Interview

Nibelungenfestspiele 2024: Roger Vontobel inszeniert "Der Diplomat" unter freiem Himmel

Regisseur Roger Vontobel und Bühnenbildner Palle Steen Christensen setzen bei „Der Diplomat“ für die Wormser Nibelungenfestspiele erneut auf die besondere Atmosphäre der Freilichtbühne, wo Realität und Fiktion verschmelzen. Im Interview sprechen sie über ihre Zusammenarbeit

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Uwe Rauschelbach
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Bei der Pressekonferenz zum Probenbeginn der Nibelungenfestspiele "Der Diplomat": Palle Steen Christensen (Bühnenbildner), Roger Vontobel (Regisseur), Thomas Laue (künstlerischer Leiter Nibelungenfestspiele). © Uwe Rauschelbach

Worms. Mit „Der Diplomat“ inszeniert Roger Vontobel nach 2018 („Siegfrieds Erben“) und 2022 („hildensaga“) in diesem Jahr das dritte Stück für die Wormser Nibelungenfestspiele. Geschrieben wurde es von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel. Abermals ist auch Bühnenbildner Palle Steen Christensen an der Produktion beteiligt. Gemeinsam geben sie Auskunft über die Vorbereitung zum neuen Stück.

Herr Vontobel, Sie inszenieren bereits zum dritten Mal in Worms, und das in immer kürzeren Abständen. Macht Worms süchtig?

Roger Vontobel: Ja, offenbar schon. Nach 2018 hätte ich 2020 wieder inszenieren sollen, aber Corona kam dazwischen. Danach führte ich 2022 zum zweiten Mal Regie, und jetzt ist es wieder so weit. Was mich nach wie vor begeistert, ist die gesamte Atmosphäre des Arbeitens - eine Crew, ein Ensemble nur für diese spezielle Zeit versammelt an diesem speziellen Ort. Damit entstehen die Stücke erst wirklich, im gelebten Zusammensein, nur hier. Schließlich kommt die Freiluftatmosphäre hinzu: Die Realität der Vögel, die vorüber fliegen, ein plötzlicher Regen, der Wechsel von Tag in die Nacht, alles vermischt sich mit der Geschichte. Da entsteht etwas Magisches, etwas, was man so im Theater normalerweise nicht findet.

Wodurch zeichnen sich die Schauspieler aus, die hier mitmachen?

Vontobel: Sie sind großartige Welten-Erschaffer und dem Dom in ihrer Präsenz ebenbürtig! Und - hier ist jeder da, weil er es wirklich will …

… man muss es auch wollen, weil es manchmal in eine Schinderei ausartet …

Vontobel: Ich würde es so sagen: Die Realität der Umgebung fordert den Spielerinnen und Spielern immer wieder körperliche Strapazen ab und bringt gleichzeitig große Freuden mit sich, beides in einem.

Roger Vontobel, Regisseur der Nibelungen-Festspiele, zeigt in diesem Jahr vom 12. bis 28. Juli das neue Stück „Der Diplomat“ am Wormser Dom. Darin geht es um die Frage, wie sich ein Krieg verhindern lässt, den keiner will. © Uwe Anspach/dpa

Was begründet Ihre besondere Zusammenarbeit, also die Tatsache, dass Regisseur und Bühnenbildner eine Art Wormser Dreamteam bilden?

Palle Steen Christensen: Wir sind über die Jahre zusammengewachsen. Wir kennen uns inzwischen ganz gut und haben gemeinsam Erfahrung damit, wie man eine Bühne wie den Wormser Dom bespielen kann. Ich glaube, wir haben eine gemeinsame künstlerische Sprache gefunden, um diese besonderen Stücke mit ihren starken Charakteren vor einem 1500-köpfigen Publikum aufzuführen, ohne in ein Spektakel ohne Tiefe und Ernst abzugleiten. Es geht uns beiden um die Balance zwischen zarten Gefühlen und starken Effekten, und ich habe inzwischen ein Händchen dafür, die Vorstellungen, die Roger vom Stück hat, bildnerisch umzusetzen.

2022 haben Sie die Bühne in eine große Wasserlandschaft verwandelt. Was wird in diesem Jahr geschehen?

Christensen: Wir werden mit vielen Litern Kunstblut arbeiten …

… aber der Diplomat will doch zwischen den Kriegsparteien schlichten.

Vontobel: Ja, doch wir erzählen die Geschichte des Dietrich von Bern von der großen Rabenschlacht an, die eine der blutigsten Schlachten in der Dietrich-Sage ist. Das ist eine Welt getränkt in Blut. Und es geht zentral um die Frage, wie man das Blutvergießen beenden könnte. Diesen Prozess des Umdenkens werden wir an Dietrich verfolgen können.

Das neue Stück: „Der Diplomat“

„Der Diplomat“ ist das neue Stück der Wormser Nibelungenfestspiele. Es wird in der Inszenierung von Roger Vontobel vom 12. bis 28. Juli, jeweils 20.30 Uhr, aufgeführt.

Hauptfigur ist Dietrich von Bern, der als Botschafter von König Etzel zwischen Hunnen und Burgundern vermitteln soll.

