Musik

Metallicas neues Album "72 Seasons": Harte Welt - härtere Songs

Metallicas „72 Seasons“ ist selbst für Fans ein unerwartet hartes Album. Sänger James Hetfield kämpft so heftig wie lange nicht mehr mit seinen Dämonen. Gitarrist Kirk Hammett erklärt, warum die Platte klingt, wie sie klingt

Von 
Steffen Rüth
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Metallica live in Philadelphia (v.l.): Robert Trujillo, James Hetfield (hinten), Lars Ulrich und Kirk Hammitt. © Elizabeth Robertson/The Philadelphia Inquirer/dpa

Darauf angesprochen, warum die Veröffentlichung von „72 Seasons“, dem elften Studioalbum der US-amerikanischen Heavy-Metal-Heroen, selbst für Metallica-Verhältnisse von überwältigendem Interesse flankiert wird, muss Kirk Hammett einen Moment in sich gehen.

Der Gitarrist meldet sich ganz klassisch am Telefon aus Hawaii, seinem Hauptwohnsitz, um mit uns über die neue Platte zu sprechen, und er bietet nach kurzer Bedenkzeit zwei Theorien an. Die erste: „Die neuen Songs sind einfach besonders geil.“ Da kann man nichts gegen sagen. Bei den allermeisten Fans kamen schon die vier Vorabsingles hervorragend an. „Wir machen unsere Musik nicht für die Fans“, so Hammett, „aber es spornt uns natürlich an, wenn sie unser Zeug lieben.“

Metallica trifft den Zeitgeist

Der zweite Grund für den neuerlichen Boom - 42 Jahre nach der Bandgründung in Kalifornien - ist komplexer: „Wir treffen mit unserer Musik gerade wieder so richtig den Zeitgeist“, denkt Hammett. Musikalisch würden sie auf „72 Seasons“ nichts grundlegend anders machen als auf den beiden Vorgängern „Death Magnetic“ (2008) und „Hardwired…To Self-Destruct“ (2016). „Aber uns ist keinesfalls entgangen, dass die Leute mit mehr Begeisterung auf unsere neuen Songs reagieren als auf alles, was wir die letzten zwanzig Jahre oder noch länger gemacht haben. Es mag wohl wirklich so sein, dass Zeiten wie diese wie geschaffen sind für Musik wie unsere.“

Über Metallica

Metallica sind James Hetfield (59, Gesang), Lars Ulrich (59, Schlagzeug), Kirk Hammett (60, Gitarre) und Robert Trujillo (58, Bass).

Gegründet 1981 in Los Angeles hat die kommerziell wohl erfolgreichste Heavy-Metal-Band aller Zeiten von ihren bisherigen zehn Studioalben 125 Millionen Kopien verkauft.

Hinsichtlich ihrer Tournee will die Band bei den zwei Shows in Hamburg (26. und 28. Mai 2023) und München (24. und 26. Mai 2024) jeweils komplett unterschiedliche Songs spielen. „Weil“, so Hammett, „wir das können“.

Seit 2016 sei ja kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Als „Hardwired“ rauskam, hieß der amerikanische Präsident noch Barack Obama, Greta Thunberg war noch eine gewöhnliche schwedische Schülerin, Rassismus und Polizeigewalt fanden noch nicht die überfällige Beachtung, die sie durch den Mord an George Floyd und die Black-Lives-Matter-Bewegung erlangten, chinesische Wildtiermärkte waren den meisten gleichgültig und Wladimir Putin galt bloß als ein Undemokrat von vielen. „Wut und Frust haben sich bei vielen Menschen angestaut“, so der sechzig Jahre alte, aber nicht wie ein Sechzigjähriger aussehende Surfer und Yogi Hammett. „Und sie suchen nach einer Band, mit deren Musik sie ihren ganzen Ärger in konstruktive Energie umwandeln können.“

