Als es galt, die ikonische Rolle der Kaiserin Elisabeth von Österreich – im Volksmund gern „Sisi“ genannt – in einer großangelegten Netflix-Serie zu besetzen, fiel die Wahl auf die in Mannheim geborene Schauspielerin Devrim Lingnau. In „Die Kaiserin“ (Netflix-Start: 29. September) spielt die 24-Jährige, bekannt aus dem Kinofilm „Auerhaus“ und TV-Produktionen wie „Allmen und das Geheimnis der Erotik“, eine starke junge Frau inmitten von Kriegswirren und politischen Intrigen. Wir sprachen mit Devrim Lingnau über eine Sisi für das 21. Jahrhundert.
Frau Lingnau, gegen wie viele Möchtegern-Elisabeths mussten Sie sich im Casting durchsetzen?
Devrim Lingnau: „Möchtegern“ ist für mich ein schwieriger Begriff. Ich glaube, dass jede andere Frau, die sich für diese Rolle beworben hat, sie auf ihre ganz eigene Weise interpretiert und eine individuelle Sprache für sie gefunden hätte. Ich musste mich insofern behaupten, dass ich wirklich gerne in dieser Produktion dabei sein und diese Rolle spielen wollte. Ich glaube aber, dass es da verschiedene Interpretationsmöglichkeiten gibt.
Kennt Ihre Generation noch die „Sisi“-Filme mit Romy Schneider?
Lingnau: Viele Menschen in meinem Umfeld, die in meinem Alter sind, können interessanterweise sehr wohl noch etwas damit anfangen. Bei den meisten liefen die Filme zu Weihnachten im Fernsehen, da hat man sie gemeinsam mit der Familie geschaut. Für mich war das tatsächlich neu. Ich kannte die Sisi-Trilogie zwar vom Hörensagen und habe Bilder davon gesehen, aber ich habe sie noch nie angeschaut. Ich kannte Kaiserin Elisabeth eher aus dem Schulunterricht. Ich hatte Geschichte im Leistungskurs, daher war sie mir ein Begriff.
Wer royalen Kitsch wie damals erwartet, wird von der neuen Serie enttäuscht. Es dominieren Intrigen, Politik und soziale Bezüge. Wie hat Ihnen dieses neue Konzept im Vergleich zum alten gefallen?
Lingnau: Ich glaube, dass die Filme der 50er Jahre ein Produkt ihrer Zeit sind. Sie beschreiben gut, was damals gesellschaftlich gerne gesehen werden wollte. In der Nachkriegszeit wollte man eben diese Filme, die in einer heilen Welt spielen. Das war ein Anliegen der Zuschauenden. Insofern hat das eine totale Legitimität und es ist auch gut, dass es dort seinen Platz gefunden hat. In unserem Kontext und in der Zeit, in der wir Filme machen, gibt es andere Inhalte, die zu transportieren wichtig sind. Bei meinen Kolleginnen und Kollegen oder auch bei mir sind es mittlerweile andere Botschaften, aufgrund derer wir Filme machen. Wir haben uns an diesem historischen Stoff bedient, an Kaiserin Elisabeth und an ihrer Lebensgeschichte. Wir haben das benutzt, aber tatsächlich auch neue Elemente und politische Themen der aktuellen Zeit integriert. Wir haben nach Themen Ausschau gehalten, die zu erzählen uns wichtig waren. Und wir haben den Fokus darauf gelegt, Elisabeth als Frau zu erzählen, die selbstbestimmt über ihr Leben entscheiden möchte, einen eigenen Weg einschlägt und die versucht, sich ihr Bestreben nach Freiheit selbst zu erfüllen – was auch immer das dann ist. Das ist ein turbulenter Weg, aber sie hat ein visionäres Ziel vor Augen. Auf der anderen Seite haben wir dieses starke Ensemble, das die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Themen umreißt, sich damit beschäftigt und auseinandersetzt.
Vom Ballett zum Kino
- Devrim Lingnau wurde 1998 in Mannheim als Tochter einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters geboren.
- Während der Schulzeit besuchte sie die Akademie des Tanzes an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim.
- Ihr Schauspieldebüt gab Lingnau 2014 in einem Einspielfilm bei „Aktenzeichen XY... ungelöst!“. Kurz danach bekam sie ihre erste Hauptrolle in der Jugendserie „Fluch des Falken“.
- Nach dem Abitur (2017) stand sie 2019 für die erste Kinohauptrolle in „Carmilla“ vor der Kamera- Zu sehen war sie auch im TV-Krimi „In Wahrheit: Still ruht der See“ und in „Der Bozen Krimi – Gegen die Zeit“. Eine Kinohauptrolle hatte sie auch in der Bestsellerverfilmung „Auerhaus“ (2019).
Wie intensiv haben Sie sich mit der historischen Figur und ihrer Zeit auseinandergesetzt?
Lingnau: Ich hatte eine lange Vorbereitungszeit, die insgesamt ein halbes Jahr umfasste. In diesem Zusammenhang habe ich mich intensiv mit Kaiserin Elisabeth beschäftigt und viel über sie gelesen. Wir hatten bei uns am Set auch historische Mitarbeiter, mit denen ich im engen Kontakt stand und die mir auch Literatur zugeschickt haben. Das war ein reger Austausch. Man unterhielt sich darüber, welche Aspekte vielleicht interessant sein könnten. Oder darüber, wer diese Frau generell ist, um sie erstmal kennenzulernen. Dann das faktische Wissen über ihr Leben: Was sind die Eckdaten? Was sind wichtige Stationen ihrer Biografie? Darüber hinaus hat sie auch selbst Gedichte und Literatur geschrieben. Was hat sie dort beschäftigt? Welche Themen lagen ihr am Herzen? Ich habe mich hauptsächlich mit historischen Quellen auseinandergesetzt, die das belegen. Philip, der den Kaiser Franz Joseph spielt, hat sich viel mit der militärisch-politischen Situation der Zeit beschäftigt. Wir haben alle versucht, unsere Bereiche irgendwie abzudecken und dort möglichst tief einzutauchen.
