Das Porträt - Die neue Schillerpreisträgerin Silvia Bovenschen über sich und ihr Schreiben/ Preisverleihung Sonntag im Nationaltheater

"Nicht immer meiner Meinung"

Von 
Thomas Groß
Lesedauer: 

Stilvoll im Leben wie im Schreiben: Die Essayistin Silvia Bovenschen erhält den Mannheimer Schillerpreis.

© Jürgen Bauer

Sie vertrete die hierzulande seltene Disziplin der "fröhlichen Wissenschaft", hat ihr die Preisjury bescheinigt. Silvia Bovenschen, die am Sonntag den Mannheimer Schillerpreis erhält, freut sich über diese Kennzeichnung. Für eine dem Leben zugewandte, nicht rückwärts gerichtete Wissenschaft steht der durch Nietzsche geprägte Begriff. Und tatsächlich, so sagt die Literaturwissenschaftlerin und Essayistin im Gespräch, habe sie sich "immer bemüht, jede Grämlichkeit zu vermeiden".

Das bestätigt ihr Schreibstil so gut wie schon ihr Sprechen, der sorgfältig gewählte und doch lebendig und munter wirkende Ausdruck, die geklärte Stimmung, die man aus ihrer dunklen, rauchigen Stimme heraushört. Und natürlich bestätigt es auch ihre äußere Erscheinung, die in Berichten über sie regelmäßig als "leicht glamourös" oder "sorgfältig komponiert" charakterisiert wurde.

Eigentlich wollte sie zum Theater und Regisseurin werden, doch mit Mitte zwanzig haben Ärzte bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert. Also musste dem Studium der Literaturwissenschaft, Philosophie und Soziologie eine Tätigkeit folgen, die auch im Sitzen auszuüben war, also blieb Bovenschen der Wissenschaft treu, schrieb ihre Dissertation über "imaginierte Weiblichkeit", die als Meilenstein einer feministisch geprägten Literatur- und Kulturwissenschaft gilt, lehrte an der Universität Frankfurt, veröffentlichte über Mode, Tiere oder die Überempfindlichkeiten, die so ziemlich jeder hat. Bovenschen schrieb über Fragen, "die mich im Leben interessiert haben", wie sie sagt. Immer waren es Fragen, die nicht eindeutig und dauerhaft zu beantworten sind. "Zwiespältigkeiten benennen und Konvergentes nebeneinander bestehen lassen", so charakterisiert sie ihr Selbstverständnis als Autorin. Und fügt verdeutlichend ihr Lieblingszitat an, ein Diktum Paul Valérys: "Ich bin nicht immer meiner Meinung."

Eine Art Regisseurin

Ihr Buch "Älter werden" machte sie im Jahr 2006 einem größeren Leserkreis bekannt; geprägt war besonders dieses zunächst von der eigenen Situation, weshalb die "Notizen", wie der Untertitel lautet, auch erst gar nicht zur Veröffentlichung gedacht waren. Eine Zäsur markiert das Buch der heute 66 Jahre alten Autorin vor allem deshalb, weil es noch erzählerischer war als die vorhergehenden. Es ermunterte sie, sich noch weiter der Belletristik zuzuwenden, in ihrem Prosaband "Verschwunden" (2008) und dann in zwei Romanen. Niveauvoll und reflektiert ist Bovenschen auch als Literatin, verkopft oder Beispiele sogenannter Professorenprosa sind ihre Bücher dagegen nie.

Regisseurin ist sie gleichsam doch noch geworden, die Figur der Daniela Listmann aus "Verschwunden", in der man die Autorin wiederfinden kann, bestätigt das. Die im Rollstuhl sitzende Frau ermuntert ihren Freundeskreis, Geschichten über das Verschwinden zu (er)finden, und gibt den Rahmen vor. "Ich schaffe in meinem Zimmer eben die Bühne, auf der sich nach meinem Willen die Figuren bewegen", meint Bovenschen. Womit man wieder beim Thema Krankheit ist - mehrere habe sie inzwischen, sagt sie.

Man stößt darauf im Gespräch mit ihr so unausweichlich wie im Schreiben über sie und ihr Werk. Bovenschen bezeichnet sie als ihren "Feind" und weiß: "Der Kampf ist nicht zu gewinnen." Sie habe eine Haltung gefunden, mit der sie zurechtkomme, sagt sie. Eine Haltung, aus der sie keine Botschaft machen will, eine Haltung aber, die wieder zum Begriff des Stils führt, zur Weise, wie man spricht, schreibt und ein Leben führt, was in ihrem Fall auch überhaupt auf die Begriffe Kultur und kultiviert gebracht werden mag.

Ob die Krankheit womöglich sensibilisiert? Sie weiß es nicht, den Zustand des Gesundseins kannte sie sogar in der Kindheit kaum. Als Außenseiterin sieht sie sich, war dies aber immer gerne, wie sie sagt, schon zu Zeiten der Studentenbewegung, die sie geprägt hat und wo ihr Sinn für Mode den meisten suspekt war. Individualistin ist Silvia Bovenschen so gut aus freier Wahl wie aus Notwendigkeit. Auch das belegt ihr unverwechselbarer Stil.

Muss es dann verwundern, wenn sie zu Friedrich Schiller, nach dem der Mannheimer Preis benannt ist, ein "hoch kompliziertes, ambivalentes Verhältnis" hat, wie sie sagt? Sie will es am Sonntag in ihrer Preisrede ausführlich darlegen. Man darf vermuten, dass auch das ein stilvoll kultivierter Auftritt werden wird, der bestätigt, was Bovenschen noch ganz besonders unter Stil versteht - eine Wertschätzung der Leser und Zuhörer, sagt sie, und: "Höflichkeit meiner Umgebung gegenüber".

Silvia Bovenschen wurde 1946 in Oberbayern geboren und lebt ...

Silvia Bovenschen wurde 1946 in Oberbayern geboren und lebt heute in Berlin.

Zu ihren bekanntesten Büchern zählen die Studie "Die imaginierte Weiblichkeit", "Über-Empfindlichkeit", "Älter werden", "Verschwunden" sowie die Romane "Wer weiß was" und "Wie geht es Georg Laub?".

"Elegant, heiter und klug" überrasche sie mit originellen Denkansätzen und bereichere die Debatten des Landes, meint die Schillerpreis-Jury.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen