Schauspiel

Mit kahl geschorenem Kopf: Samuel Koch ist „Wallenstein“

An den Münchner Kammerspielen wird Schillers „Wallenstein“ zu einem „Schlachtfest in sieben Gängen“. In der Hauptrolle brilliert Ex-NTM-Schauspieler Samuel Koch.

Von 
Frank Dietschreit
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Verheddert sich in seinen eigenen Intrigen: Samuel Koch als „Wallenstein“ in München. © Armin Smailovic

Sechzehn Jahre der Verwüstung, des Elends und Todes. Das Land: ein Tummelplatz der Waffen. Verödet sind die Städte, alles liegt in Schutt und Asche. Einen Frieden wird es erst geben, wenn niemand mehr die Aussicht hat, durch Mordlust, Intrigen und Verrat die Oberhand zu gewinnen und das Schlachtfeld als Sieger zu verlassen. Bis dahin ziehen Söldner durch deutsche Lande und verkaufen meistbietend ihre Dienste. Der Krieg ist ein gutes Geschäft. Fürst Wallenstein, der ein riesiges Söldnerheer versammelt hat, zieht die politischen Strippen und schmiedet militärische Allianzen, versichert dem deutschen Kaiser seine Loyalität, kungelt aber insgeheim mit dem schwedischen König. Seine Söldner vertreiben sich die Zeit mit Saufgelagen. In den Töpfen brutzelt Fleisch, der Duft von frischen Tomaten und fremden Gewürzen weht durch die Münchner Kammerspiele, in denen Regisseur Jan-Christoph Gockel Friedrich Schillers „Wallenstein“ zu einem „Schlachtfest in sieben Gängen“ verwandelt, einem siebenstündigen Theaterrausch, bei dem leidenschaftlich gekocht und gegessen, geliebt und gemordet wird.

Vom Treueschwur zum Verrat ist es nur ein Katzensprung

Weil Machspiele und Mordgelüste zeitlos sind, im Krieg auch heute noch das Geschäft brummt und die brutalsten Typen, wenn sie sich nicht verzocken oder bei Diktatoren in Ungnade fallen, die dicksten Profite einstreichen, ist der Weg vom Feldherrn Wallenstein zum Söldnerführer Prigoschin nicht weit. Deshalb stolpert Sergej Okunev, ein russischer Theatermacher, den es als Dramaturg nach München verschlagen hat, über die mit Kochgeschirr und Kriegsmaterial vermüllte Bühne.

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Mit hinterhältigem Lächeln erzählt er Anekdoten von Aufstieg und Fall des Mafia-Bosses Prigoschin, der Putin erst als Leibkoch diente, später für ihn weltweit aktiv wurde, mit seiner „Wagner“-Gruppe die militärische Drecksarbeit erledigte und von Afrika bis in die Ukraine eine Blutspur hinterließ. Bis er sich überschätzte und von Putin zum Abschuss freigegeben wurde. Natürlich behauptet niemand, dass der mordlüsterne Prigoschin eine billige Kopie oder ein Wiedergänger Wallensteins ist. Aber, wie der Zufall so spielt, sehen sich die glatzköpfigen Gesichter der beiden doch ziemlich ähnlich.

Zum Stück

„Wallenstein. Ein Schlachtfest in sieben Gängen“ an den Münchner Kammerspielen . Dauer: sieben Stunden, drei Pausen. Regie: Jan-Christoph Gockel. Nächste Vorstellungen am 19. Oktober, 2. November.

Uraufgeführt wurde Schillers „Wallenstein“ unter Goethes Regie in Weimar: „Wallensteins Lager. Vorspiel in einem Aufzug (1798). „Die Piccolomini. Erster Teil in fünf Akten“ (1799). „Wallensteins Tod. Zweiter Teil in fünf Aufzügen“ (1799).

Der ganze „Wallenstein“ wird heutzutage nur selten aufgeführt. Peter Stein inszenierte den fast kompletten Text 2007 am Berliner Ensemble/Spielstätte Kindlhalle, die Hauptrolle in der zehnstündigen Inszenierung übernahm Klaus Maria Brandauer . FD

Der kahl geschorene Samuel Koch hat sich das sanfte Lächeln eines Menschenfischers und Machtpolitikers zugelegt, um die wahren Absichten Wallensteins zu kaschieren, den er mit filigraner Sprachkunst zum Leben erweckt. Der seit einem Unfall in einer TV-Show querschnittsgelähmte Schauspieler hatte im Nationaltheater Mannheim bewegende Momente und berührende Auftritte. In seiner Wallenstein-Charakterstudie an den Münchner Kammerspielen zeigt er, mal an den Rollstuhl gefesselt, mal von seinen Mitspielern wie eine Marionette an Fäden durchs kriegerische Gestrüpp geführt, die Ambivalenz eines Mannes, der sich in seinen eigenen Intrigen verheddert und in dem von ihm angezettelten verräterischen Spiel untergeht. Eine perfide Pointe der Inszenierung ist, dass die vom Weggefährten zum Mörder Wallensteins mutierende Bühnen-Figur Butler im wirklichen Leben Samuel Kochs persönlicher Assistent ist, der den Querschnittsgelähmten rund um die Uhr unterstützt und beschützt: Vom Treueschwur zum Verrat ist es nur ein Katzensprung.

Bizarres Spiel mit den Geschlechterrollen

Um das von Männlichkeitswahn und Machtgeilheit dampfende Kartenhaus auf die Spitze zu treiben und zugleich zum Einsturz zu bringen, werden die Grenzen der Geschlechter geschleift: Eine breitbeinig umher stolzierende Johanna Eiworth schlüpft sowohl in die Rolle von Wallenstein General Isolani als auch in das Kostüm eines „Wagner“-Söldners. Annette Paulmann gibt den intriganten und nach eigener Herrschaft strebenden Octavio Piccolomini als fein säuselnden Gourmet, Annika Neugart stapft als kampfeslustiger und lauthals grölender Max Piccolomini durchs tödliche Unterholz.

Samuel Koch in „Walleinstein“. © Armin Smailovic

Katharina Bach geifert nach Blut und Rache durstend als Feldmarschall Illo durch den modrigen Intrigen-Sumpf. Fast ein wenig beängstigend ihr bizarres Spiel mit den Geschlechterrollen. Wenn sie sich häutet und sich mühsam aus ihrer Kampfmontur schält, während sie die russische Dissidentin Svetlana Alexejewitsch herbeizitiert und, nackt und verletzlich am Boden liegend, ihr Leben mit den Worten „Der Mensch ist größer als der Krieg“ aushaucht, verharrt das Publikum in verstörter Stille. Bevor ein befreiender Sturm der Begeisterung losbricht und der Applaus für eine lange Reise in die Nacht nicht enden will.

Freier Autor

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