Auf den Begriff gebracht, ist er ein Solitär. Wer sich je auf das Werk und Leben Robert Walsers eingelassen hat, weiß davon zu berichten. „Hellseher im Kleinen“ hat ihn W. G. Sebald, selbst durchaus seherisch, genannt – und so heißt auch die neue Studie, die Susan Bernofsky, eine US-amerikanische Übersetzerin, die für ihre Translation deutschsprachiger Literatur ins Englische bekannt ist, vorgelegt hat. Sie übertrug rund 20 Bücher, darunter Werke Thomas Manns, Franz Kafkas, Herrmann Hesses und von Jenny Erpenbeck. Bernofsky lernte während ihrer Schulzeit Deutsch, studierte später Germanistik und übersetzte, aus Begeisterung für Robert Walser, seine Kurzprosa in sieben Bänden. Sie wurde hoch verdient, als eine der markantesten englischen Stimmen Robert Walsers, mit angesehenen Übersetzer-Preisen ausgezeichnet.
15 Kapitel, Einleitung und ein Epilog
„Hellseher im Kleinen“ also – in den 15 Kapiteln, nebst einer Einleitung und einem Epilog, die uns Bernovskys ungemein sorgfältig recherchierte, reich bebilderte Biografie behutsam nahebringt, eröffnet sich ein Panorama eines Lebens- wie auch Werkzusammenhangs, das es in seiner radikalen Andersheit, verglichen mit den Zeitgenossen, in sich hat. Denn Robert Walser, geboren am 15. April 1878 in Biel, gestorben am 25. Dezember 1956 auf einem einsamen Spaziergang im verschneiten Herisauer Wald, ist heute längst durch seine vier Romane, seine Gedichte, Dramolette und seine feuilletonistisch raffinierte Prosa als einer der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts anerkannt. Auch seine 526 Mikrogramme, in winzigster, mit weichem Bleistift festgehaltener Schrift auf unzähligen Papierfetzchen, besitzen eine eigene grandiose Aura. Mit welch akribischem Gespür für feinste Nuancen der Rhetorik, auch gestützt auf neue Quellen, sich Bernofsky ihres diffizilen Themas annimmt, ist bewundernswert. In immer neuen Anläufen kreist sie die Formulierungen, Metaphern, Bilder und stets doppelbödigen Sentenzen Walsers, seiner luftig duftig famosen Wortkunst ein.
Stets lebte, schrieb und fabulierte Walser hart am Rande der Gesellschaft, schockte in Berlin gar die Boheme mit dem Besuch einer geheimnisvollen Dienerschule und entwickelte später in Bern einen so asozialen Lebensstil, dass er glatt als Chaot galt, ehe er schließlich rund ein Drittel seines Lebens in der geschlossenen Psychiatrie verbrachte. Ob als romantisch einzelgängerischer Antiheld, einer der wenigen „Neuschöpfer der Zeit“, als „Verlocker zur Freiheit“, wie ihn Morgenstern bezeichnend titulierte - Robert Walser wurde heiß verehrt und hat viele beeinflusst, von Franz Kafka über Walter Benjamin und Robert Musil bis zu Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek. „Niemand ist berechtigt, sich mir gegenüber so zu benehmen, als kennte er mich.“ Dieser Gedanke Walsers könnte Bernovskys Motto abgegeben haben, das sie ihr mitreißend erzähltes Buch so und nicht anders schreiben ließ. Es nimmt auch diejenigen für den Schriftsteller Robert Walser ein, für die er noch nicht Kultstatus besitzt.
Das neue Buch
Susan Bernovsky: „Hellseher im Kleinen“ . Das Leben Robert Walsers. Aus dem Englischen von Michael Adrian, Suhrkamp. 536 Seiten, 38 Euro.
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