, Musiker und Songwriter Stefan Ebert und eben Till Weinheimer. Literatur liegt Schauspielern naturgemäß am Herzen, und den Weinheimers gerade in Kombination mit Musik ebenso. Sein Bruder Chris Weinheimer ist Musiker, Komponist, Performer, Regisseur und war auch in NTM-Zeiten unter Jens-Daniel Herzog als Schauspielmusiker in Mannheim engagiert.

Wie es für ihn ist, nun nicht mit dem Bruder, sondern mit Stefan Ebert zu proben? „Beide sind hervorragende Musiker, wenn auch ganz unterschiedliche. Es ist irre, wie sensibel und schnell Stefan (Ebert, d. Red.) mit Klavier, Gitarre und Gesang in den Klangwelten der 1980er agiert“, sagt der Saarländer Weinheimer, der nicht nur lesen, sondern auch selbst singen wird.

Apropos Geschwindigkeit: Diese zeichnet auch den Erzählduktus der Romanvorlage aus. „Der Titel ,Panikherz’ ist Programm, es herrscht ein wahnsinniges, hochnervöses Tempo vor, eines das diese Literaturform auch durchaus braucht“, umschreibt Till Weinheimer den Geist des Buches und des Abends im Theater am Puls. „Die Klangwelten von Oasis und Udo Lindenberg befruchten sich dabei gegenseitig, und in Verbindung mit der chronologisch eingezogenen Bildebene entsteht dabei ein rasanter Bilderbogen der 1980er und 90er Jahre“, fasst er das Projekt zusammen.

Benjamin von Stuckrad-Barres Text, habe „etwas Rührendes, stellenweise, wie bei allen Texten über Drogen- und Entzugserfahrungen, auch etwas Larmoyantes“, erzähle viel über Freundschaft und sei dabei „schonungslos ehrlich und deshalb berührend“.

Ob er Emotionalität und Einfühlung im zeitgenössischen Theater vermisse, will der Theaterkritiker wissen, der feststellt, dass sich Weinheimer nach Maxim Gorki Theater und Deutschem Theater Berlin rar auf der Bühne gemacht hat ...

Er ist entspannt, will sich nicht zu tief auf die Diskussion um das allgegenwärtige „diskursive Theater“ mit seinen Metaebenen und zeitgeistigen Bemühungen um politische Überkorrektheit einlassen. „Es ist nur so, dass ich Rumbrüllen und Attitüden auf der Bühne langweilig finde.“

Wenn klassische Stücke nicht mehr gespielt werden, weil deren Rollen- und Geschlechterbilder als überholt gelten, finde er das als Schauspieler „schade“ und sei die Diskussion darüber leid. „Das ist keine Frage des Alters oder persönlichen Starrsinns, sondern eben einfach nicht mehr so meine Welt“.

Gute Erinnerungen an Mannheim und sein Nationaltheater

Die Zeit am Schauspiel Frankfurt unter Oliver Reese und die Jahre in Mannheim unter Jens-Daniel Herzog erinnert er rückblickend als seine „schönste Theaterzeit und Mannheim als eine lebendige und offene Theater-Stadt, die ich anfangs unterschätzt habe.“ Am NTM spielte er 2001 bis 2006 Wedekinds „Marquis von Keith“, Jago in Shakespeares „Othello“, Goethes „Egmont“, Molières „Tartuffe“ oder Karl Moor in Schillers „Die Räuber“. Er inszenierte Neil LaButes „Maß der Dinge“ und Alan Ayckbourns „Spaß beiseite“ – beides unter musikalischer Mitwirkung seines Bruders Chris. Vor der Schwetzinger Premiere muss sein Schauspielerherz also nicht in Panik geraten. Nervöse Unruhe ist erlaubt.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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