Er ist nicht nur einer, der immer für einen Spaß zu haben ist. Er redet auch mit dem Publikum: In jeder Pause spricht Michael Francis über das Werk für das Publikum in der Coca-Cola Arena von Dubai. Er tut es in charmantem Englisch, das in Dubai im Prinzip Landessprache ist. Den größten Erfolg aber hat Francis beim Dirigieren der Deutschen Staatsphilharmonie aus Ludwigshafen, die - auf Einladung der Europäischen Stiftung für Kulturförderung (EUFSC) beim In Classica Festival vier Konzerte in Dubai gibt.
Mister Francis, wie fühlen Sie hier sich in Dubai?
Michael Francis: Heiß (lacht). Ich lebe ja in Florida, dieses Wetter ist nicht ungewöhnlich für mich. Aber die Stadt fasziniert mich. Diese Menge an Bauten zu sehen, die Architektur, die Kultur. Es ist aufregend. Musik ist der größte Reisepass der Welt. Ich war in den größten Städten. Dies hier ist noch mal anders. Die Musik erlaubt uns, mit dem Publikum zu sprechen, tiefe emotionale Konversationen über Beethoven, Brahms oder Schumann zu führen.
Finden Sie nicht, dass die armen alten deutschen Komponisten ein bisschen ins Schwitzen kommen?
Francis (lacht). Klar, die hätten sich nie an die Hitze gewöhnt in ihren Perücken und der stickigen Kleidung.
Sie sprechen von Konversationen. Haben Sie Leute der reichen islamischen Bevölkerung getroffen?
Francis: Nein. Ich habe sie im Publikum gesehen und auch mit den Veranstaltern darüber gesprochen. Sie nehmen wahr, dass immer mehr Einheimische ins Konzert kommen.
Kommt jemand nach dem Konzert zu Ihnen?
Francis: Nein, aber das hat auch mit Covid zu tun. Und man darf nicht vergessen: Das Festival In Classica ist ein maltesisches Festival, das in Dubai gastiert, weil es im Mai in Malta nicht stattfinden konnte.
Vier Konzerte in Dubai
Der Musiker: Michael Francis ist 1976 in England geboren und studierte an der Cardiff University School of Music. Er spielte im Jugendorchester der Europäischen Union und später Kontrabass beim London Symphony Orchestra (LSO).
Der Dirigent: Als Bassist des LSO sprang der Taktstock-Autodidakt 2007 für Valery Gergiev ein. Engagements in New York, San Francisco und San Diego (seit 2015) folgten. Seit September 2019 ist er Chefdirigent der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz.
Die Dubai-Tour: In Dubai gastierte das Orchester von 16. bis 21. September auf Einladung der Europäischen Stiftung für Kulturförderung. dms
Das Orchester macht hier ja auch kulturellen Austausch. Funktioniert das?
Francis: Es klingt zwar immer wieder wie ein Klischee, ist aber wahr: Musik ist eine universelle Sprache. Wir können Beethovens Fünfte in jedem Land der Welt spielen, und die Menschen gehen mit auf diese Reise per aspera ad astra (durch das Raue zu den Sternen). Jeder versteht das. Wir sind ein deutsches Orchester, tief im Blut verbunden bis hin zu Beethoven. Das ist mächtig. Wir bringen nach Dubai, was wir am besten können. Kulturaustausch ist sehr wichtig. Es ist traurig, dass wir zunehmend feindseliger werden. Wir sprechen nicht mehr. Wir teilen nicht mehr. Wir sind immer mehr in unserem Ding gefangen. Alles, was hilft, über die Mauern zu springen, ist gut.
Dubai ist wie die kapitalistische Ausformung einer islamischen Monarchie. Wie sehen Sie das?
Francis: Meine Frau hat hier gelebt und eine Menge erzählt. Was Dubai repräsentiert, ist: Möglichkeiten. Das, was Manhattan vor 100 Jahren war, ist jetzt hier.
Manhattan wurde in der ältesten Demokratie der Welt errichtet .
Francis: … das stimmt. Es ist natürlich schwierig, wirklich in die Seele eines Landes einzudringen. Was auch immer die Absichten der Regierung sein mögen, die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, fühlen sich sehr frei.