Weitere Indizien für Hammetts Metallica-sind-wieder-richtig-angesagt-Theorie: „Enter Sandman“, eines ihrer auch bei einem Mainstream-Publikum beliebtesten Lieder, erreichte kürzlich die immer noch magische Marke von einer Milliarde Streams auf Spotify. Und „Master Of Puppets“, der Titelsong jenes 1986 veröffentlichten Albums, das bis heute als Meilenstein des Metal gilt, spielt in einer Schlüsselszene der aktuellen „Stranger Things“-Staffel eine ähnlich entscheidende Rolle wie an anderer Stelle der Serie Kate Bushs „Running Up That Hill“.

„Mit unserer Musik erreichen wir die Menschen an ihrer Wurzel und helfen ihnen, zu erkennen, dass das Leben schön ist“, glaubt Hammett an die Kraft seines Schaffens. Es bedeute dem Gitarristen extrem viel, „dass wir mit unserer Musik allen, die das brauchen, einen Rettungsring zuwerfen.“

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Zu diesen Personen zählen nicht zuletzt die vier Musiker selbst. Auch Metallica litt unter den Begleiterscheinungen der Pandemie. Hammett, Sänger James Hetfield, Schlagzeuger Lars Ulrich und Bassist Rob Trujillo saßen zunächst untätig und unschlüssig herum, bis sie sich regelmäßig per Zoom zum Ideenaustausch verabredeten und erste Songgerüste erarbeiteten, die ab Ende 2020 mit Stammproduzent Greg Fidelman im heimischen Studio nahe San Francisco zu jenen 77 Minuten ausgewalzt wurden, die sie einem nun auf „72 Seasons“ genussvoll um die Ohren hauen.

Nach Besinnlichem war ihnen dabei nicht zumute. Ein Brett jagt das nächste, Balladen sind vollständig Fehlanzeige, zum Durchatmen ist diese Platte nicht konzipiert. „Irgendwann fragte uns unser Produzent, ob wir denn überhaupt keine Ideen für ruhige Stücke hätten“, erinnert sich Hammett schmunzelnd. „Tatsächlich war alles, was wir schrieben, fucking heavy“, verdammt hart also. Nur zwei der zwölf Songs sind kürzer als fünf Minuten, am Schluss donnert „Inamorata“ ganze elf Minuten und zehn Sekunden lang über die Hörenden hinweg.

Nichts für nebenbei

„72 Seasons“ ist ein immens dicht gewebter Teppich aus Musik, an Intensität schwer zu übertreffen und absolut ungeeignet zum beiläufigen Konsum. Lyrisch durchdrungen von den ersten 72 Jahreszeiten des Lebens - also der Zeit bis zum 18. Geburtstag, die bei Hammett wie Hetfield gleichermaßen durch Armut und Erfahrungen mit Drogen und Kleinkriminalität geprägt gewesen sei, während Ulrich als Sohn eines dänischen Tennisprofis Einsamkeit eher im goldenen Käfig erlebte - malt Hetfield mit sehr vielen Schattierungen der düstersten Farben.

So heftig wie lange nicht kämpft der Frontmann - der sich 2019 nach einem Alkoholrückfall stationär behandeln ließ und im Sommer 2022 die Scheidung von seiner langjährigen Ehefrau einreichte - mit seinen Dämonen, seiner Verzweiflung, seiner Wut und seinen Ängsten. Man möchte den mental gebeutelten Sänger wahlweise tröstend in den Arm nehmen oder ihn darauf hinweisen, dass doch alles gar nicht so schlimm ist, wie er es sich in Songs wie „Chasing Light“ oder „Crown Of Barbed Wire“ zusammendystopiert.

„Selbstverständlich haben unsere Songs für James einen therapeutischen Nutzen“, sagt Kollege Hammett. „Sie helfen uns allen, unser Bewusstsein für herausfordernde Situationen zu erkennen und ganz generell das Leben so gut zu meistern, wie wir können.“

Freier Autor

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