Rostock/Mannheim. Der Mannheimer Xavier Naidoo darf 2022 nicht in der Rostocker Stadthalle auftreten. Das hat die Bürgerschaft der Hansestadt am Mittwochabend mit 27 zu 21 Stimmen ohne Enthaltung entschieden. Damit wurde nach ausgiebiger, kontroverser Debatte ein Antrag der Fraktionen von Die Linke, Bündnis90/Die Grünen und SPD angenommen. Es geht um ein ursprünglich 2020 geplantes und wegen der Pandemie auf August 2021 verschobenes Konzert des umstrittenen Popsängers, für das ein Ersatztermin im Jahr 2022 gesucht wird.
Die Antragsteller waren sich sich einig, dass erneute Konzertvereinbarungen mit Xavier Naidoo nicht getroffen werden sollen, „Es besteht dafür keine vertragliche Verpflichtung. Nach Überzeugung der Antragsteller sollte eine kommunal getragene Institution keine Geschäftsbeziehungen zu X. Naidoo eingehen“, hieß es im Antrag. Zur Begründung formulierten die Bürgerschaftsvertreter, dass der Mannheimer den Reichsbürgern und der QAnon-Bewegung nahestehe und sich in diesem Zusammenhang selbst als Person „im Widerstand“ gegen das System sehe. Er bediene in persönlichen Äußerungen und Texten antisemitische Verschwörungsmythen und schüre rassistische Ressentiments. „Die antragstellenden Fraktionen wollen nicht, dass einem Menschen, der solche Ansichten offen und wiederholt artikuliert, eine kommunale Einrichtung für Konzertauftritte zur Verfügung gestellt wird. Ein erneutes Auftrittsangebot würde den Ruf der Stadthalle der Hanse- und Universitätsstadt insgesamt schädigen“, hieß es im Antrag.
Kein Sänger mehr, sondern politischer Akteur
Vor einem Jahr hatte die Bürgerschaft nach ähnlich intensiver Debatte noch zugestimmt.Demgegenüber habe sich laut Andreas Tesche (Bündnis90/Die Grünen) aber der Sachverhalt geändert, es ginge um eine neue Vertragsschließung – was die Vertreter der bürgerlichen Parteien CDU, FDP und Rostocker Bund sowie die Verwaltung um Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen anders beurteilen. Tesche betonte, es ginge nicht um Cancel Culture, man achte Meinungs- und schrankenlose Kunstfreiheit – nur sei der demokratische Rechtsstaat eben nicht der Freund von Xavier Naidoo. Auch Christian Reinke von der SPD betonte, es ginge nicht um rassistische Texte, sondern um die demokratiefeindlichen Ziele des Sängers: „Von Verbot kann keine Rede sein. Aber in Gebäuden, die wir verwalten, darf nicht gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gearbeitet werden.“ Andreas Engelmann (Die Linke) verwies auf das Hausrecht: „Wenn es mir zu bunt wird, übe ich es aus.“ Tenor im Lager der Antragsteller: Naidoo ist längst kein Sänger mehr, sondern ein politischer Akteur.
Vorwürfe „rechtlich irrelevant“
FDP-Vertreter Christoph Eisfeld nannte die Bezeichnung von Xavier Naidoo als Extremist „rechtlich irrelevant“. Chris Günther von der CDU fragte „Muss Demokratie das nicht aushalten können“. Und verwies darauf, dass es keine straf- und verfassungsrechtlichen Verfahren gegen diesen Künstler gebe. Sybille Bachmann (Rostocker Bund) verwies darauf, dass auch kein einziges Naidoo-Lied indiziert sei. Julia Kristin Pittasch (FDP) verwies darauf, dass eine Veranstaltung nur verboten werden dürfe, wenn von ihr eine konkrete Gefahr ausgehe, und dass es Gerichtsurteile (in Mannheim und Würzburg, Anm. der Redaktion) gebe, denen zufolge Naidoo nicht als Antisemit bezeichnet werden dürfe. AfD-Vertreter Thomas Koch sekundierte, dass man vorsichtig sein müsse, wenn man dem Sänger Leugnung des Holocausts unterstelle: „Der Mann hat bestimmt gute Anwälte.“ Er sei auf Naidoos Telegram-Kanäle, da verbreite er selbst nur „Love“. Pittasch wies auf die Gefahr hin, dass ein Untersagen des Konzerts in Teilen der Bevölkerung die schon vorhandene Ablehnung des Staates noch befördern könne.