Waren Sie als Kind eher die Prinzessin oder der Wildfang?
Lingnau: Ich hatte als Kind ein rosafarbenes Tutu. Das habe ich über alles geliebt. Man konnte es mir auch gar nicht mehr ausziehen, ich bin bestimmt ein halbes Jahr lang mit diesem rosa Tutu durch die Gegend gelaufen. Und dennoch hatte ich einen extrem starken Bewegungsdrang und war ein sehr unruhiges Kind – insofern, dass ich ein starkes Mitteilungsbedürfnis hatte. Vielleicht kann man ja beides sein: Prinzessin und rebellisch.
Sisi sagt: „Ich will einen Mann, der meine Seele satt macht.“. Glauben Sie an die Existenz der wahren Liebe und an Seelenverwandtschaft?
Lingnau: Ich glaube an die Existenz der Liebe. „Wahre Liebe“ würde ich so nicht unterschreiben, weil ich noch nicht ausreichend geklärt habe, was dieser Begriff in Gänze für mich bedeutet. „Wahrhaftigkeit“ ist eh ein Wort, mit dem ich mich schwertue. Das vermutet immer etwas Ganzheitliches. Und Liebe als etwas Ganzheitliches oder Wahrhaftiges zu betrachten, ist für mich im Moment noch nicht möglich. Es fällt mir schwer, das zu beantworten. Zu manchen Menschen spüre ich eine besondere Verbindung und eine Form von Liebe. Ich weiß nicht, ob ich den Begriff „Seelenverwandtschaft“ dafür verwenden würde. Wenn sich zwei Leute ineinander verlieben oder miteinander schlafen, sagt man in der Literatur, Poesie und in Gedichten: „Sie erkannten sich.“. Vielleicht beschreibt das auch das Thema der wahrhaftigen Liebe ganz gut. Im Falle von Franz und Elisabeth passt das für mich, weil es tatsächlich nicht nur eine Form von Liebe und Verliebtsein ist. Es ist auch eine Form des sich Erkennens und des sich Wiedererkennens in dem jeweilig anderen. Das macht diese Liebesgeschichte so einzigartig.
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Spüren Sie manchmal in sich eine alte Seele oder sind Sie eindeutig eine junge Frau unserer Zeit?
Lingnau: Das ist eine interessante Frage. Das hat etwas Spirituelles. „Alte Seele“ kann man auf verschiedene Art und Weise verstehen oder interpretieren. Ich persönlich glaube, dass wir alle eine alte Seele in uns tragen. Das ist aber nur meine Vermutung darüber, wie der Mensch konstituiert ist. Trotzdem würde ich mich als moderne Frau unserer Zeit definieren. Zumindest mit den Werten, die damit einhergehen. Ich fühle das beides in mir.
Romy Schneider musste lange kämpfen, um das „Sisi“-Image loszuwerden. Glauben Sie, dass so etwas heute leichter geht?
Lingnau: Das unterstellt ein bisschen, dass ich dieses Image loswerden möchte. Vielleicht möchte ich das ja gar nicht! (lacht) Ich glaube, dass damals die Identifikationen von Romy Schneider und Sisi gesellschaftlich sehr eng miteinander verknüpft waren – die fiktive Figur, die sie gespielt hat und die dahinterstehende Schauspielerin. Diese Form von Verzweigung von Rolle und Schauspielerin ist in jedem Fall eine nicht so gesunde. Wenn es in der Öffentlichkeit so wahrgenommen wird, dass es da eine Verschmelzung gibt, dann ist das für die Schauspielerin oder für den Schauspieler in keinem Fall leicht zu tragen. Ich würde schon trotzdem gerne als Devrim gesehen werden. Dennoch bin ich sehr froh, meine Stimme und mein Gesicht dieser tollen Frau, die ich sehr bewundere, leihen zu dürfen.
Stimmt es, dass Sie über das Ballett zum Film gekommen sind?
Lingnau: Ich habe an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst angefangen, „Classical Academic Dance“ im Vorstudium Tanz zu studieren. Ich habe das schweren Herzens abgebrochen, weil ich gemerkt habe, dass das für mich nicht der richtige Weg war. Ich bin dann über einen Schauspiel-Workshop in München, den mir meine Eltern zum Geburtstag geschenkt haben, zum ersten Mal mit der Schauspielerei in Kontakt gekommen. Das war in einer Phase, als ich gerade mit dem Ballett aufgehört hatte und nach einer neuen Ausdrucksform suchte. Ich kannte bis dato nichts anderes, weil ich eben immer nur Ballett getanzt hatte. Dieser Schauspiel-Workshop war für mich ein tolles Erlebnis. Von da an war für mich klar, dass ich diesen Weg einschlagen möchte. Dass es dann so aufgeht, ich das jetzt machen darf und auch in diesem Projekt die Möglichkeit bekomme, mich unter Beweis zu stellen und zu zeigen, was ich in den letzten Jahren gelernt habe, ist natürlich sehr schön. (lacht)
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