Mannheim. Es gab einen Aufschrei in der Mannheimer Musikszene, als nach dem angekündigten kurzfristigen Wegfall der Arbeitsmöglichkeiten im Musikpark auch noch vieler Proberäume im Powertower wegbrachen. Wie steht es dort derzeit um die Proberäume?
Beril Yilmam-Kohl: Mit dem Wegfall des Powertowers sind circa 20 Räume nicht mehr benutzbar. Vier Räume des Hauptgebäudes und noch mal 15 Räume im Nebengebäude können mit kleineren Brandschutzmaßnahmen noch gehalten werden. Das will der Eigentümer wohl auch, das ist aber noch nicht geprüft. Es blieben also 19 Räume benutzbar. Das weiß ich jetzt aber von einem befreundeten Musiker, der dort einen Proberaum hatte. Der Eigentümer hat bisher leider nicht mit uns gesprochen.
Und wie viele Proberäume gibt es im Musikpark?
Steffen Baumann: Im Musikpark gibt es mehr Studioräume, weniger Proberäume. Wir haben aber ungefähr 15 in beiden Gebäuden, die bis zumindest 2024 auch noch sicher sind. Das ist die neue gute Nachricht. Und da können noch vier bis sechs weitere Räume entstehen, weil ein großer Mieter auszieht. Das planen wir gerade, suchen aber natürlich auch neue Räume.
Wo konkret?
Baumann: Im Campus 68 können wir beispielsweise drei Räume, die super ausgestattet sind, sofort beziehen. Auch beim Fußballverein Phoenix Mannheim können wir eventuell Räume bekommen. Die bauen ihr Gelände gerade um und haben einen Komplex, der als Umkleidekabinen gedient hat. Da bekämen wir auch knapp zehn Räume rein. Das ist allerdings nichts, was in den nächsten vier Wochen passiert.
Nadja Peter: Und die Räume im Campus sind komplett ausgestattet?
Baumann: Die sind komplett verkleidet, rund um die Uhr begehbar, mit Nachtwächter und allem drum und dran. Dort ist ja auch schon ein kleines Tonstudio eingebaut.
Peter: Was kostet so ein Proberaum?
Baumann: Der wird keinesfalls teurer als im Powertower.
Über die Beteiligten
- Next Mannheim: Das Existenzgründerzentrum ist eine Tochterfirma der Stadt Mannheim. Hier ist auch der Bereich Musik angesiedelt.
- RAT für Kunst und Kultur: Eine Vertretungsorganisation der Kulturschaffenden. Diese setzt sich aus verschiedenen Sektionen für die verschiedenen Bereiche zusammen. Mitglieder können ihr Anliegen beim Rat platzieren, der diese dann als Sprachrohr an die entsprechenden Stellen bei der Stadt weiterleitet.
- Steffen Baumann: Arbeitet bei Next Mannheim als Prokurist für den Betrieb der kreativwirtschaftlichen Zentren und ist unter anderem für die Zentrumsleitung des Musikparks zuständig. Zudem ist er erster Vorsitzender des Vereins Music Comission Mannheim, einem gemeinnützigen Förderverein für Musik und Kultur.
- Beril Yilmam-Kohl: In Essen aufgewachsen, 2005 zum Studium an die Popakademie nach Mannheim gekommen. Nach einem Master in Kultur- und Medienmanagement in Hamburg wird sie 2011 Beauftragte für Musik und Popkultur beim Kulturamt der Stadt Mannheim. 2017 macht sie diesen Job bei Next Mannheim weiter.
- Julia „Listentojules“ Nagele: Geboren bei München, beginnt 2012 das Jazz-Studium in Gesang an der Musikhochschule Mannheim. 2017 folgt der Master an der Popakademie. Hauptberuflich ist sie Musikerin, ehrenamtlich Sektionssprecherin für Musik beim RAT. Zudem noch Sprecherin bei den „Music Women* Baden-Württemberg“ und „Music Women* Deutschland“, die sich für eine gerechte Musikbranche einsetzen. Listentojules ist zudem aktiv in der Umweltschutzgruppe „Music declares Emergency“.
- Nadja Peter: Mitglied im Rat für Kunst und Kultur und Vorsitzende des Vereins Livekultur Mannheim, der kulturelle Veranstaltungen mit Mannheimer Künstlerinnen und Künstlern organisiert.
