Bevor es losgeht, tritt „Clerk Kent“, ein zur Klischee-Tunte aufgebrezelter Polit-Clown und süffig salbadernder Berater von „Queen Lear“, vor die riesige, die ganze Bühne einnehmende Kino-Leinwand. Mit feistem Grinsen verkündet er: „Könnte sein, dass hier alles außer Kontrolle gerät. Könnte sein, dass das alles ziemlich hässlich wird. Es könnte zu fürchterlichen Szenen von Gewalt kommen. Verbaler Gewalt. Physischer Gewalt. Sexualisierter Gewalt. Es könnte zu politisch motivierten Morden kommen. Zu Entwürdigung. Verfolgung. Vertreibung.“ Das kann ja heiter werden. Oder Böse. Oder beides. Wird es aber nicht.
Denn was der in Mannheim nicht ganz unbekannte Regisseur Christian Weise am Berliner Maxim Gorki Theater anrichtet, ist dann doch nur ein ziemlich flauer Witz, ein albernes Spiel mit Bühnen-Kitsch und Kino-Mythen, ein bunter und lauter Kindergeburtstag mit völlig überdrehten Knallchargen. Unter dem Pseudonym „Soeren Voima“ hat Weise, gemeinsam mit dem Dramaturgen Christian Tschirner, eine ebenso trashige wie selbstverliebte Shakespeare-Übermalung gepinselt, lässt Corinna Harfouch weit unter Niveau und über weite Strecken in einer grellen Kino-Persiflage wüten und wehklagen.
Weise schickt „Queen Lear“ in die Tiefen des Weltalls und lässt sie mit ihrer intriganten, sich um das Erbe streitenden Bagage durch die Untiefen des Theaters geistern. Mal hocken alle in der Garderobe, mal bahnen sie sich ihren blutigen Weg durch Kabel, Lampen und Bühnen-Technik. Einmal auch fliehen sie nach draußen, schnappen frische Luft, frösteln im grauen Berliner Nieselregen und kehren erfrischt in ihr auf billige Pappe kindlich gemaltes Film-Set zurück, werden von Kameras beäugt, die alles auf die Leinwand beamen: Raumschiffe sausen durchs All. Entseelte Mutanten in Darth Vader-Kostümen kämpfen mit Laserschwertern um Macht und ein zerfallendes Reich. Es blinkt, piepst und knarzt. Blechern, brüchig und blutleer tönt die verknitterte Stimme der greisenhaften Regentin, die ihr Imperium aufteilen möchte und mit ihren falschen Entscheidungen eine Spirale der Gewalt lostritt.
Aus alten weißen Männern werden schöne junge Frauen, aus eifersüchtigen Schwestern böse Brüder, die sich brutal an die Gurgel gehen und lieber alles zerstören als auch nur einen Schritt nachzugeben.
Nervenzusammenbruch und Kunst
Niemand nimmt irgendetwas ernst. Am wenigsten die bemitleidenswerte Corinna Harfouch, die versteinert ihrem eigenen Treiben zusieht und innerlich über den pubertären Blödsinn den Kopf schüttelt. Ob die Klassiker-Kastration, die Blödeleien über Gendersternchen und Cancel Culture, die Scherze über Geschlechtertausch und Schauspiel-Attitüden, die Retro-Songs und Film-Schnipseln irgendeinen theatralischen Mehrwert haben: egal. Lear zur Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs zu machen und sie als desorientierten Zombie in die Demenz zu begleiten, ist nicht neu. Marianne Hoppe hat das in einer grandiosen Inszenierung von Robert Wilson vor vielen Jahren schon gemacht. Warum wir drei zähe Stunden mit „Queen Lear“ erst zu den Sternen fliegen müssen, bevor sie unter wabernden Nebeln auf der Gorki-Bühne landet und endlich ein bisschen richtig spielen darf, bleibt ein Rätsel.
Warum „Sister Eddi“ (Svenja Liesau) sich einen Bart ankleben und auf der Heide mit Berliner Schnauze im alltagsphilosophischen Quark herum rühren muss? Keine Ahnung. Gern würde man ein Drama über Macht- und Liebesverlust, über Gewaltbereitschaft und die Banalität des Bösen sehen. Doch statt zeitlos aktueller Schmerzen bekommen wir nur zeitgeistigen Diskurs-Müll. „Ich bin eine Allegorie“, meint „Queen Lear“ einmal. Mag sein. Die Frage ist nur: Wofür und was folgt daraus?
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