Kabarett - Urban Priol seziert im ausverkauften Mannheimer Rosengarten das Jahr 2019 weniger wutschnaubend, aber ohne Biss zu verlieren

Milder als früher, aber analytisch stark wie immer

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Gnadenlos auf den Punkt: Urban Priol im Rosengarten. © Mertens

Die Rückschau auf das Jahr 2019 ist kein reines Vergnügen, Urban Priol macht es aber zu einem. Sein kabarettistischer Jahresrückblick „Tilt!“ seziert im wie immer ausverkauften Mannheimer Rosengarten nicht nur die abgelaufenen zwölf Monate analytisch stark und gewürzt mit köstlichem Sarkasmus, sondern richtet den Blick zurück auch gleich wieder nach vorn. Die zweieinhalb Stunden Netto-Spielzeit verdienen sich den immer wieder aufwallenden Szenenapplaus und durchgängige Lacher auch dadurch, dass Priol seinen heiligen Zorn vor allem auf die Fehlleistungen in der Politik geschickter dosiert.

Wo der Zuschauer früher oft das Gefühl hatte, dem Kabarettstar stünden die Haare vor lauter Wut auch ohne Spray zu Berge, ist sein Grundton heute generell milder – aber inhaltlich nicht weniger scharf. Manche Aussage wirkt mit gebremstem Schaum vorm Mund dadurch sogar noch gnadenloser. Vor allem, wenn sich Priol den Zustand der deutschen Parteien vorknöpft. Das scheint er kaum abwarten zu können, denn er rast im Sturmschritt auf die Bühne, so dass ihm fast der Schaum vom Weizenbierglas fliegt.

Starke Kretschmann-Parodie

Bei den grünen Überfliegern wird ihm zu viel gekuschelt und den Hang zur Bräsigkeit ihres Vorzeige-Konservativen Winfried Kretschmann führt er vor, indem er ihn sehr gekonnt in die Menagerie seiner Parade-Parodiefiguren um Gerhard Schröder einreiht. Bei der CDU sieht er als Methode nur „Aussitzen als Bewegungstherapie“ und watscht vor allem Annegret Kramp-Karrenbauer ab – die „moderne, taffe, weltgewandte CDU-Chefin, die aufbrechen möchte in die 60er Jahre – also, die des letzten Jahrhunderts.“ Großes Gelächter, das etwas indirektere Abkanzeln funktioniert fast besser als seine beliebten Frontalbeschimpfungen (etwa „Master Of Maut-Desaster“ über Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU)).

An der SPD kann er nur eins bewundern: Das Houdini-artige Kunststück der Volkspartei, sich in den Sarg zu legen, den Deckel zuschließen – und „dann noch selbst von außen die Nägel einzuschlagen.“ Bei der AfD muss Priol nur wohlakzentuiert in den Raum stellen, wo sie ihren Parteitag abgehalten hat: Braunschweig – der Lacher ist gewaltig, die Leute denken eben gern mit. Und lachen noch lauter, als Priol die Pointe nachlegt: „Eine Partei, die braun ist und besser schweigen sollte.“ Diese subtile Methode, mit Pausen zu punkten als wäre er ein Jazz-Drummer, setzt der Mainfranke neuerdings regelmäßig ein. Am wirkungsvollsten mit der Überleitung: „Zum Glück haben wir starke Frauen in der Politik ...“ Da muss er nur trocken „Julia Klöckner“ nachlegen, schon meint man fast, ein paar Zwerchfelle vor Lachen platzen zu hören.

Strahlkraft der Blender

FDP-Chef Christian Lindner bekommt als härteste Attacke den Vergleich mit dem neuen Bundesliga-Trainer der Berliner Hertha ab: „Alle sagen Jürgen Klinsmann, ein Mann mit internationaler Strahlkraft. Also: ein Blender.“ Diese Genauigkeit beim Blick auf Worthülsen findet sich auch beim Abgleichen heutiger Positionen mit alten Programmen. Dass das inhaltliche Spektrum des Abends von Ibizagate über Tempolimit-Debatte bis zum aktuellen „Mexit“ reicht, rundet das Vergnügen ab. Der Termin für 2021 im Rosengarten ist schon geblockt: 10. Januar.

Mannheim

Urban Priol blickt im Rosengarten satirisch auf 2019 zurück

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