Zur Opernpremiere - Luk Perceval über seine Inszenierung von Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ am Nationaltheater

Nationaltheater: Warum Star-Regisseur Luk Perceval das Wort Glück überschätzt findet

Von 
Eckhard Britsch
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Regisseur Luk Perceval vor einer der letzten Proben für Mozarts „Entführung“ am Nationaltheater (NTM). © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Warum nur gibt es immer wieder neue Inszenierungen dessen, was der Opernfreund schon längst zu kennen glaubt? Zeitumstände ändern sich, neue Sichtweisen, aber auch Techniken drängen sich auf, ein gesellschaftlicher Wandel impliziert ein anderes Bild der Beziehungen von Frau und Mann, Bürger und Staat, Hoch und Niedrig. Soziologen und Philosophen haben viel zu tun, um Erklärungsmuster unters Volk zu streuen; uns Unwissenden einen Ankerpunkt fürs Leben zu vermitteln und einen Leitfaden zu spinnen, an dem entlang die Menschen sich im Dschungel der Unwägbarkeiten entlang hangeln können. Was naturgemäß meist nicht gelingt.

Doch aus der undurchsichtigen Gemengelage unseres Seins einen Schnittpunkt zu definieren, das sind Möglichkeiten und Aufgabe der Kunst. Als deren Glückskinder, manchmal auch Glücksritter dürfen sich Regisseure fühlen, wenn sie ein unstrukturiertes Fühlen auf der Bühne mit griffigen Szenen verdeutlichen, wenn sie Zeitgefühl an Historie und Entstehungszeit des Kunstwerks messen, wenn sie ästhetisches Vermögen mit Ideengehalt verbinden, um dem Publikum den Traum von einer anderen, idealerweise besseren Welt zu vermitteln.

Keine lebenspraktische Konstanze

Vielleicht am großartigsten gelingt das in der Oper, jener Verbindung von Musik, Gedanklichkeit und Bebilderung, die immer wieder die Seele ergreift. Der international renommierte Regisseur Luk Perceval stellt jetzt am Nationaltheater Mannheim seine Sicht auf die Oper „Die Entführung aus dem Serail“ von Wolfgang Amadeus Mozart auf den Prüfstand. Hier werden wir keine lebenspraktische Konstanze sehen, die, wie vor Jahren bei Jens-Daniel Herzog, im Jungbusch als Sekretärin bei einem türkischen Kleinunternehmer arbeitet. Bei Luk Perceval geht es abstrakter zu, zumal er auf jedes osmanische Kolorit verzichtet, das zu Mozarts Zeiten so „in“ war, als die Türken den Kaffee nach Wien brachten, die Stadt zuvor beinahe erobert hätten, und das Wolferl einen türkischen Marsch ins klapprige Klavier hinein komponierte; Luk Perceval will zum Kern vorstoßen, weswegen er gemeinsam mit der in Genf lebenden Autorin Asli Erdogan eine neue Textfassung erarbeitete, die in den erzählerischen Zwischentexten Zeit und Gefühl der Jetztzeit reflektiert.

Zur Person

  • Luk Perceval wurde am 30. Mai 1957 im belgischen Lommel geboren. Von 2009 bis 2018 war er Leitender Regisseur am Thalia Theater Hamburg. Der in Antwerpen ausgebildete Schauspieler begann in den 1980ern in der freien Szene Belgiens zu inszenieren.
  • Premiere am NTM: Samstag, 18. Juni, 19 Uhr, Opernhaus. Weitere Termine am 23., 26., 28. Juni, 2. und 21. Juli. Karten 0621/16 80 150.

Was hat ihn bewogen eine neue Textfassung zu erstellen? Die Initiative kam vom Intendanten der Genfer Oper (die „Entführung ist eine Mannheimer Ko-Produktion mit Genf und Luxemburg), der sich für die Inszenierung wünschte, die Sprechtexte neu umzudenken, auch weg vom fröhlichen Kasperletheater; wenn man das heute lese, kämen einem die Texte türken- und frauenfeindlich vor, „karikatural“. Die Frau nur als Opfer zu sehen, passe nicht mehr. Bei Perceval wird Konstanze selbstbewusster und Handlung bestimmender sein. Dafür sei Asli Erdogan die ideale Ko-Autorin. Sie lebt in dort in Genf quasi als Fremde in einer fremden Stadt und habe schon sehr viel darüber geschrieben, was es mit einem Menschen tut. Das war für Perceval passend für die „Entführung“, in der erzählt wird, wie sehr wir gefangen sind in uns selbst.

Es geht um Sehnsucht und ein Gefühl der Unvollkommenheit, immer nur Illusionen nachjagend, die eigentlich das Glück bringen sollen. Das findet der Regisseur zeitgemäß, weil wir in einer Welt leben, in der die Menschen aus tief verwurzelter Unzufriedenheit immer radikaler werden. Da schwingt Konsum- und Kapitalismuskritik mit, die des Menschen Freiheit und Kreativität einengt. Perceval möchte zur Essenz vorstoßen, frei von orientalischen Klischees, wobei auch die Bühne aus lichten Holzstäben als „Skelett einer Kirche“ einen quasi sakralen Raum abbildet, in dem Geburt, Hochzeit und Tod imaginiert werden.

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Auch die Doppelung der Figuren dient dazu, Werden und Vergehen zu zeigen, wenn etwa der junge, schöne Belmonte als halb dementer Alter auftaucht, der seine Frau nicht mehr erkennt.

Dieses immerwährende Sehnen nach jemandem, der unerreichbar ist, bleibt deshalb Glück nur eine Illusion und nur der Tod die Erfüllung des Lebens? „Ich finde das Wort Glück sehr überschätzt, man kann Glück zwar spüren, aber wie jede Emotion dauert sie maximal 90 Sekunden“ . Das Streben nach Glück stellt sich als Irrtum heraus, weil der Schmerz ebenso Teil des Lebens ist. „Trauer und Zerfall gehören dazu, nicht nur Glück“. Leid und Rückschläge sind ebenso Teil des Lebens wie Glück. Figuren sieht Luk Perceval oft etwas anders als seine Kollegen - „ja, meistens!“ Hier habe er bei allen den Ausdruck der Sehnsucht gesucht. Und Osmin? Der sei eigentlich der Zerstörer, der Provokateur, derjenige, der letztendlich alles lächerlich mache. „Bei Osmin muss ich an einen Anarchisten denken“. Naive Geschichte oder abstraktes Philosophikum? Da sei Mozarts Musik vor, die „so leidenschaftlich, auch so leidend“ ist, und dadurch die Pfeiler für Percevals Sicht auf die „Entführung“ darstellt.

Eltern waren Rheinschiffer

Wie erinnert sich Luk Perceval an Mannheim, momentan, von einer harten Probenarbeit in Berlin kommend, nur kurze Visiten machen kann? Das Publikum sei aufgeschlossen; hier hat er schon eine Oper von Chaya Czernowin inszeniert und war zweimal beim Mannheimer Sommer mit der Schaubühne zu Gast. Aber eine Sache geht ihm nicht aus dem Kopf. Seine Eltern waren Rheinschiffer, transportierten Holz von Antwerpen zur Quadratestadt. Der kleine Luk schipperte mit und fiel hier im Hafen ins Wasser, das ihm damals ziemlich schmutzig vorkam. Zum Glück hat sich der Rhein erholt. Glück kann sogar materiell sein.

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