Unlängst beklagte sich ein Rezensent, in unterschiedlichen Sprechtheaterproduktionen innerhalb von 48 Stunden vier Mal mit ein und demselben Whitney- Houston-Song beschallt worden zu sein. Nun setzt sich der Pophymnendopplungseffekt beim Stückemarkt gleich einem Fluch mit Britney Spears fort. Aus Bochum und nun auch vom Schauspielhaus Wien war ihr „Baby One More Time“ zu hören.
Überhaupt wurde beim Festival für neue Dramatik wieder sehr viel, um nicht zu sagen fast ausschließlich gesungen. Nicht nur in Thomas Melles für den Nachspielpreis nominierter „Ode“ vom Schauspiel Köln zum Thema sexuelle Gewalt und sozialer Skulptur, nein auch ein abtreibungskritischer Text wie Anna Neatas „Oxytocin Baby“ verträgt offensichtlich nach Einschätzung der Macherinnen ordentlich Mucke.
Das macht einen fast lachen, wenn man bedenkt, auf welchen Meta-Ebenen die ganze Dramaturgische Gesellschaft der denk-sprechenden Zunft für gewöhnlich über den sing-tanzendenen Musicalkollegen zu schweben scheint. Zu lachen gibt es hier beim Schauspielhaus Wien sonst eher wenig.
Mit Swing zum Gynäkologen
Im Falle von Anna Neatas wirr gerülpstem Text, der ein Stück sein möchte, kann der Musikalisierungsfluch des Sprechtheaters daher allerdings auch mal ein Segen sein. Gesungen wird nämlich von sechs Damen und einem Herren exzellent, beziehungsweise gejazzt, gescated und geswingt, was der musikalischen Einrichtung von Belush Korenyi zu verdanken ist, der in diversen Genres blitzschnell die Register zieht. Überhaupt: ein Kuriosum, diese 80 Theaterminuten.
Mirjam Stängl hat für die mäßig differenzierte und zu allem Elend noch politisch völlig unerhebliche Abtreibungsstory der Titelfigur „Baby“ eine zwischen fleischfarben, mädchenpink und blutrot changierende Puppenkiste auf die Bühne des Alten Saals gestellt. Profis würden sagen „ein Fünfer Guckkasten“, weil die ganze Kiste fünf Seitengassen hat. Diese bilden die Spielwiese für Aleksandra Corovic, Marlene Fröhlich, Lea Gordin, Sophia Löffler, Rebecca Katharina Lorenz, Victoria Sedlacek, Sarah Zelt und Til Schneider. Sie haben zu tun. Als Baby-Puppen (aufwendige Kostüme: Sabrina Bosshard) poppen sie auf, sekundenschnell, einzeln, gemeinsam oder in Gruppen. Sie sprechen und singen in rasantem Tempo, chorisch, solistisch, im Vokalensemble, stoßen punktgenau mal drei Sätze, mal drei Töne hervor. Regisseurin Rieke Süßkow und ihr hochkonzentriertes Ensemble bestechen durch Timing, Übergänge und offensichtlich beherrschtes Handwerk. Das war es dann aber auch schon mit den guten Nachrichten aus Wien.
Die Geschichte einer Jugendlichen, die von ihrem Checker mit dem unschönen Pars-pro-toto-Namen Schleim ungewollt schwanger ist, hätte Potenzial. Wenn man sie verstünde, wenn man Figuren ernst nähme, wenn das Drama ein Drama bliebe. Zumindest Letzteres hat auch Rieke Süßkow zu verantworten. Nicht immer ist es also ein Kompliment, wenn jemand meint, „da sei Musik drin“.