Klassik - Auf dem Leipziger Marktplatz interpretieren 95 Sänger Luther-Thesen in einer üppigen Konzertinstallation

Riesiger Aufwand für schmales Ergebnis

Von 
Ute Grundmann
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Das Abendmahl auf dem Leipziger Marktplatz.

© Lumalenscape GmbH&FZML e.V.

95 leere Stühle stehen an den Längsseiten einer 42 Meter langen Tafel. Der Tisch ist aus dunklem Holz, die Stühle sind rostfarben. Die Rückseiten der Lehnen sind mit Federn gefüllt, auf dem Plexiglas darüber steht in winzigen, gotisch anmutenden Buchstaben jeweils eine der 95 Thesen Martin Luthers auf Latein: "Remissio tamen et participatio Pape nullo modo est contemnende, quia (vt dixi) est declaratio remissionis divine." (Doch dürfen der Erlass und der Anteil (an den genannten Gütern), die der Papst vermittelt, keineswegs gering geachtet werden, weil sie - wie ich schon sagte - die Erklärung der göttlichen Vergebung darstellen).

Die Luther-Thesen sollen das Bindeglied sein in der Konzertinstallation des Leipziger Komponisten Thomas Christoph Heyde, die auf dem Leipziger Markt uraufgeführt wurde - mit dem Titel "Abendmahl - abnehmender Schrecken / zunehmende Liebe". Das Problem dabei: Schon in der Helligkeit sind die Luther-Zeilen schwer zu lesen, in der Dunkelheit des Abends dann gar nicht mehr. Und so lässt sich schwer ausmachen, was die 430 verschiedenen Gesten, die die sitzenden Sänger stumm ausführen - beten, flehen, abwinken, Kopf auf den Tisch legen - mit den Luther-Zeilen zu tun haben sollen. Alles ist groß gedacht, nicht nur die Tafel, die noch zwei Tage an ihrem Platz bleibt. Für die Partitur mussten zwei Meter hohe Blätter angefertigt werden.

Text kaum hörbar

Die 95 schwarz gekleideten Sänger, die wie aus dem Nichts auftauchen (tatsächlich aus ihrer Garderobe in einem nahen Nobelhotel), tragen Gesten- und Notenpartitur mit sich. Produzent des Projektes ist das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig, dessen geschäftsführender künstlerischer Leiter der Komponist ist. Ganz an den Anfang hatte er einen Text gestellt, in den hörbar das "Vaterunser" eingewebt ist: "Wo ist unsere Mutter?" fragt eine dunkel-raunende Stimme aus dem Off, "ach Vater, sei unsere schützende Mutter". Zeilen daraus wie "unser täglich Brot, unser täglich Tun", singen dann später auch die 95 Choristen aus Meiningen und Dresden. Zum Ende hin erklingt Lautmalerisches in diesem A-cappella-Werk: zischendes "Sch", drängendes "Rememrem", klagendes "Auauau".

Doch auch hier sind nur Wortfetzen zu verstehen: "die Nacht", "die Ahnen". Am Schluss lacht ein Sänger, alle anderen machen mit den Armen die Geste des Wiegens. Dann legen alle die Köpfe auf den Tisch. Nach zwanzig Minuten ist alles vorbei. Ein riesiger Aufwand für ein doch eher schmales Ergebnis.

Freie Autorin

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