Sie haben kein Moral-Problem?
Francis: Die Gabe der Kunst ist es, uns zu einen und zurückzuführen zu den großen Konversationen der Vergangenheit. Kunst ist so wichtig, weil sie uns durch die Jahrhunderte hindurch verbindet. Sie eint – egal, welchen Finanzstatus du hast, welche Religion, unter welchem Regime oder unter welcher Regierung du lebst. Musik hilft, das zu verstehen, sie hilft Wurzeln zu setzen, die wachsen und die gemeinsame tiefe Kultur zu zeigen. Unser größter Feind heute ist nicht die Moral einer Regierung, die man richtig oder falsch findet.
Sondern?
Francis: Es sind die sozialen Medien. Es ist das Smartphone. Es sind all diese Hilfsmittel, die Ablenkung bringen sollen, wie zum Beispiel Netflix. Das macht mich panisch. Und wir schieben es vor uns her – auch bei der Erziehung. Auch der Dogmatismus in der Politik ist gefährlich, das sind die Sachen, die gefährlicher sind – in unserer Kultur.
Fast die ganze Welt diskutiert über Nachhaltigkeit. Auch die Staatsphilharmonie. Vielleicht wird diese Debatte die Welt der Klassik mit dem Touren überall auf der Welt verändern. Sie leben auch in Florida, kommen nach Ludwigshafen. Stellen Sie sich manchmal Fragen?
Francis: Es gibt Argumente dafür, weniger Tourneen zu machen, das ist verständlich. Aber die Menschen wollen die verschiedenen internationalen Orchester live hören. Wir teilen unsere Kultur durch Reisen und Auftritte. In Dubai gibt es kein Vollzeit-Sinfonieorchester. Wenn wir unser außergewöhnlich hochwertiges Orchester mitbringen, erfüllen wir einen wichtigen Zweck.
Sie sind also sicher der Ansicht, dass Sie mit Kultur und Humanismus den Menschen und also die Welt verändern können?
Francis: Zuerst: Der Akt, ein Instrument zu spielen, ist die einzige Aktivität, die alle Intelligenzen gleichzeitig in uns stimuliert.
Ist das wissenschaftlich?
Francis: Ja, und die Intelligenzen sind körperlich-kinästhetische Intelligenz, visuell-räumlich, intrapersonal, existenziell, musikalisch, sprachlich, logisch-mathematisch, interpersonal und naturalistisch. Das ändert die Synapsen im Gehirn.
Und?
Francis: Außerdem lernt man Disziplin, Freiheit, Geduld, Zuhören, mit anderen zusammenzuarbeiten, und: Du wirst Kontakt bekommen zu all diesen grandiosen Menschen aus der Vergangenheit. Und heute in einer Welt, in der Ideologien zu dominieren scheinen, ist das so wichtig. Zurückzugehen zu Schostakowitsch und zu erleben, unter welchen Repressionen er gearbeitet hat, oder zu Beethoven, als er in der post-revolutionären Ära an der 5. Sinfonie schrieb. Das ist, wie in einem Geschichtsbuch zu lesen. Musik hat so viele Antworten auf den Verlust der kritischen Diskussion. Die Leute gehen zum Beispiel immer weniger in die Kirche. Wo sind denn unsere gemeinsamen Orte der Kommunikation, der Auseinandersetzung über Themen der Politik?
Im Theater.
Francis: Die Kunst gibt uns ein Forum, um kontroverse Themen zu diskutieren, die im alltäglichen Gespräch zu gefährlich oder sogar tabu geworden sind. Kunst hilft uns, offen zu bleiben.
Sie sehen in Kunst auch ein Surrogat für Religion?
Francis: Nicht direkt. Aber jeder hat ein von Gott geformtes Loch in seinem Herzen, eine Ahnung von etwas Größerem. Wir können es ausfüllen mit Kapitalismus, Familie oder irgendetwas anderem. Kunst aber lehrt uns, über das Gefühl zu verstehen. Fühlen, was sie gefühlt haben, das ist so wichtig.
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