Gefühltes Glück. Wenigstens partiell. Drei Jahre nach den krassen Eruptionen der Hammerklavier-Sonate die Versöhnung in E-Dur, op. 109, ein Ausflug zur milder gestimmten Welt. Doch die wunderbaren poetischen Momente dort sind nicht alles. Sich darauf zu beschränken, würde weder dem Komponisten Beethoven gerecht, obwohl er selbst sein Variations-Finale „mit innigster Empfindung“ gespielt haben möchte, noch der Pianistin Hélène Grimaud, die ihren Pro-Arte-Klavierabend im Mozartsaal des Mannheimer Rosengartens mit Beethovens drittletzter Sonate beginnt.
Das einleitende achttaktige Vivace formt sie so leicht und schwerelos, als wäre sie bereits mittendrin in der Sonate und nicht erst an deren Anfang. Das schärft den Kontrast zum folgenden Adagio espressivo, dessen heftige Impulse Grimaud konsequent auslotet und einer Strategie des Wollens und Müssens überlässt. Unterschwellig wird hier für den weiteren Verlauf eine Spannung entwickelt, die dem Werk jene konstruktive Unruhe sichert, die typisch ist für Beethovens dialogisierendes Denken.
Was sie der Tastatur entlockt, fügt sich stets zu einer deutlich ausgeprägten Klangsprache von hoher Distinktion im Ausdruck und von frappierender Logik im Inneren, wenn es gilt, durch das Aufdecken rhythmischer, melodischer und harmonischer Zusammenhänge taktübergreifende Einheiten zu schaffen, die zwanglos auf das Ganze zielen. Die vom Komponisten gewünschte „innigste Empfindung“ ist das allerdings nicht. Zumal Grimauds klarer, prononcierter Anschlag selten die dafür notwendige Betriebstemperatur bereithält. Sie bringt vieles mit, was zu einem gefestigten Umgang mit Beethoven erforderlich ist. Doch gelegentlich fehlt ihrem Spiel jene Authentizität, die sich nur Künstler leisten können, die ihrer Sache vollkommen sicher sind.
Emotionalität und Rationalität
Bei Brahms und seinen drei Intermezzi op. 117 ist das entschieden leichter. Das geht ohne Melancholie und Wärme nicht. Alles Spätwerke, in denen offenbar die früheren Bedrohungen des eigenen Lebens einer eher meditativen Betrachtung gewichen sind. „Wiegenlieder seiner Schmerzen“, hat Brahms sie genannt. Für Grimaud mehr als eine Gelegenheit, ihr subtiles Einfühlungsvermögen zu beweisen, mit der sie Weiches, Atmendes, Reifes oder Singendes ohne Katastrophenzusatz vermittelt. Restbestände einer schönen Welt mit sensibel ausgehörten Balanceakten zwischen Emotionalität und Rationalität.
Im Unterschied dazu sind die sieben Fantasien op. 116 deutlich experimenteller angelegt. Grimaud entdeckt vor allem in den schnellen Abschnitten beim alten Brahms schichtenspezifische Auflösungen der kompositorischen Strukturen. Häufig vollgriffige Tonverdichtungen, die Grimauds Sinn für Klangfarben hörbar motivieren. Seltsamerweise leitet sie direkt zu Ferruccio Busonis Bearbeitung der Bach-Chaconne für Violine solo über. Ein Fest für Liebhaber der Virtuosität, gewissermaßen ein akrobatischer Akt unter der Zirkuskuppel, atemberaubend bisweilen, aber auch nicht frei von narzisstischer Selbstdarstellung. Wie Grimauds Finger brillant über die Tasten tanzen, versetzt in Staunen, verlangt nach uneingeschränkter Bewunderung, die ihr das begeisterte Publikum auch nicht verweigert.
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