Schauspiel

Milo Rau inszeniert Jelineks „Burgtheater“ – am Burgtheater

40 Jahre nach der Uraufführung in Bonn inszeniert Milo Rau in einer späten Premiere Jelineks Skandalstück „Burgtheater“ in Wien.

Von 
Frank Dietschreit
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Caroline Peters als Attila Hörbiger und Birgit Minichmayr als Paula Wessely in Jelineks „Burgtheater“ am Wiener Burgtheater. © Tommy Hetzel

Wien. „Wenn man’s in Wien aufführt, wird’s sicher der größte Theaterskandal der Zweiten Republik“, prophezeite Elfriede Jelinek Anfang der 1980er Jahre. Sie schrieb an einer „bösen Posse mit Gesang“, einer Satire über die Nazi-Verstrickungen Österreichs und den bruchlosen Übergang vom Nationalsozialismus in die von Verdrängungen geprägte Demokratie der Nachkriegszeit.

Am Beispiel der Schauspieldynastie Wessely-Hörbiger erzählt Jelinek in einer überdrehten, den Wiener Schmäh persiflierenden Kunstsprache, wie die von Hitler hofierten Mimen in antisemitischen Propaganda-Filmen wie „Heimkehr“ auftraten, mit einer Paula Wessely, die einem jüdischen Händler den vernichtenden Satz ins Gesicht schleuderte: „Wir kaufen nicht bei Juden“. Attila Hörbiger spielte gern den germanischen Herrenreiter, der für Nation und „arische“ Rasse über Leichen geht. Sein Bruder Paul durfte den dürftigen Kriegsalltag mit neckischen Komödien verkleistern. Einzig Paul wurde ein wenig von Schuld und Scham geplagt und versuchte vor dem Zusammenbruch des Regimes, jüdischen Kollegen zu helfen. Doch nach dem Krieg war alles vergessen, am Burgtheater wurden sie wie eh und je gefeiert. Warum auch nicht. Schließlich stieg ein Politiker mit Nazi-Aura sogar bis zum Bundespräsidenten auf!

Milo Rau gibt das Regietheater der Lächerlichkeit preis

JelineksBurgtheater“-Satire wurde 1985 in Bonn uraufgeführt und an einem in Graz szenisch angespielt. Danach verschwand die „böse Posse“ für Jahrzehnte im Giftschrank der Theatergeschichte. Weil Jelinek als „Nestbeschmutzerin“ angefeindet wurde, verbot die Autorin jede weitere Aufführung. Bis jetzt. Der Schweizer Regisseur Milo Rau ergatterte im Rahmen der von ihm geleiteten Wiener Festwochen von Jelinek die Rechte für eine späte Premiere am Ort des Geschehens: dem Burgtheater.

Weil das Wessely-Hörbiger-Bashing inzwischen ein wenig angestaubt ist, bricht Milo Rau das Stück auf, dekonstruiert und verfremdet, streut Fremdmaterial ein, Live-Kameras umkreisen das zwischen politischen Ohrfeigen und humoristischem Slapstick wüst irrlichternde Geschehen. Film-Sequenzen aus alten Nazi-Streifen werden aufgerufen. Die Bühne dreht sich ohne Unterlass und wirbelt die Akteure durch Zeiten und Räume. Mal schauen wir den Mimen in der Garderobe beim Schminken zu, mal reisen wir mit ihnen in eine Fantasiewelt, in der die alten Stücke noch einmal geprobt und die alten Filme noch einmal aufgenommen werden. Modische Podcaster kommentieren das Spiel und interviewen die Darsteller. Das Regie-Theater mit seinen oft banalen und überdrehten Einfällen wird dabei ständig vorgeführt und der Lächerlichkeit preisgegeben. So viel Selbstironie muss sein.

