Mannheim. Willkommen am Ende der Welt! Dort sehen wir Aries, deren Name Schaf bedeutet, wie sie sagt, die Schriftstellerin ist, in die Träume anderer Menschen springen kann und einen Mann namens T liebt. Und da ist der Astronaut, der so ungerührt rational veranlagt erscheint („Fakten faszinieren mich“), dass ihm die Gilde der den Weltraum bereisenden Vulkanier (dieser „Star Trek“-Verweis sei gestattet, denn an diesem Nationaltheater-Abend werden uns noch weitere popkulturelle Zitate begegnen) wohl spontan einen Ehrensitz antrüge. Aries indes ist von trauriger Angst umfangen, weil die Welt der beiden, OO (gesprochen: „Doppel-O“), von einem Schwarzen Loch verschlungen wird.
Er aber sieht keinen Untergang, sondern eine Transformation: „Nichts wird verlorengehen, nichts verschwinden“, denn es sei, „wie wenn man ein Räucherstäbchen abbrennt: Etwas Festes wird zu Luft.“ Beide sprechen und bewegen sich zunehmend langsamer, während der dunkle kosmische Leviathan seine gravitativen Fangarme fester um den untergehenden Planeten schlingt. Auch das Ticken der Uhr, das im Studio Werkhaus zu hören ist, nähert sich dem Stillstand. Es ist eine starke, so skurrile wie eindrückliche Szene, bei der man sich als Zuschauer fragt, ob die beiden (wären sie reale Personen) es subjektiv spüren würden, wenn die wachsende Massenanziehung die Zeit allmählich zum Erliegen bringt (Stichwort: Zeitdilatation).
Reise dauert 200 Jahre
Aber mehr noch als um Physik geht es um Metaphysik in dem Stück „Sound Everywhere In The Universe“, geschrieben von Pat To Yan, Hausautor am Mannheimer Nationaltheater, der bei dieser Uraufführung auch Regie führt und damit zugleich seinen dreiteiligen „Posthuman Journey“-Zyklus beendet. Yan erzählt darin in mehrdeutigem Sinn vom Reisen: Als Bewegung durch den interstellaren Raum wie auch als Prozess der Veränderung. Denn T (gespielt von Christoph Bornmüller), der die kosmische Katastrophe überstanden hat, will Aries (Jessica Higgins) wiederfinden und hierzu an den „Ausgang“ des Schwarzen Lochs gelangen.
Auch wenn diese Reise 200 Jahre dauert und er sich wiederholt klonen muss, um sie durchzuführen, glaubt T doch an etwas „Unveränderliches“ im Kern des Menschen, an einen „Keim des Bewusstseins“, der fortbestehen wird. Auch die Bewohner des Planeten OO werden wohl nicht dieselben sein, sondern im Schwarzen Loch „dekodiert und dann wieder neu kodiert“, wie der Astronaut (Rocco Brück) mutmaßt.
Der Autor und sein Stück
- Der Dramatiker und Regisseur Pat To Yan, wurde 1975 in Hongkong geboren.
- In der Spielzeit 2021/2022 ist Yan Hausautor am Mannheimer Nationaltheater (NTM).
- Das von ihm geschriebene und selbst inszenierte Stück „Sound Everywhere In The Universe“ wurde von Ulrike Syha aus dem Englischen ins Deutsche übertragen.
- Die Uraufführung markiert zugleich den dritten und abschließenden Teil von Yans „Posthuman Journey“-Zyklus.
- Die nächsten Vorstellungen von „Sound Everywhere In The Universe“ finden am Donnerstag, 31. März, und am Samstag, 2. April, jeweils um 20 Uhr im Studio Werkhaus statt.
Visuell geht es mit bunter Extravaganz zu, auf der von Flurin Borg Madsen eingerichteten Bühne und vor allem beim Blick auf Davide Raiolas Kostüme. Zum illustren Figuren-Kabinett zählen die offenkundig seit Äonen in einem Duell-Konflikt verstrickten Wesen namens Die Ansammlung gequälter Seelen (in veritabler „Kill Bill“-Racheengel-Montur: Sophie Arbeiter) und Die Ansammlung des Bösen im Menschen (in pinker Militäruniform und weißen Kontaktlinsen: Boris Koneczny). Letzterer hat mit seinem Plan, die gesamte Dunkle Materie im Universum zu komprimieren, die Ausgangs-Katastrophe überhaupt in Gang gesetzt. Die Katze mit einem Loch (Jacques Malan formt diese Figur mit pelzig-erratischem Charme zum unbedingten Lieblingscharakter!), die unter allen Lebewesen „Gott am nächsten“ komme, stattet T mit einem Raumschiff aus, dem „Space Train“. Begleitet wird T darin dann von der Schwester des Astronauten, Scorpio (Vassilissa Reznikoff).
Manchmal driftet das Geschehen etwas Sternen-nebelig verstäubt an uns vorbei, aber meist fesselt diese auf allen Positionen mit beherzter Verve gespielte Fahrt, die einen durch einen schillernd-schrillen, irgendwo zwischen „Doctor Who”, Stanislaw Lems „Sterntagebücher“, „Alice im Wunderland“ und Stephen-Hawking-Meditationen zu verortenden Ideen- und Bilder-Kosmos führt. Dazu gibt es stimmig-muntere Retro-Elektro-Sounds, psychedelische Projektionen (Musik und Video: Philippe Mainz) und sympathisch verspielte Details, wie das Zähneputzen vorm Weltraum-Winterschlaf oder das Badewannen-Bällebad, bei dem T und Scorpio räsonieren, wie sehr sie nach dem Klonen noch sie selbst sind.
Dem Gedanken an einen ewigen Kreislauf begegnet man schließlich auch in finsterer Form wieder: Dieselbe Spezies Mensch, von der es heißt, dass sie einst die alte Erde verseucht und dann verlassen habe, steht am Reiseziel (jetzt: Planet QQ) in den Startlöchern, um ein autokratisches System zu etablieren - die schöne neue scheint eine ganz schön altbekannte Welt zu sein.
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