Literatur

Prosa von Eberhard Hilscher: Satire und Science-Fiction

Der Heidelberger Flur-Verlag lädt zu einer literarischen (Wieder-) Entdeckung ein. Neu erschienen sind dort Erzählungen des ostdeutschen Autors Eberhard Hilscher.

Von 
Thomas Groß
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Die Weltzeituhr auf dem Berliner Alexanderplatz war zu Zeiten der DDR ein beliebter Treffpunkt - und ist es geblieben. Der Schriftsteller Eberhard Hilscher benannte nach ihr einen Roman, der als sein Hauptwerk gilt. © picture alliance/dpa

Heidelberg. Der deutsche Schriftsteller Eberhard Hilscher saß zeitlebens zwischen den Stühlen. Sein teils fantastisch-surreales und mit Elementen der Science-Fiction spielendes Werk wurde in geläufigen (west-)deutschen Handbüchern zur Gegenwartsliteratur zumeist übergangen. In der DDR, wo der 1927 im heute polnischen Schwiebus geborene und 2005 in Berlin gestorbene Autor die längste Zeit lebte, hatte er mit der Zensur zu kämpfen. Der als Hilschers Hauptwerk geltende Roman „Die Weltzeituhr“ erschien erst posthum, 2017, in der vom Autor gewünschten Form.

Den offiziell propagierten sozialistisch-realistischen Stil lehnte Hilscher ab und verhehlte nie seine Sympathie für die in der DDR verpönten künstlerischen Avantgarden. Er hütete sich aber auch davor, mit seinen stets pointiert geschriebenen, ironischen und zuweilen satirisch wirkenden Prosatexten als echter Dissident zu gelten, denn das hätte für ihn bedeutet, nicht einmal mehr eingeschränkte Publikationsmöglichkeiten nutzen zu können. Nach der Wiedervereinigung haderte auch Hilscher mit den neuen marktwirtschaftlichen Gegebenheiten und der (westlichen) Gewohnheit, alles Angestammte aus den neuen Bundesländern bestenfalls skeptisch zu betrachten. Anerkennung fanden seine Monografien großer Autoren wie Thomas Mann und Gerhart Hauptmann, doch einen Stammverleger fand Hilscher auch nach 1990 nicht.

15 Erzählungen ausgewählt und mit Nachwort versehen

Dass er vor allem in der Literatur seine Heimat hatte und ein gelehrter Autor war, bestätigen nicht nur die Monografien. Sein von Zitaten und Verweisen strotzendes belletristisches Werk zeigt es nicht weniger. Und nicht zuletzt gilt das für die zwischen 1961, zur Zeit des Mauerbaus, und 1993 geschriebenen Erzählungen, die er unter dem etwas altmodischen Titel „Rendezvous der Träumer, Narren und Verliebten“ publizieren wollte, die bislang großteils unveröffentlicht blieben. Dem Engagement des Kulturjournalisten Volker Oesterreich und dem Heidelberger Flur-Verlag ist es zu verdanken, dass Hilscher nun auch damit eine literarische Öffentlichkeit finden kann. Oesterreich, Redakteur der „Rhein-Neckar-Zeitung“, hat 15 der ursprünglich 22 für die Textsammlung vorgesehenen Erzählungen ausgewählt und mit einem kundigen Nachwort versehen. Der geschmackvoll gestaltete Band ist hervorragend geeignet, Eberhard Hilscher wiederzuentdecken - oder auch, was wahrscheinlicher ist, erst noch kennen- und schätzen zu lernen. Denn auch thematisch und formal lässt sich an diesen Erzählungen ein repräsentativer Überblick zu Hilschers Gesamtwerk gewinnen.

Buch und Präsentation



Eberhard Hilscher: „Rendezvous der Träumer, Narren und Verliebten“. Erzählungen. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Volker Oesterreich. Flur Verlag, Heidelberg. 256 Seiten, 24 Euro.

Die Verlegerin Alexandra Beilharz stellt das Buch im Gespräch mit Herausgeber Volker Oesterreich am 5. Juni, 19 Uhr, im Haus Cajeth vor (Heidelberg, Haspelgasse 12).

Das Spektrum reicht von gesellschaftskritischen und satirischen Erzählungen bis zu solchen, die sich technisch-naturwissenschaftlichen Neuerungen widmen, seien es fiktive oder reale, darunter auch solche, die Hilscher prognostizierte und die mittlerweile wirklich geworden sind: 3D-Drucker finden sich hier ebenso schon wie künstliche Intelligenz, und zu Hilschers Schreibzeit wie noch heute darf man davon ausgehen, dass, wer ein wirkmächtiges Krebsmedikament erfände, umgehend den Nobelpreis erhielte.

Literarische Stoffe und Motive zitiert Hilscher oder variiert sie reizvoll, darunter auch Goethes Faust-Drama. Real Erlebtes wird zu einer Handlung verdichtet, die schier unglaublich scheint, so zu sehen an einem Germanistensymposium auf einem Schloss am Rhein in der Erzählung „Trunkener Schmock und Liederabend“. In „Dichter im Visier“ spiegelt Hilscher sein eigenes Autorenschicksal, die Erfahrung, aus der Zeit zu fallen. Eine Parabel auf den Stalinismus sind die „Protokolle eines Diktatorspielers“, wo sich ein Ich-Erzähler auf Einladung oder vielmehr Befehl des „großen Ferro“, der „unser Volk glückselig“ machte, als dessen Double erprobt; eine Praxis, die der reale Stalin aus Angst vor möglichen Attentätern tatsächlich ausführen ließ.

Die Erzählung „Ein Tag - ein Leben“ ist besonders gelungen

Eine ironische Anverwandlung propagandistischer Literaturziele findet sich in „Passage, Zafra und Courage“; den realen Hintergrund bietet die Partnerschaft zwischen der DDR und dem sozialistischen Kuba. Der „real sozialistische“ DDR-Staat und dessen Leitfiguren Ulbricht und Honecker werden in „Hottibaals Verewigung“ verballhornt: Am Ende bleibt der vergreiste Führer allein im Staatswesen zurück, dessen reales Vorbild Hilscher regelmäßig als „Osuela“ oder „Sosland“ in seine Literatur einführt.

Nicht alle Geschichten sind gleichermaßen geglückt, aber besonders gelungen ist die letzte: „Ein Tag – ein Leben“: Falko, Cordula und ein Ufo spielen die Hauptrollen; das Paar lässt sich auf die Offerte des „flirrenden, klingenden Weltgeistleins“ ein und durchlebt einen vollen erfüllten Tag in illustrer Gesellschaft. Doch Unsterblichkeit finden sie nicht, wie man am Ende erfährt. Und was findet man in diesem Buch? Eines gewiss: eine lohnende Lektüre.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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