Und wie entscheidet sich, wer darauf Zugriff bekommt?
Baumann: Das müssen wir noch besprechen. Wir haben uns noch keine genauen Kriterien überlegt, werden dann aber einen Aufruf starten.
An unsere Vertreterinnen der Kultur: Wie bewerten Sie die jetzigen Bemühungen der Stadt?
Julia Nagele: Erstmal ist es natürlich super, dass neue Räumlichkeiten aufgekommen sind. Die Räume im Musikpark sind langfristig aber auch keine Lösung. Es geht ja um eine systematische oder strukturelle Veränderung. Wir brauchen einen Ort, an dem man mit vielen anderen zusammen arbeiten kann. Wo sich neue Synergien ergeben können. Dieser Kreativraum ist vielleicht eine Traumvorstellung. Aber auch etwas Wesentliches, was die komplette Szene und die Stadt beleben würde.
Baumann: Das ist genau das, worum es für uns am Ende auch geht. Wir wollen Räume zur Verfügung stellen, die die speziellen Anforderungen der Musikerinnen erfüllen, die es trotz des Bedarfs so aber noch nicht am Markt gibt.
Yilmam-Kohl: Und was die Zwischennutzung im Musikpark angeht: Da denke ich an den Nachwuchs. Da haben wir Bands, die einen Raum mieten und noch gar keine Ahnung haben, ob sie in anderthalb Jahren noch existieren.
Peter: Bei dem Thema geht es aber auch immer ganz stark um Ressourcennutzung. Wir stellen alle Anfragen an das Kulturamt, weil wir Geld für Projekte brauchen. Diese Anträge sind dann in Konkurrenz zueinander. Das gäbe es nicht, wenn man als Stadt sagt: „Wir halten etwas vor und ihr könnt dann untereinander die Ressourcen verteilen.“
Baumann: Wir reden ja auch über das Teilen von Infrastruktur. Heute braucht zum Beispiel nicht jeder eine Aufnahmekabine in seinem Studio. Sowas dann zentral vorzuhalten, darum geht es auch für uns.
Yilmam-Kohl: Da muss ich auch dazusagen, dass sich das Musikmachen stark verändert hat. In den vergangenen Jahren ist dieses klassische Bandtum zurückgegangen. Stattdessen musizieren die meisten Jüngeren am Laptop. Da wäre also interessant zu wissen, wie Musik gemacht wird. Brauchen die den Raum immer? Müssen die immer laut sein oder können sie auch leise spielen?
Baumann: Genau das fragen wir ja gerade auch in einer Umfrage ab. Zum Beispiel: Wie laut ist eure Band eigentlich? Und wer hat überhaupt Bedarf und wie sieht dieser konkret aus? Diese Daten haben wir so nicht.
Nagele: Da hätte mich jetzt auch interessiert, wie gut die jetzigen Proberäume ausgestattet sind.
Baumann: Wir werden auf jeden Fall ein Angebot schaffen, das deutlich besser sein wird als das bisherige. Aktuell werten wir unsere Umfrage aus und werden auf dieser Basis dann einen Raumplan entwickeln, der auch den direkten Wettbewerb mit privaten Anbietern weitestgehend vermeidet.
Yilmam-Kohl: Ich finde stattdessen auch die Idee interessant, ein Modell zu schaffen, in dem subventionierte Proberäume nicht mehr für 20 Jahre von denselben Leuten besetzt, sondern nur für zwei Jahre vergeben werden. Das wäre dann ähnlich wie die jetzige Proberaumförderung.
Peter: Dazu gehört auch das Thema, dass die Musikerinnen und Musiker auf Dauer in der Stadt bleiben sollen. Das funktioniert nur, wenn sie auch langfristig einen Proberaum haben. Einige bauen sich da ja richtig etwas rein. Das geht nicht, wenn sie nach fünf Jahren wieder raus müssen. Freischaffende brauchen auch Sicherheit in dem Punkt. Ständige Umzüge kann niemand finanzieren.
Baumann: Inhaltlich sind wir da auf einer Linie. Aber am Ende entscheiden das nicht wir, sondern der Gemeinderat. Wir müssen politisches Bewusstsein schaffen, dass es diese Räume braucht.
Passiert das in ausreichendem Maß?
