Mannheim. „Es fühlt sich an wie ein Klassentreffen“, meint Doc Wenz über das Konzert im Sommerbühnenprogramm der Alten Feuerwache Mannheim – was eine ziemlich treffende Beobachtung ist. Tatsächlich sieht man im Publikum allerhand aus der hiesigen Musikszene wie auch aus allgemeiner Konzertgänger-Vergangenheit bekannte Gesichter. Und wie bei einem Klassentreffen ist man gespannt, wohin sich die anderen entwickelt haben, in diesem Fall natürlich ganz speziell: wohin sich der Sänger und Gitarrist Doc Wenz entwickelt hat, der zu dieser gut besuchten Jubiläumszusammenkunft seine neue Band The Melancholics mitgebracht hat: Florian Schlechtriemen spielt in diesem Melancholiker-Verbund das Schlagzeug, Javier de la Poza den Bass, Simon Seeleuther prägt an der Pedal-Steel-Gitarre den Sound.
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Zehn Jahre lang war Wenz der Bühne ferngeblieben, nachdem er 2013 seinen Abschied von der Stil- und die Region prägenden Formation Mardis Gras.b.b. genommen hatte, die im Bigband-Format zwischen Brass und Blues und Funk und Pop und Chanson schillerte. Wie und wonach die Rückkehr von Jochen Wenz – wie der gelernte Mediziner bürgerlich heißt – klingen wird, darüber war einiges zu lesen, zu hören aber noch nichts. Wenz verortet das in launiger Selbstauskunft so: „Komische Musik spielen wir heute Abend.“
Und diese, wie sich sehr bald weist, harmoniert sehr gut mit der reichlich regnerischen Witterung draußen, weshalb das als Open Air geplante Konzert ins Innere der Feuerwache verlegt wurde. Wo sich das schwarzgallige Temperament – und als solches ist der Melancholiker in hippokratisch-medizinhistorischer Sicht ja zu verorten – in dunkler Blüte entfalten kann.
Angetan mit Lederjacke und Western-Fliege besingt Wenz hier die Tücken der Wahrheit („Beware Of The Truth“), und fern jeder Eilfertigkeit bewegt sich die Musik durch Americana- und Country- und Blues-Gefilde, gleitet auf der Pedal-Steel-Gitarre in den weiten Hallraum sehnsüchtiger Wehmut – die Beine sind vom Laufen müde, der Kopf ist schwer, aber immerhin das Glas noch voll. Man stolpert an Heu und Wind-rollenden Steppenläufern vorbei durch mondbeschienenen Staub und beklagt die Endlichkeit der Zweisamkeit, schlurft bei „So Lonely I Could Die“ durch die einsame Bar zur neonfarbenen Jukebox und investiert dort einen Nickel in eine alte Erinnerungsmelodie.
Wo die Zeit keine Rolle spielt
Die eingängige Ode an den „Spanish Moon“ klingt nach einem somnambulen Ritchie Valens, und allenthalben meint man Hank Williams aus dem Sattel winken zu sehen, wobei Wenz der brüchig-rauen Stimme nach mehr Bob Dylan verhaftet ist. Ihre Version von „Sugar, Honey, Honey“ reduzieren Doc Wenz & The Melancholics auf die Fließgeschwindigkeit von Weidenhonig: Sinnbild für rund 90 Konzertminuten, in denen Zeit keine Rolle zu spielen scheint. Schön, dass der Doc zurück ist.
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