Literatur

„Prinzessin Alice“: Irene Disches ergreifendes Porträt einer Royalen

Irene Disches neuer Roman „Prinzessin Alice“ erzählt das dramatische Leben einer gehörlosen Adligen zwischen Irrenhaus und Griechenland.

Von 
Erika Deiss
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Irene Dische, deutsch-amerikanische Schriftstellerin, während der ARD-Talksendung bei Anne Will. (Archivbild) © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Mannheim. Irene Dische vorstellen, hieße fast Eulen nach Athen tragen. Die 1952 in New York geborene Autorin, die überwiegend in Berlin und Rhinebeck, USA, lebt, hat seit ihrem Bestseller „Großmama packt aus“ ein gutes halbes Dutzend immer wilderer, tumultuarischer und wirklichkeitsgesättigter Romane und Erzählungen, immer mit einem Realismus ohnegleichen, vorgelegt. Ihr Stil hat Witz und Tempo, er ist voller „frommer Lügen“, „von graziöser Leichtigkeit, sparsam und genau in den Mitteln, heiter und trocken im Ton, dabei verstohlen zärtlich“, hatte „Der Spiegel“ ihn einmal charakterisiert.

Ein Leben zwischen Adelsstolz und Wahnsinn

Jetzt also „Prinzessin Alice“. Nicht zu verwechseln mit Alice im Wunderland. Hinter den Spiegeln dräut nur rabenschwarze Nacht. Ein halbes Leben weggesperrt im Irrenhaus. Zum Glück ist Alice gläubig, mancher hält sie gar für eine Heilige. Aber das kratzt sie nicht. Alice ist von blauem Blut, die legendäre Queen Victoria war ihre Urgroßmutter, und Prinzessin Alice, eine Battenberg, ist viel zu Adelsstolz, um auf den Klatsch und Tratsch ihrer Umgebung auch nur das Mindeste zu geben.

Familie allerdings – das ist für Alice das todsichere A und O ihres so turbulenten wie disziplinierten Lebens. Daher schmerzt es sie besonders, dass sie ihre Kinder – sie hat vier Töchter sowie einen Sohn, Prince Philip, der späterhin der Ehemann von Queen Elizabeth II. werden wird – im Irrenhaus nicht sehen darf. Dass sie ein fast schon sexuelles, jedenfalls ein hocherotisches Verhältnis zu dem blechernen, einst auf der Straße aufgeklaubten Jesus hat, den sie auf Schritt und Tritt herumschleppt, gilt ihrer Entourage als untrügliches Zeichen ihrer haltlosen Verrücktheit. Dass sie sich als „Gottes Frau“ versteht und sich bereits im Irrenhaus ein Habit näht, auch später einen Orden gründet, passt ins Bild der schrulligen Fantastin.

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Prinzessin Alice war seit ihrer Geburt gehörlos und lernte in fünf Sprachen Lippenlesen. Irgend­wann – o Wunder – stellt sich aber ihr Gehör ein, was sie freilich reserviert verschweigt. Wozu auch? Wäre nicht ihr Personal gewesen, Alice hätte keinerlei Vertraute auf der ganzen Welt gehabt. Ge­wiss, man schreibt sich. Doch man sieht sich einzig anlässlich des pomphaften Begräbnisses, als die Prinzessin eine ihrer Töchter samt der ganzen eigenen Familie bei einem Flugzeugabsturz Knall auf Fall verloren hatte. Inzwischen ist sie unter infernalischer Gefahr dem Irrenhaus entronnen und lebt unter größter Einsamkeit in Griechenland, wo sie eine Suppenküche für die Ärmsten unterhält, bis das Land Ende der 1960er Jahre einem Militärputsch martervoll zum Opfer fällt. So heißt das Schlusskapitel des Romans auch schlicht „Zuhause“. Das war die Familie, später ihre Nonnen­tracht. Zu Hause sind die Battenbergs überall, und sie „regieren weiter bis in alle Ewigkeit. Friede auf Erden“.

Soweit die Vita der Prinzessin Alice, wie Disches Roman sie zeichnet, eine überaus gelungene und vollblütige Existenz, die in den Ahnen ihr demonstratives Vorbild hat. Prinzessin Alice – Irene Dische hat ihr unverhofft ein unerhörtes Denkmal, beispielloses Ehrenmal gesetzt.


Zum Buch

Prinzessin Alice: Das tragische Leben einer schillernden Prinzessin! Roman. 2025. Claasen Verlag. 144 Seiten. 20 Euro.

Freier Autor Studium der Germanistik und Philosophie; Promotion in Philosophie. Rund zwanzig Jahre für den Rundfunk tätig: Musiksendungen, Features, Hörspiele und Rezensionen.

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