Yilmam-Kohl: Was das Thema Proberäume angeht, hat das gut funktioniert. Wir haben Gehör im Gemeinderat gefunden, eben wegen dieses Aufschreis nach dem Aus des Powertowers und wegen des Rats für Kunst und Kultur.
Baumann: Früher, als alles angefangen hat mit dem Musikpark, war das leichter. Da gab es nichts anderes im Bereich Gründerzentren. Seitdem sind aber so viele Themen entstanden – mit Greentech jetzt das letzte – und da ist es natürlich mitunter einfacher, neue Themen zu fördern, die gerade aktuell sind. Weil: Musik machen wir ja bereits seit 20 Jahren.
Nagele: Das spürt man auch voll. Ich kenne viele, vor allem Popakademie-Studierende, die deshalb gar nicht daran denken, hier zu bleiben. Da ist klar: Nach dem Studium gehen sie nach Berlin oder Hamburg.
Yilmam-Kohl: Viele kommen aber auch zurück.
Nagele: Mannheim ist auch sehr attraktiv für Musikerinnen und Musiker da die Qualität und Quantität in der Szene sehr hoch ist. Trotzdem sind die Möglichkeiten weiter zu blühen nach oben hin gedeckelt – beziehungsweise: Sie fehlen.
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Wenn man sich in der Musikszene zu diesen Themen umhört, hat man das Gefühl, die Unzufriedenheit war seit Jahrzehnten nicht so groß. Gleichzeitig haben für die Stadt noch nie so viele Menschen daran gearbeitet, dass die Bedingungen für die Szene stimmen. Wie erklärt sich die Diskrepanz?
Nagele: Wir Musikerinnen, Musiker und der RAT machen das ehrenamtlich und müssen viel Zeit investieren. Ohne Lobbyarbeit würde aber nichts laufen. Die schlechte Stimmung kommt daher, dass bislang Austausch und Rücksprache gefehlt haben.
Peter: Es ist auch ein Unterschied, ob man einen Ansprechpartner bei der Stadt hat oder eben eine Vertretung, die die Stimme der Kultur ist – wie sie jetzt der RAT ist.
Yilmam-Kohl: Wobei man auch sagen muss, dass im Musikförderbereich der Stadt immer von oben nach unten funktioniert hat. Deshalb ist der RAT jetzt als Instrumentarium super, der von unten nach oben funktioniert. So bekommen wir mit, welchen Bedarf es überhaupt gibt.
Baumann: Zur Unzufriedenheit: Es heißt immer, wir sind ja Unesco City of Music. Die Stadt muss doch. Aber das ist nur ein Titel, ein Arbeitsauftrag: „Musikerinnen aller Welt, vereinigt euch“. Dafür bekommen wir auch kein Geld oder Förderung.
Nagele: Es scheint aber, als würde sich die Stadt mit der Musikszene schmücken. Also mit denen, die sich eigentlich allein gelassen fühlen.
Yilmam-Kohl: Man muss bei dem Titel City of Music auch die Historie betrachten: Den haben wir bekommen, weil wir und alle anderen Beteiligten, gute Arbeit geleistet haben in Sachen Musikförderung. Aber natürlich darf man sich darauf nicht ausruhen, sondern muss die inhaltliche Ausgestaltung stetig weiterentwickeln.
Peter: Da erwarte ich aber vom Gemeinderat: Dass er zukunftsfähig denkt. Ich kann nicht sagen, dass wir etwas aufbauen, City of Music werden und den Status dann nicht mit (Geld-)Ressourcen hinterlegen. Hier geht es schließlich auch um Nachhaltigkeit: Was lange hält, ist am Ende immer günstiger.
Nagele: Damals wurde beim Musikpark schon die Hand gehoben, dass das so nicht klappt. Jetzt müssen wir umso lauter sein, dass es dieses Mal richtig gemacht wird. Deshalb finde ich es auch sehr gut, dass wir jetzt alle an einem Tisch sitzen.
Yilmam-Kohl: Das denke ich auch. Ein schönes Fazit ist glaube ich, dass wir, was die Kommunikation angeht, so weitermachen sollten. Vielleicht können wir auch einen monatlichen Jour fixe einrichten.
Peter: Von der Politik wünsche ich mir, dass sie hinschaut, wenn wir die Hand heben.
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