Mannheim. Kabarett und Comedy werden längst von Ein-Mann-oder Frau-Shows, Netflix-Live-Specials und mundgerechten Fernsehformaten dominiert. Die eigentlich klassische Spielart des Ensemble-Kabaretts ist seit Dieter Hildebrandts „Scheibenwischer“-Show etwas in Vergessenheit geraten. Die Vorzüge des Formats demonstriert das Kabarett Dusche in der heimischen Mannheimer Klapsmühl’ am Rathaus ab Donnerstag, 14. Oktober, auch mit seinem 49. Programm „Bleibt alles anders!“, wie sich beim Besuch der Hauptprobe am Dienstag zeigt.
Die größte Stärke gut gemachter Gruppensatire ist Dynamik, die durch Abwechslung entsteht: Das Dusche-Triumvirat Josefin Lössl, Hans Georg Sütsch und Gründungsmitglied Wolfgang Schmitter wechselt schon bei dieser vorletzten Probe fast traumwandlerisch sicher zwischen Trio-, Duo-, Solo- und Musiknummern (Willi Haselbek). Die von der Länge her inzwischen meilenweit entfernt sind von den epischen Textkaskaden früherer Jahrzehnte. Das Ganze läuft immer wieder auch mal herzhaft auf gut Monnemerisch, was neben der rasanten Inszenierung von Regisseur Jürg Hummel zusätzlich für Frische sorgt.
So passt in gut zwei abwechslungsreiche Stunden ein enormes Themenspektrum – vom breit aufgestellten Corona- und Verschwörungswahnsinn über die Bundestagswahl, Gender- und Klimadebatten bis zu leichteren Themen wie Digital Detox. Durch die Dynamik des meist in der Künstlergarderobe angesiedelten Settings müssen die Autoren Frederic Hormuth, Wolfgang Marschall und Volkmar Staub auch nicht permanent auf Brüller-Pointen setzen; das rhetorische Florett und viele kleine Wortspiele setzen genug Wirkungstreffer. Die Akteure tun mit Temperament, Timing und Routine ein Übriges und spielen oft auch durch die vierte Wand mit dem Publikum. Das besteht bei der Hauptprobe aus Kollegen, Freundinnen, Familie, der Technik und dem Kritiker dieser Redaktion.
Querverschwörer als Glanzlicht
Zu den Glanzlichtern gehört Schmitters Einblick in sein Wahltagebuch, in das er 1969 als Erstwähler einfach nur Willy mit drei Ausrufezeichen eintragen musste. 1972 setzte er hinter den damals mit SPD-Rekord zum Kanzler gewählten Willy Brandt noch ein viertes Ausrufezeichen. „Das war die letzte Bekenntniswahl aus vollem Herzen“, bekennt der 74-Jährige, ab 1976 sei er zum zunehmend frustrierten, aber treuen „Stammwähler des kleineren Übels“ geworden. Als es zwei kleinere Übel gab, habe er gesplittet. Viel mehr muss man zur aktuellen Bundestagswahl eigentlich nicht sagen, da die Regierungsbildung noch verhandelt wird und es müßig ist, mit der Realsatire des infernalischen Duos Laschet/Söder mithalten zu wollen.
Sütsch ist immer stark, wenn er mit scheinbar erhöhtem Puls aus dem Sattel geht und sich zum Beispiel als Schlafschaf in Rage redet. Impf-Debatten und Alu-Hüte bieten da Steilvorlagen. Brillant, wie er als altgedienter Mannheimer Verschwörungstheoretiker die Verschwörung der neuen Konkurrenz enttarnt. Über die handelsüblichen Zahlenklaubereien entlarvt er, dass der Sinsheimer Schwindel-Arzt Bodo Schiffmann, Esoterik-Popstar Nena und der vegane Hitler-Fan Attila Hildmann in Wahrheit die drei Sechser der Zahl des Teufels, 666, sind. Und er legt noch einen drauf, in dem er mit zwingender „Logik“ aus biografischen Daten dieses Trios den 2.10.1971 ableitet. Eingeweihte lachen schon, bevor er das Datum als Geburtstag von Xavier Naidoo und den Sänger damit als „Ober-Sechser“ kenntlich macht. Wobei er als Verkäufer eines Tante-Emma-Prepper-Shops auch im ruhigeren sarkastischen Fach überzeugt, wenn er Lössl und Schmitter allerlei präapokalyptischen Unsinn andreht.
Die Grande Dame der Dusche glänzt mehrfach, auch gesanglich. Ihre auf Flug- und Reisescham umgedichtete Version des Rock-Klassikers „Knockin’ On Heaven’s Door“ bleibt mit dem Refrain „Hogg’, hogg’, hogg’ isch in der Kurpfalz rum“ als Ohrwurm hängen. Ihre Wortspiel-Orgie „Zulassen“ ist wahrscheinlich das absolute Highlight des nach einem Grönemeyer-Hit benannten Programms..
Die 1976 gegründete Dusche mag als dienstältestes Kabarettensemble der Republik gelten, aber in dieser Verfassung wirkt ein solcher Abend in der Klapsmühl’ keineswegs wie ein Besuch im Satiremuseum. Mankann durchaus bedauern, dass die noch etwas bessere Vorgängershow „Soforthilfeprogramm“ im Herbst 2020 pandemiebedingt nur zehnmal über die Bühne gehen konnte – und sich schon mal ein wenig auf das runde Jubiläum des 50. Programms 2022 freuen.
Das 49. Programm
- Das Kabarett Dusche spielt sein 49. Programm „Alles bleibt anders!“ vom 14. bis 17.10, 21. bis. 23. und 27. bis 31. Im November sind in der Kapsmühl’ am Rathaus Vorstellungen vom 4. bis 6., am 11., 20., 21., 24., 26., und 28. geplant.
- Spielbeginn ist jeweils 20 Uhr, außer sonntags (18 Uhr). Karten kosten zwischen 15 und 22 Euro.
- Reservierungen/Vorverkauf unter 0621/2 24 88, oder info@klapsmuehl.eu oder eventim.de. jpk
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