Literatur

Publizist Roger Willemsen fragt posthum: Liegen Sie bequem?

Der neue Band von Roger Willemsen, anlässlich seines 70. Geburtstags posthum herausgegeben von Insa Wilke, feiert den Tausendsassa des Kulturbetriebs.

Von 
Erika Deiss
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Der Autor Roger Willemsen 2014 auf der Leipziger Buchmesse. © picture alliance / dpa

Mannheim. Aus Anlass des 70. Geburtstags des im Jahr 2016 verstorbenen Roger Willemsen hat seine Nachlassverwalterin Insa Wilke einen Band mit Texten des Publizisten, Fernsehmoderators und Filmproduzenten vorgelegt, der alles in den Schatten stellt, was über diesen ungestümen Tausendsassa des Kulturbetriebs zu sagen war und ist. Den Mannheimern ist Willem­sen auch als der Schirmherr des Literaturfests lesen.hören ein Begriff, das er ab 2007, von 2013 bis 2015 auch als Programmleiter betreut und dort Literatur mit „anderen Kunstformen wie Fotografie und Musik“ verknüpft hat.

„Liegen Sie bequem? Vom Lesen und von Büchern“ heißt der Band, der jetzt nachdrücklich dazu einlädt, Literatur in allen ihren vielgestaltigen Facetten, ihre Möglichkeiten, Grenzen und Fundie­rungen repräsentativ zur Sprache, zum verbürgten Wort, zu bringen. Der studierte Germanist und Kunstgeschichtler, der nicht weniger als Übersetzer oder freier Autor tätig war, betätigte sich eben­falls als Nachtwächter, Reiseleiter und Museumswärter.

Das Buch als Summe eines Leselebens

Wer aber so viel Leben in sich aufgenommen hat, wird auch durch seine universitäre Tätigkeit als Gastprofessor an der ungesicherten Fasson der Wirklichkeit nicht irre. „Tragödien der Forschung. Über eine Literaturwissenschaft ohne Literatur“ heißt etwa ein großartiger Essay des Intellektuellen Willemsen, der das entschiedene Fazit zieht: „Dabei verschwindet die Gegenwart als wissenschaft­lich irrelevant, der Forscher als wissenschaftlich irrelevant und die Literatur als ebenfalls wissen­schaftlich irrelevant. Zurück bleibt eine Tätigkeit, die ganz und gar aus der grotesken Selbstbestäti­gung der Wissenschaft besteht, und in der Autoren bloß noch als Geiseln mitgeführt werden.“

Wehe auch den Säulenheiligen, den Kroetz und Rinser, die im Verein mit der „Zerstörungskraft von Meinungen“ letztlich für „haltungslosen Opportunismus unter dem Deckmantel des Engagements“ stünden, so fasst es Insa Wilke zusammen, die Kritikerin, Publizistin und Programmleiterin von „lesen.hören“, die das Buch herausgegeben hat. „Roger Willemsen und die Bücher – das war eine mitreißende Liebe, übermütig und intensiv. Kaum einer redet heute so lustig, offen und zugleich tiefernst vom Lesen, wie er es tat, ganz gleich, ob er kritisiert oder schwärmt, huldigt oder durchleuchtet“, weiß der Klappentext bestimmt. Auch seine Analyse des Obszönen ist ein Highlight – wie ja überhaupt das ganze Buch, gleich einer Perlenkette, aus nichts anderem als lauter Highlights, einem Feuerwerk grandioser Schilderungen und Beobach­tungen, immer in den je genau gewählten Satz hineingehext, besteht.

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So ist dies singuläre Buch die Summe eines Leselebens, das verheißungsvolle Rendezvous von Sinn und Sinnlichkeit, Hingabe und Kritik, Seriosität und Witz. Eine lebendige Bibliothek aus Aufklä­rung und Amüsement, Ermunterung und Trost. Der Leser ist so nicht zuletzt Insa Wilke ob ihrer zugänglich gemachten furiosen reichen Ernte zumal abseitig publizierter Texte einmal mehr zu Dank verpflichtet.

Buchinfo: Roger Willemsen: „Liegen Sie bequem? Vom Lesen und von Büchern“. Herausgegeben von Insa Wilke. S. Fischer Verlag. 446 S., 28 Euro.

Freier Autor Studium der Germanistik und Philosophie; Promotion in Philosophie. Rund zwanzig Jahre für den Rundfunk tätig: Musiksendungen, Features, Hörspiele und Rezensionen.

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