Nachruf - Zum Tod des Schriftstellers Peter Härtling, der im Alter von 83 Jahren in Rüsselsheim gestorben ist

Schreiblust prägte sein Schaffen

Von 
Wolf Scheller
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Ein Autor voller Menschlichkeit und Lebensfreude: Peter Härtling an seinem Schreibtisch, aufgenommen im Juli 2009.

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Er war ein Genussmensch, einer, der die Freuden des Lebens liebte - vielleicht deswegen, weil er sie sich so hart erkämpfen musste. Peter Härtling, Jahrgang 1933, gebürtig aus Chemnitz, nach dem Tod des Vaters in sowjetischer Gefangenschaft und dem Selbstmord der Mutter früh verwaist, hat in seinen Erinnerungen "Leben lernen" geschildert, wie mühsam für ihn dieser Weg war: sich zu finden, sich eine Existenz als Journalist und später als Schriftsteller aufzubauen. Und er ist dann auch überaus erfolgreich geworden, ein Autor, der es "geschafft" hat, einer, bei dem kaum ein Jahr verging, ohne dass nicht mindestens ein neuer Titel von ihm auf den Markt kam. Gestern ist Peter Härtling im Alter von 83 Jahren nach kurzer schwerer Erkrankung in Rüsselsheim gestorben.

Es war vor allem die Zeit des Heranwachsens in den Wirren des Kriegsendes und unmittelbar danach, das Suchen nach einem Standort, nach Orientierung, was seine Persönlichkeit geprägt hat, seine Freundlichkeit. Sie begegnet uns auch in seinem sympathisch, mitunter leicht behäbigen Erzählen. Denn auch, wo Härtling Trauriges mitteilte, blieb er diesem gemütvoll-gemütlichen Grundton verpflichtet, den man aus seinen vielen Romanen und Erzählungen kennt.

Nach Aktivitäten als Journalist (zunächst Feuilletonredakteur der "Heidenheimer Zeitung", dann in Stuttgart bei der "Deutschen Zeitung") und als Cheflektor des S.Fischer-Verlags in Frankfurt begann Härtling 1973 seine Schriftstellerlaufbahn. Er erkor Hölderlin und Mörike zu seinen Leitsternen, versenkte sich in Schubert und Schumann, im Alter auch in Verdi, begeisterte sich für Nikolaus Lenau und Waiblinger, die Kunst, das Künstlertum wurden ihm heilig. Darüber wurde er zu einem der produktivsten und populärsten Schriftsteller der alten Bundesrepublik.

Erfahrungen der Kriegszeit

In vielen seiner Bücher, auch in denen, die er für Kinder schrieb, erzählt Härtling von Kriegen und Fluchten. "Der Krieg war noch immer da, wie ein Gespenst", heißt es in "Reise gegen den Wind". Das erste Kinderbuch, das er fertigstellte, "Das war der Hirbel", war die Geschichte eines behinderten Kindes. Oder "Ben liebt Anna",ein Liebesroman für Kinder, den Härtling Anfang der 80er Jahre schrieb. Es war dies der seltene Glücksfall, dass ein Autor sowohl für Kinder als auch für Erwachsene zu schreiben verstand, wobei man immer wieder staunend feststellen konnte, wie sich eine gewisse Weichheit im erzählerischen Naturell mit einer klaren, unaufgeregten Sprachhaltung traf.

Sein eigentliches Terrain blieb bei alledem der Künstlerroman. Der Dichter Nikolaus Lenau steht im Mittelpunkt des 1964 erschienenen Buches "Niembsch oder Der Stillstand". Zwei Jahre später folgte "Janek - Porträt einer Erinnerung", eine Art chiffrierte autobiographische Bestandsaufnahme.

In dem 1976 herausgekommenen Roman "Hölderlin" zeichnete Härtling den Weg des Dichters in die geistige Umnachtung nach, zwanzig Jahre danach erschien sein Künstlerroman "Schumanns Schatten".

Nicht alles ist Härtling gelungen. An E.T.A.Hoffmann ("Vielfältige Liebe" von 2001) kam er irgendwie nicht heran. Seine "Romanze" blieb an der Oberfläche stecken. Die schwierige, bizarre Gestalt Hoffmanns entzog sich ihm. Härtling hatte aber meistens eine feste Vorstellung von seinem Sujet, er näherte sich ihm nicht mit der Absicht, womöglich etwas Unbekanntes zu entdecken, sondern hielt sich an die eigene Mystifikation.

Doch dann - Härtling war 72 Jahre alt - die Erfahrung der Todesangst. Die Ärzte diagnostizierten einen Vorderwandinfarkt mit Lungenödem. Dazu ein Hirnschlag mit angstmachenden Folgen. Härtling hat über diese Begegnung mit dem Tod geschrieben. Er hatte Glück, großes Glück - von Lähmungen und Sprachstörungen blieb nichts zurück. Peter Härtling schrieb weiter, über Fanny Mendelsohn und zuletzt über zwei Männer, die sich der Kunst verschrieben haben ("Tage mit Echo") und über Verdi, dessen Musik er so liebte.

Peter Härtling, ein Melancholiker und Skeptiker zugleich, hatte eine Eigenschaft, die man auch im Kulturleben selten antrifft: Menschenfreundlichkeit. Sie half ihm, Hürden zu nehmen, an denen viele seiner Zunft ins Stolpern geraten. "Literatur trägt nach, sie eilt selten voran." Das war sein - historisch bestimmtes - Verständnis von Literatur. Dieser in Traurigkeit lebensfroh gewordene Geschichtenerzähler - er hatte im deutschsprachigen Raum nicht Seinesgleichen.

Reichhaltiges Werk

  • Als einer der produktivsten deutschen Autoren ist Peter Härtling (geboren am 13. November 1933 in Chemnitz, gestorben am 10. Juli 2017 in Rüsselsheim) bekanntgeworden.
  • Er hinterlässt ein opulentes Werk mit Gedichtbänden, Romanen, Erzählungen, Kinderbüchern, Theaterstücken, Essays und Kritiken. Ein zentrales Thema seines Werkes ist das Erinnern: die Aufarbeitung der Geschichte und der eigenen Vergangenheit.
  • Einen weiteren Schwerpunkt bilden Künstlerromane. Härtling befasste sich intensiv mit der Literatur und Musik der Romantik. Er machte die Lebensgeschichten der Schriftsteller Friedrich Hölderlin, Wilhelm Waiblinger und E. T. A. Hoffmann sowie der Komponisten Franz Schubert und Robert Schumann zu Themen von Romanbiografien.
  • Seine Kinder- und Jugendbücher behandeln soziale Probleme, die Härtling mit großer Sensibilität darstellt

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