Die Gesamtdauer ist auf fünf Stunden ausgelegt. Das klingt nach ziemlich viel, ist aber für Nik Bärtsch - Artist in Residence bei Enjoy Jazz - und seine Gruppe Mobile eher bescheiden. Kreative Kraftproben ganz anderen Kalibers haben sie bereits bestanden und etwa in Abu Dhabi über einen Tag lang ihre Exerzitien zelebriert. In Mannheim soll ein „Klang-Ring-Ritual“ begangen werden, dafür ist der Kuppelbau der Christuskirche zweifellos der ideale Ort.
Hier können nicht allein die Klänge ungewöhnlich weite Kreise ziehen, sondern auch das Publikum. Erwünscht ist das ausdrücklich, jedenfalls in der mit einem schicken Anglizismus sogenannten Sounding Dusk-Drift vor dem Hauptkonzert. Und in der „Sounding Midnight-Drift“ zum Abschluss ebenfalls.
Hohes Verkehrsaufkommen
Zunächst ist das Verkehrsaufkommen in den Gängen ziemlich hoch, die große Ruhe stellt sich erst allmählich ein. Getränke werden in der Kirche konsumiert: Meditation und Weißwein. Schuhabsätze klackern oder quietschen. Man muss sehr weit vorne sitzen (oder liegen, wie das ein paar Wenige tatsächlich hier tun), um derlei hinter sich zu lassen. Doch dann funktioniert es, auch dank der von Daniel Eaton konzipierten Lichtregie. Sie schafft es, die sakrale Ausstrahlung des Repräsentationsbaus Christuskirche gegenüber dem Normal-Level beträchtlich zu erhöhen. Insbesondere die Innenausleuchtung der Kuppel, ob in Himmelblau, Altrosa oder zartem Violett, schafft transzendierende Momente.
Die drei Musiker von Mobile wollen nicht nachstehen. Nik Bärtsch streichelt das Innere des Flügels manchmal nur - und hat doch fast schon einen Draht ins Jenseits. Weiträumiges Disponieren zeichnet auch ein Schlagzeugsolo von Nicolas Stocker aus, das lange Zeit kein Schlagzeugsolo sein will und die Rhythmen anfangs wie mit einem extrafeinen Meisel modelliert. Dann aber immer wuchtiger, dramatischer gerät, mit einem satten Tempo- und Crescendo-Schub.
Später verfügt sich Stocker vom Altarraum hoch auf die Empore, wo es eine „Sound-Station“ mit Gong und Röhrenglocken gibt. Nik Bärtsch bleibt unten und spielt tropfende Diskanttöne, die von dahinschmelzenden Eiskristallen stammen könnten.
All das ist noch eine raffinierte Vorstufe zum bruchlos anschließenden Hauptkonzert. Es widmet sich dem künstlerischen Kerngeschäft Nik Bärtschs: der Pracht der „Patterns“, dem Verzahnen von komplexen Rhythmen. Mit der Gruppe Mobile wird das, im Gegensatz zu „Nik Bärtsch’s Ronin“, zu einem „akustischen“ Erlebnis. Ohne elektronische Verstärkung. Doch die Klangmacht ist enorm.
Der Bläser Sha (mit bürgerlichem Schweizer Namen: Stefan Haslebacher) an der tiefen Klarinette kann sich zwischen Bärtschs Klavier und Stockers Schlagwerk manchmal nur bedingt behaupten. Aus Askese wird im Hauptkonzert auch oft Ekstase. Und die Christuskirche fast zum Teleskop: zum Klangvergrößerer, doch nicht -vergröberer.
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