Mannheim. Seit Juli vorigen Jahres ist Luisa Heese in Mannheim und machte sich mit der Sammlung der Kunsthalle vertraut - schließlich ist sie als Nachfolgerin von Sebastian Baden jetzt verantwortlich für den umfangreichen Skulpturenbestand und die zeitgenössische Kunst.
Die Ausstellung
- Die Ausstellung „Fokus Sammlung - Neupräsentation“ in der Mannheimer Kunsthalle wird am Freitag, 29. Februar, um 19 Uhr eröffnet. Sie dauert bis 18. Mai 2025, und kann täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr besucht werden, mittwochs sogar bis 20 Uhr. An jedem ersten Mittwoch im Monat ist von 10 bis 22 Uh geöffnet, ab 18 Uhr ist der Eintritt frei.
- Luisa Heese, die neue Kuratorin für zeitgenössische Kunst und Skulpturen, gestaltete die Kuben 4, 5 und 6 neu aus Beständen der Kunsthalle und mit Leihgaben der Sammlung Scharpff-Striebich, die seit 2008 ein „offenes Depot“ führt und Werke an zurzeit fünf deutsche Museen für Ausstellungen zur Verfügung hält. Zu den fünf Museen gehört auch die Kunsthalle.
- Die Neugestaltung der Kuben enthält folgende Sammlungsbereiche: Kubus 4: „Bewegte Zeiten“ - Kinetische Kunst, Kubus 5: „Der fragmentierte Körper“, Kubus 6: „Risse in der Geschichte“, mit vier großen Werken von Anselm Kiefer.
Kunsthallendirektor Johan Holten kennt sie schon seit ihrer Zeit an der Kunsthalle Baden-Baden, von 2020 bis Juni 2023 leitete sie das Museum Kulturspeicher in Würzburg. Die Auseinandersetzung mit den Mannheimer Beständen führte nun zu einer Neupräsentation der Kuben 4, 5 und 6, wobei diese Kombination durchaus eigenwillig, aber nicht ohne Charme ist.
Kinetische Kunst
Kubus 4: Kinetische Kunst - hier hat die Kunsthalle nicht unbedingt ihre Stärke, aber angesichts der wunderbaren, freilich auch fragilen Exponate merkt man es nicht unmittelbar. Luisa Heese leitet die Kinetik, die in Deutschland erst von den 1950er Jahren an Tritt fasste, von Entwicklungen der Vorkriegszeit ab - mit Skulpturen von Naum Gabo und Antoine Pevsner - und führt sie fort mit dem lange nicht ausgestellten Mobile „Drei schwarze Blätter“ (1956) von Alexander Calder und der vertrauten „Stringed Figure“ (1954) von Barbara Hepworth.
Aber die richtige Dynamik kommt erst mit George Rickey ins Spiel („Two Open Triangles“, die man antippen muss, damit sie loslegen), mit dem bezaubernden „Erectiles“ (1963) von Pol Bury, mit den Interferenzen von Carlos Cruz-Diez (vor denen man sich selber bewegen muss), mit Lichtzauberern wie Nicolas Schöffer und nicht zuletzt Heinz Mack, dessen „Mirror of an Angel“ (1963-64) beeindruckend im Raum steht.
Jean Tinguelys „Hong-Kong“ sorgt derweil beim Tritt auf den Fußschalter für ohrenbetäubenden Lärm, während meditative Stille entsteht angesichts des zarten „Kinetischen Objekts 3/10“ (1968) von Hans Geipel - es sind gerade mal ein paar dünne, leicht geknickte Stahlstäbe, die sich in filigraner Schönheit drehen.
Der menschliche Körper
Kubus 5: der menschliche Körper. Das Basisthema der Kunst seit Jahrtausenden hat im 20. Jahrhundert eine fundamentale Veränderung gefunden, indem der Körper nicht mehr als harmonisches System aufgefasst wird, sondern als symptomatisch in seiner Gefährdung, seinen Teilaspekten, seiner Zerstückelung.
Luisa Heese setzt bereits mit Fernand Légers „Tauchern“ (1945) an und führt die Tendenz fort mit Henry Moore, Jean Arp, dem „Geschlagenen Catcher“ von Gustav Seitz - sie alle setzen immer noch die latente, wenn auch bedrohte Gewissheit physischer Harmonie fort.
Das ändert sich fundamental bei Helga Föhl, Wilhelm Loth und Jürgen Brodwolf, dessen mannshohes „Figurentuch II“ (1974/75) nichts anderes als Tod und Zerstörung, aber auch die Zartheit und Würde von Erinnerung ausdrückt.
Was vom (weiblichen) Körper als Erinnerung bleibt, bringt die afghanische Fotokünstlerin Nabil Sara in der Serie „Power“ auf den Punkt: nichts, der Körper wird konsequent seiner sichtbaren Existenz beraubt.
Aber die Betonung physischer Details wie bei Anys Reimanns „Le Noire de LXIII“ (2023) kann auch Power bedeuten - das fiktive Porträt einer schwarzen Frau (die Künstlerin hat eine ostpreußische Mutter und einen afrikanischen Vater) streckt dem Betrachter rotzig die Zunge heraus.
Vier Objekte von Anselm Kiefer
Kubus 6: Risse - auf dem Straßenpflaster, in der Geschichte, im Denken. Es scheint, als sei der Riss das Urbild der modernen Gesellschaft. Kubus 6 ist zudem der große Raum für vier Objekte Anselm Kiefers, dessen Beschwörung deutscher Geschichte ebenso suggestiv wie verstörend bleibt.
Kiefer - das ist ein Kosmos von Größenwahn und blinder Macht, kritische Distanz schaffend gerade durch die riesige Nähe.
47 Fehler dokumentiert
Sehr leise dagegen, aber nicht weniger berührend ist die Serie des Berliner Fotokünstlers Sven Johne „47 Faults between Calais and Idomeni“ (2017). Johne suchte zwischen Calais und dem griechischen Idomeni Orte europäischer Geschichte auf, Schützengräben, Konzentrationslager, Grenzanlagen, Ruinen, und fotografierte stets nur die Risse im Straßenpflaster.
Die Risse im Denken dagegen dokumentiert Annette Kelm - mit nichts als drei Bucheinbänden. Es sind drei von 30 000 Büchern, die unter den Nazis verboten und 1933 von fanatisierten Studenten öffentlich verbrannt wurden.
Das Frauenbild der Feministin Helene Stöcker (1869-1943) - deren Buch „Liebe“ mit einem Cover von John Heartfield ausgestattet ist - würde freilich auch heute schon wieder Empörung bestimmter Kreise hervorrufen.
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