Mannheim. Versunken und unnahbar röstet eine weibliche Figur Bohnen in einem Topf auf einer kleinen Feuerstelle im Innenhof von Zeitraumexit in Mannheim. Umstehende Besucher der audiovisuellen Tanzperformance sind noch in eigene Gespräche vertieft. Erst als sich weitere Performerinnen im Hof platzieren, erhält die Bohnenrösterin volle Aufmerksamkeit. Sie trägt ihren Topf zu den Akteurinnen, die sich den duftenden Rauch in die Nase fächern.
Referenz auf Baldwin
Danach erhebt eine Künstlerin das Wort wie eine auserwählte Erzählerin und preist göttliches Vermögen, die Erde in Sonne, Wind und Sturm zu setzen. Aber sie lässt diesen Worten unmittelbar folgen, dass es der Liebe, Gleichheit und Gerechtigkeit einer weißen Gesellschaft nicht bedarf. Damit ist „Kampf der Sinne“ vom Ore Arts Kollektiv eröffnet und erinnert mit diesen Worten auch an einen bedeutenden Denker: James Baldwin, Schriftsteller und Aktivist für Menschenrechte, nimmt 1962 in seinem berühmten Essay „Nach der Flut das Feuer“ die christliche Moral einer weißen US-amerikanischen Gesellschaft auseinander und bezieht sie auf ihren Umgang mit der schwarzen Bevölkerung. Der ist gekennzeichnet von Gewalt, Missachtung, Erniedrigung, Ausgrenzung und vielem mehr, aber vor allem auch dem Absprechen einer menschlichen Subjektposition.
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Vom Innenhof wechselt das Publikum in den unbestuhlten Kunstraum, blickt vom Rand auf das Geschehen. Hier lassen die Performerinnen an ihren Körpern unterschiedliche Zustände von Schmerz, Isolation, kämpferischer Wut sichtbar werden. Ein mehrschichtiges Soundkonzept aus Signaltönen, Glockenklang und tiefen Bässen greift gewaltsam ins eigene Körperzentrum, lässt sich nicht abwehren oder abschalten. Mit dieser grandiosen Sound-Idee transferiert das Kollektiv künstlerisch eine jahrhundertealte Gewaltgeschichte in die Körper der Umstehenden.
Unterschied zu Baldwin
Im zweiten Teil der Performance wird das Publikum aufgefordert, sich die Augen zu verbinden. Blind wird es in den nächsten Raum geführt, die Hand auf der Schulter des anderen. Wieder sehend, blickt man auf eine Leinwand, die den nackten Rücken einer Frau zeigt. Dann aber wird, begleitet von spannungsgeladener Musik, eine auf einem Kubus sitzende Frau von ihrem Assistenten ins Zentrum gerollt. Sie erhebt sich und ihre eindrucksvolle Stimme performt mit ihrem Körper die Geschichte vom Raub der afrikanischen Menschen durch Sklavenjäger, erzählt von ihren Qualen durch Gewalt und Verstümmelungen und ihrer Freiheitsberaubung.
Bald darauf bahnen sich die übrigen Performerinnen selbstbewusst und fordernd einen Weg durch die Zuschauer und ziehen im Lauf ihre tänzerischen Kreise. Erst zum Schluss fordern sie zum Tanz auf, aber nur jene mit farbiger Haut. Weiße sollen am Rand bleiben und außen vor, so scheint das Konzept des Kollektivs. James Baldwin schlägt ein anderes vor: die „Überwindung von Hautfarbe, Nation und Altar.“
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