Elfriede Jelinek

  • Elfriede Jelinek, geboren am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag (Steiermark), lebt in Wien und München .
  • Im Jahr 2004 erhielt sie den Literaturnobelpreis für „den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen“.
  • Der literarische Durchbruch gelang ihr mit dem Roman „Die Liebhaberinnen“ , einer Karikatur des Heimatromans aus marxistischer und feministischer Sicht.
  • In ihren Romanen und Stücken setzt sich Jelinek immer wieder mit der mangelnden Bewältigung der Nazi-Vergangenheit in Österreich auseinander.
  • Wegen ihres Romans „Lust“ wurde sie angefeindet, das Burgtheater“-Stück trug ihr den Vorwurf der „Nestbeschmutzerin“ ein. Die aktuelle Inszenierung in Wien ist die erste seit 40 Jahren. FD

Wie steht es um unser Verhältnis zum Faschismus, zu Wutbürgern und Mitläufern in einer Zeit, die von Krieg und Katastrophen geprägt ist, in der Wahrheiten zu Staub zerfallen und die Grenzen zwischen Opfern und Tätern verschwimmen? Und welche Rolle spielt dabei das (Burg)Theater?, fragt Milo Rau. An seiner Seite: einige der besten Schauspielerinnen des zeitgenössischen Theaters.

Der Großvater – ein lieber Mensch und verdammter Nazi

Bevor Caroline Peters in die Rolle von Attila Hörbiger schlüpft und den einstigen Hitler-Liebling in Grund und Boden spielt, berichtet sie, dass sie mit ihrem Vater als 14-jähriges Mädchen die Aufführung in Bonn besuchte: für sie ein Erweckungs-Erlebnis über die Kraft der Kunst als Mittel der politischen Aufklärung. Birgit Minichmayr gibt die Wiedergängerin von Paula Wessely, salbadert mit hehrem Pathos durch ihre Rollen-Partitur, schlägt sprachliche Kapriolen, meckert und maunzt, zerkaut den Text genüsslich und stürzt die Wessely vom bröckelnden Sockel.

Und bevor Mavie Hörbiger sich als Paul Hörbiger ausgibt, erzählt sie von ihrem Großvater, berichtet, wie er kurz nach dem Krieg abgemagert in einer Loge der Burg saß und, als die Zuschauer ihn erkannten, mit stehenden Ovationen begrüßt und wieder eingemeindet wurde. Bis heute leide sie darunter, dass ihr Großvater ein lieber Mensch, aber auch ein verdammter Nazi war.

Mit Itay Tiran verschwimmen die Grenzen zwischen den Gewissheiten: Der aus Israel stammende Darsteller hasst es, immer nur sanfte Juden spielen zu müssen, um die Deutschen und Österreicher von ihrer Schuld zu befreien, auch jetzt ist er wieder der jüdische „Burgtheaterzwerg“, der von seinen „arischen“ Kollegen erst gemobbt und dann (die Rote Armee steht schon vor der Tür) versteckt und gerettet wird.

Seit dem Massaker der Hamas und dem Einmarsch Israels in Gaza sitzt Tiran, der, wie alle anderen auch, immer wieder die Rollen wechselt und das eigene Spiel kommentiert, vollends zwischen allen Stühlen und kann Täter und Opfer kaum mehr unterscheiden.

Für Safira Robens, Schauspielerin aus dem Ruhrpott mit migrantischen Wurzeln, endet der Versuch, als „Alpenkönig“ verkleidet Geld für den Widerstand zu sammeln, mit dem Tod. Von Neonazis wird sie gefoltert, von Attila Hörbiger unter einen Tisch gezerrt und zerstückelt.

Die Kamera ist immer dabei. Auch wenn Safira Robens wieder zum Leben erwacht und auf dem Rathausplatz gegenüber der Burg die von Milo Rau gegründete „Freie Republik Wien“ ausruft und zum „Festival der Liebe“ auffordert. Make Love Not War: Vielleicht ist nur so der ewige Faschismus zu überwinden.

Burgtheater“ am Burgtheater, nächste Vorstellungen am 23. Mai sowie 1., 9. und 20. Juni.

Freier Autor

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