Die Autoren, Feridun Zaimoglu und Günter Senkel, interessiert dabei die Frage, wie sich ein Krieg verhindern lässt, den keiner will und der trotzdem unvermeidbar erscheint.

Die Nibelungenfestspiele finden unter der Intendanz von Nico Hofmann statt.

Tickets zum Preis zwischen 29 und 139 Euro unter der Ticket-Hotline 01805/33 71 71 sowie online auf nibelungenfestspiele.de

Konsequenter Pazifismus hat heute einen schweren Stand. Wie wollen Sie diesen Läuterungsprozess einem Publikum vermitteln, das in den täglichen Nachrichten den Eindruck vermittelt bekommt, ohne Waffen gehe es nicht mehr?

Vontobel: Indem ich die Geschichte dieses Mannes so genau erzähle, dass wir alle ins Denken kommen. Was sind die Beweggründe, was ist die Macht-Konstellation auf die er trifft - letztendlich ist es immer komplexer, als wir es uns vorstellen können, und trotzdem müssen wir handeln. Das ist Theater und das ist Leben, beides. Eine Antwort wäre immer verkürzend - wir geben dem Dilemma an sich eine Stimme.

Dietrich versucht als Diplomat, einen Krieg zu verhindern, der aber nicht zu verhindern ist. Wie schaffen Sie es, dass das Stück dramaturgisch nicht auf der Stelle tritt?

Vontobel: Uns interessiert, was die Menschen unter der Oberfläche bewegt. Da entscheidet sich ein Mensch, seine Biografie, seine gesamte Vergangenheit zu vergessen, um einen neuen Weg zu gehen. Doch die Frage ist, ob die Vergangenheit das mitmacht. Der Friedensbringer kommt nach Burgund, um zu schlichten, doch plötzlich klingelt die eigene Vergangenheit an die Tür und fordert Tribut für das Getane, nämlich den Kopf von Dietrich. Das gibt ein diplomatisches Dilemma, in dem viel Sprengstoff liegt.

Es wird also doch wieder gemetzelt in Worms.

Vontobel: Ehrlich gesagt - ich weiß es noch nicht. Das Ende eines Stücks ist für mich in der Regel mindestens bis zur zweiten Hauptprobe offen. Wir begeben uns auf eine Reise, und wo wir am Ende landen werden, weiß keiner. Dafür liebe ich meinen Beruf. Alles ist offen, und man kann immer dazu lernen.

Das Stück wird mit aktuellen Bezügen versehen. Aber wie kann das funktionieren, wenn die weiße Fahne geschwungen wird, mit der der Papst gerade erst den Zorn der kollektiven Öffentlichkeit auf sich gezogen hat?

Vontobel: Indem das Stück Fragen offen legt. Wir tauchen ein in die Beweggründe sowohl der einen wie der anderen Seite. Vielleicht kann man dann die Bruchstellen, erkennen, jenen menschlichen Faktor also, an dem der Prozess der friedlichen Annäherung scheitert.

Was macht das Autorenduo Feridun Zaimoglu und Günter Senkel richtig, dass Sie zum wiederholten Mal deren Stück für die Nibelungenfestspiele inszenieren?

Vontobel: Zaimoglu und Senkel sind interessiert an diesen menschlichen Sollbruchstellen. Sie scheuen sich nicht, Konflikte offenzulegen, auch nicht, eine pathetische, bildhafte Sprache zu benutzen. Sie schreiben griffige Geschichten fürs Theater.

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Ist die Nibelungensage nicht irgendwann auserzählt?

Vontobel: Nein. Die Sage ist ein unglaubliches Sammelsurium an Geschichten. Und je tiefer man sucht, umso mehr findet man. Das geht mir mit Klassikern oft so. Es sind unendlich reiche Schätze an Geschichten.

Wie wollen Sie dafür sorgen, dass die Charaktere Ihrer Figuren nicht von spektakulären Effekten geschluckt werden?

Christensen: Zum Beispiel, indem wir Videotechnik nutzen und Personen groß auf die Leinwand bringen. Was mir auffällt, ist, dass die Sagenfiguren sich mit jeder Aufführung ändern. Brunhilde bleibt nicht Brunhilde, und Siegfried ist auch ständig ein anderer. Schon dadurch gewinnen wir jedes Mal einen neuen Blick auf diesen Mythos.

Sehen wir eine eher historisierende oder eine moderne Aufführung?

Vontobel: Das Stück ist zeitlos. Es ist eine Welt, die aus der Vergangenheit ins Heute hineinragt.

Wie geht das Stück nach der Rabenschlacht weiter?

Vontobel: Wir beginnen mit der Entscheidung Dietrichs, nach der Schlacht die Königskrone niederzulegen, obwohl er den Sieg und die Rückgewinnung von Verona erreicht hat. Dann geht das Stück vor dem Wormser Dom weiter. Wir lernen die Burgunder kennen, die sich um den stigmatisierten Siegfried kümmern müssen. Und plötzlich stehen Dietrich von Bern und sein Waffenmeister Hildebrandt als Gesandte des Hunnenkönigs Etzel vor der Tür. Ein möglicher Krieg steht bevor. Aus dem Süden drohen die Römer einzugreifen. Die Heirat von Kriemhild und Etzel soll die Kriegsparteien miteinander verbinden.

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