Das parteilose Stadtoberhaupt Madsen hatte in der Erklärung der Stadtverwaltung gegen eine Ablehnung des neuen Naidoo-Termins argumentiert und dabei unter anderem auf den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz verwiesen: Bei der Vermietung einer kommunalen Einrichtung dürfe „also kein Veranstalter oder Künstler ausgeschlossen werden, weil zum Beispiel die religiösen oder politischen Ansichten nicht geteilt werden, solange diese nicht verfassungswidrig sind. Dies liegt im aktuellen Fall nicht vor.“ Außerdem erinnerte Madsen an die vertragliche Verpflichtung, die auch bei einer Konzertverlegung weiterbestehe. Der OB hatte schon im Vorfeld der Sitzung Bedenken mit Blick zukünftige, ähnlich gelagerte Fälle geäußert: „Öffentliche, kritische Meinungsäußerungen von prominenten Personen polarisieren sehr stark. Gerade unter aktuellen Bedingungen ist dies der Presse deutlich zu entnehmen. Somit läuft die inRostock GmbH und demnach die Hanse- und Universitätsstadt Rostock Gefahr, dass Künstler, die sich öffentlich kritisch äußern, in Rostock nicht willkommen sind.“ Diese Bedenken seien bestärkt worden durch Wortmeldungen aus der Kulturszene an den Oberbürgermeister, denen zufolge man sich ganz klar von der persönlichen Haltung Xavier Naidoos distanziere, jedoch ein Auftrittsverbot für grundsätzlich falsch halte und davor warne, Naidoo mit dem Konzertverbot eine größere Bühne zu bieten als mit einem Auftritt in der Stadthalle.
Oberbürgermeister Madsen hat laut Stadtverwaltung nun zwei Wochen Zeit, seine rechtlichen Bedenken geltend zu machen und gegen die Entscheidung Widerspruch einzulegen. Dann müsste sich der Rat im Juni erneut mit dem Naidoo-Konzert beschäftigen.
Andere Situation in Mannheim
Ähnlich hatten Mannheimer Kommunalpolitiker auch argumentiert, als das ursprünglich im August 2020 auf der Ladenburger Festwiese geplante und vor Ort umstrittene Naidoo-Konzert in die SAP Arena (9. Oktober 2021) verlegt wurde. Anders als in Rostock und Ladenburg, wo die Veranstaltungsorte den Gemeinden gehören, hat die Stadt Mannheim allerdings keine Handhabe, ein Konzert in einem privatwirtschaftlich betriebenen Veranstaltungshaus zu untersagen.
SAP-Arena-Chef Daniel Hopp verwies auf Anfrage dieser Zeitung nach der Verlegung lediglich auf die langjährige Verbundenheit seines Hauses mit dem Sänger: „Xavier Naidoo ist seit Eröffnung der SAP Arena fester Bestandteil unseres Veranstaltungskalenders, war stets ein gern gesehener Gast.“ In den vergangenen 15 Jahren habe er die Arena als Solokünstler, als Mitglied der Söhne Mannheims oder im Rahmen von Charity-Formaten 14-mal gefüllt – meist bis auf den letzten Platz. Hopp: „Es obliegt nicht uns als Veranstaltungsstätte, über Äußerungen des Künstlers zu urteilen. Gerade in der aktuellen wirtschaftlich verheerenden Situation, in der es auch darum geht, die Arbeitsplätze unserer Mitarbeiter zu erhalten, ist es unsere Aufgabe und Pflicht, eine hohe Auslastung der SAP Arena sicherzustellen.“ Der Mannheimer Naidoo-Auftritt am 9. Oktober könnte also stattfinden, wenn es die Pandemie-Bedingungen bis dahin erlauben. Nach Informationen dieser Redaktion ist bislang etwa die Hälfte des Kartenkontingents verkauft.
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