Schauspiel

Mannheims ehemaliger Hausautor Ostermaier inszeniert "Stahltier" in Berlin

Mannheims ehemaliger Hausautor und Wormser Nibelungen-Bearbeiter Albert Ostermaier triumphiert mit „Stahltier“ am Berliner Renaissance Theater. Was die Inszenierung ausmacht

Von 
Frank Dietschreit
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Jacqueline Macaulay und Wolfram Koch in „Stahltier“. © Bohumil KOSTOHRYZ

Berlin/Mannheim. Nebelschwaden wabern durch den Zuschauersaal. Es scheint, als sei gerade eine der Dampfloks durch das Berliner Renaissance-Theater gerattert, denen Willy Zielke 1935 im Auftrag der Deutschen Reichsbahn in seinem Film „Das Stahltier“ ein künstlerisches Denkmal gesetzt hat. Propagandaminister Joseph Goebbels sah bolschewistische Umtriebe und verbot den Streifen, der heute wegen seiner expressionistischen Bildgestaltung und seines avantgardistischen Schnitts als Meilenstein der Kinogeschichte gilt. Leni Riefenstahl aber erkannte das Genie von Zielke und engagierte ihn für ihre Olympia-Filme. Als Zielke der Nazi-Mitläuferin zu widerborstig wurde, sorgte sie dafür, dass er in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Dort attestierte man ihm Schizophrenie und ließ ihn sterilisieren.

Bedrückender Text über Anpassung und Widerstand

Für ihr rassistisches Machwerk „Tiefland“, das den „Triumph des Willens“ und „Überlebenskampf der germanischen Rasse“ verherrlicht, holte sie den seelisch und körperlich gebrochenen Zielke wieder vor die Kamera. Zielke hatte Glück im Unglück. Er überlebte den Nazi-Wahn.

Albert Ostermaier hat den historisch und politisch kontaminierten Stoff zu einem bedrückenden Text über Anpassung und Widerstand von Kunst in Zeiten der Diktatur geformt. In seinem Stück „Stahltier“, das jetzt im Renaissance-Theater aufgeführt wird, zeigt er, wie schmal der Grat ist, auf dem Künstler wandeln, wie schwierig es ist, den Verlockungen der Macht zu widerstehen.

Ostermaier war Hausautor am Mannheimer Nationaltheater, hier kam „Tatar Titus“, „Radio Noir“, „Schwarze Minuten“ und „Fratzen“ heraus. Für die Nibelungenfestspiele in Worms hat Ostermaier „Gemetzel“, „Gold. Der Film der Nibelungen“ und „Glut. Siegfried von Arabien“ verfasst. Er ist ein Sprachkünstler und Vielschreiber, hat unzählige Stücke, Lyrikbände und Romane veröffentlicht, sucht stets nach sprachlicher Verdichtung und politischer Zeitlosigkeit. „Stahltier“ ist für ihn ein „Exorzismus“, um den Teufel des Verrats von Kunst an die Macht auszutreiben. Es ist aber auch eine Hommage an den fast vergessenen Willy Zielke.

Regisseur Frank Hoffmann lässt Jacqueline Macaulay und Wolfram Koch jede Freiheit für schauspielerische und sprachliche Brillanz. Ihre Rollen überlappen sich, sie schlüpfen mal in die eine, mal in die andere Figur hinein, sind in einem Moment Leni Riefenstahl, im anderen Willy Zielke. Sie irrlichtern durch die Zeit, sprechen für sich und im Duett. Immer wieder werden sie zum diabolischen Joseph Goebbels, der sich ins Geschehen einmischt und sich Wortgefechte mit Riefenstahl liefert. Die Bühne gleicht einer bizarren Mischung aus chaotischem Filmset und düsterem Führerbunker. Filmschnipsel werden auf Leinwände projiziert, Worte werden zu Granaten, mit denen man die anderen vernichten will – oder ums Überleben kämpft. Über allem liegt eine Atmosphäre der Angst. Aber auch der Freiheit, die nur durch aufrechte, emphatische Kunst erreicht werden kann. Nach nur 80 Minuten ist der Spuk vorbei. Das Publikum schüttelt sich kurz und feiert dann fast euphorisch Autor und Inszenierung.

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