Pop

„No War!“ – Patti Smith braucht in Karlsruhe wenig Worte

Großartiges Konzert der 76-jährigen US-Rock-Ikone im ausverkauften Tollhaus in Quartettbesetzung - mit viel Haltung und wenig Pathos

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Patti Smith und ihr Sohn Jackson im Karlsruher Tollhaus. © Bernadette Fink

Karlsruhe. Gegen Ende ihres knapp 100 Minuten langen Konzerts scherzt sie: Es sei „typisch amerikanisch. Wir wissen nichts“, sagt Patti Smith. Damit bittet die US-Rockkultur-Ikone ihre Fans im ausverkauften Karlsruher Tollhaus um Entschuldigung. Dafür, dass sie zwar viel rede, aber nur Englisch beherrsche. Das ist nicht nur deshalb unnötig, weil das Publikum der 76-Jährigen fasziniert bis andächtig an den Lippen hängt. Patti Smith redet natürlich nicht nur, sie hat auch etwas zu sagen. Und an einem Tag, an dem die Welt entgeistert auf die Eskalation der Gewalt in Israel schaut, benötigt die singende und dichtende Aktivistin nur zwei Worte: „No war!“ Ganz lakonisch fallen sie vor „Peacable Kingdom“, ansonsten lässt die Künstlerin das biblisch betitelte Friedenslied für sich sprechen. Aber sie erweitert den Originaltext wie so oft in diesem großartigen Konzert um einen energischen, fast wütenden Appell: „Menschen haben die Macht, den Weg der Narren zu verlassen!“

Auch eine wortlose Beatles-Referenz in der epischen Live-Version von „Beneath The Southern Cross“ kann man als Ausdruck der Fassungslosigkeit angesichts der Weltlage verstehen: Wenn das eindrucksvolle Patti Smith Quartett in das Song-Gedicht das erste Thema des Fab-Four–Klassikers „ A Day In The Life“ einbaut, muss die erste Zeile „I read the news today, oh boy“ (Ich habe heute die Nachrichten gelesen, oh Junge) nicht gesungen werden, um fulminant nachzuhallen.

„People Got The Power“ am Ende

Patti Smith demonstriert viel Haltung. Und benötigt dafür erstaunlicherweise erfreulich wenig Pathos. Das alles kulminiert in der wuchtigen Schlussnummer „People Got The Power“. Darin wird der hippie-mäßige Impetus durch punkige Energie konterkariert. Wie sie die beiden großen, ursprünglich gegensätzlichen Pop-Gegenkulturen in sich vereint, ist das paradoxe Kunststück dieser großen Karriere. Mit der Bedeutung dieser Poetin, Autorin, Sängerin, Songschreiberin, Fotografin, Mutter, pflegenden Ehefrau und Buchändlerin kann aus dieser Generation nur Joan Baez mithalten.

Mit Abstrichen. Denn Patti Smith schwebt seit Jahrzehnten mit selbstverständlicher Leichtigkeit über Grenzen: zwischen Stilen, Genres, Kunstformen, Geschlechtern, Zeiten, Generationen. Sie ist eine der einflussreichsten noch aktiven Musikerinnen überhaupt. Das reicht sogar in den Mainstream – von Madonna bis Florence Welsh. The Smiths sollen auf einem ihrer Konzerte beschlossen haben, sich zu einer Band zu formieren. Die ihrerseits ziemlich wirkmächtige Band Sonic Youth hat sich nach ihrem Ehemann Frederick „Sonic“ Smith (1948-1994) benannt, dem Gitarristen der Patti Smith Group und von MC5.

Der gemeinsame Sohn Jackson begleitet nun seine Mutter auf dieser Club-Tournee. Er zeigt viel vom Talent seines Vaters, speziell wenn es um Anflüge auf das Werk von Jimi Hendrix geht. Ebenso brillant: Tony Shanahan an Bass, Keyboards und Mikrofon sowie der extrem song-sensible Drummer Sebastien Rochford. Natürlich werden sie überstrahlt von der silbermähnigen Protagonistin. Gesang und Deklamationen sind gewohnt kraftvoll. Auch wenn die grazile „Godmother of Punk“ ab der Konzertmitte über Schwindel klagt, sich gelegentlich setzen muss und für einen Song die Bühne verlässt.

Trotzdem vermittelt ihr Auftritt enorme Inspiration: Egal, ob sie vor dem grandiosen „My Blakeanian Year“ über Dichter William Blake und den Wert jeglicher Arbeit redet, grandios die Zeitlosigkeit von Songs aus dem Kanon von Bob Dylan, Neil Young oder Television herausarbeitet oder ihre großen Hits wie „Because The Night“ und „Dancing Barefoot“ mit viel Energie transportiert. Eine beeindruckende Persönlichkeit.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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