Literatur

Neuer Roman "Rath" von Volker Kutscher: Flüchten oder nicht?

Der zehnte Band der "Rath"-Reihe ist nun auch der Abschluss: Volker Kutscher zeigt darin eine Welt am Abgrund. Worum es in dem Buch der Reihe geht, die schon als Vorlage für die Serie "Babylon Berlin" diente

Von 
Frank Dietschreit
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Der letzte Band von Volker Kutschers Reihe erscheint. © Oliver Berg/dpa

Um seinen kriminellen Feinden und politischen Widersachern zu entkommen, hat der ehemalige Kommissar Gereon Rath mehrfach seinen Tod vorgetäuscht, ist abgetaucht in die Illegalität, hat seine Gattin Charlotte lange im Ungewissen gelassen, ob er noch lebt und wo er sich aufhält. Mit dem Zeppelin hat er sich in die USA abgesetzt und hat – so ist das mit Romanfiguren, die nicht sterben dürfen – die Bruchlandung in Lakehurst überlebt. Doch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten holte ihn seine deutsche Vergangenheit wieder ein. Zu viele offene Fragen waren noch zu lösen, zu viele Geheimnisse zu lüften.

Und dann war da noch das ungewisse Schicksal seiner Lebensliebe, Charly, die aus dem Polizeidienst ausgeschieden ist, sich als Privatdetektivin durchschlägt und einigen Nazis auf die Nerven geht. Und was ist aus Pflegesohn Fritze geworden, der in einer Nervenheilanstalt festgehalten wurde und unter der Vormundschaft eines strammen SA-Führers steht?

Was Bestseller-Autor Volker Kutscher mit „Der nasse Fisch“ im Jahre 2007 furios begann, steuert nun mit dem zehnten Band seiner „Rath“-Saga auf ein großes Finale zu. Längst haben der Autor und sein Hauptdarsteller sich von der TV-Serie „Babylon Berlin“ verabschiedet, die bisher vier Staffeln mit 40 Folgen brauchte, um die ersten drei Bände in eine opulente Bilderflut zu verwandeln: einen lauten und bizarren Tanz auf dem Vulkan, der das Ende der Weimarer Republik schildert.

In Kutschers Romanen geht es leiser zu, werden Handlungen länger verfolgt und nicht nur pompöse Schlaglichter auf Figuren geworfen. Frei von allzu einfachen Antworten auf komplexe Fragen ist aber auch Kutscher nicht. Um den Gang der Dinge realistisch am Laufen zu halten und zu verorten, müssen seine im Trüben fischenden Figuren sich an historische Personen andocken: Charly vereitelt, wider Willen, ein Attentat auf Ober-Nazi Hermann Göring. Rath, der aus den USA zurückgekehrt ist, um seinen todkranken Vater zu pflegen, findet Unterschlupf in Rhöndorf am Rhein und tritt als Chauffeur und Gärtner in den Dienst von Konrad Adenauer, dem ehemaligen Bürgermeister von Köln (und späteren Kanzler der Bundesrepublik).

Manchmal treibt es Kutscher, der mit seinem Finale im Jahr 1938 angekommen ist, mit seiner Realismus-Attitüde ein bisschen zu weit. Wenn Charly durch Berlin hetzt, um ihrem unter Mordverdacht stehenden ehemaligen Pflegesohn Fritze aus der Patsche zu helfen, wird jeder Straßenname und jede Bahnstation benannt. Sie raucht nicht irgendeine Zigarette, sondern eine leichte „Juno“, während Rath, mit dem sie sich trifft und Schäferstündchen im Hotel verbringt, eine starke „Camel“ inhaliert. Geschenkt. Ist alles nur Staffage für einen Plot, bei dem der Autor mit dem Zeigefinger in den bis heute nicht verheilten Wunden stochert, die der Faschismus in die Seele des Humanismus gerissen hat.

Kutscher beschreibt, wie die Judenverfolgung zunimmt, die Synagogen brennen und die Welt am Abgrund steht. Flüchten oder Standhalten: Wenn sie nicht vom Räderwerk der Geschichte zermahlen werden wollen, müssen sich Rath und Charly entscheiden. Jetzt. Aber wie?

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