In Form von Heldenepen wird im Kino gerne vom Krieg erzählt, vom Mut und der Opferbereitschaft Einzelner. Wesentlich seltener werden die Gräuel des Krieges und seine Sinnlosigkeit verhandelt. Stanley Kubrick hat sich als einer der wenigen Filmemacher diesbezüglich eindeutig positioniert, bei „Wege zum Ruhm“ (1957) und „Full Metal Jacket“ (1987). Das wegweisende, maßgebliche Werk zum Thema bleibt bis zum heutigen Tag jedoch „Im Westen nichts Neues“, 1930 mit dem Oscar als bester Film ausgezeichnet. Lewis Milestone hat den zwei Jahre zuvor erschienenen Bestseller von Erich Maria Remarque adaptiert, 1979 ließ Delbert Mann einen TV-Film folgen, die mit einem Golden Globe prämiert wurde.
Nun liegt die erste deutsche Bearbeitung des Stoffes vor. Regisseur Edward Berger („Jack“) hat sich an eine Neuauflage gewagt, mit Lesley Paterson und Ian Stockell das Drehbuch geschrieben. Das basiert lose auf der Romanvorlage, Passagen wie die Grundausbildung oder der Heimaturlaub fehlen ganz. Die von Netflix - der Streamingdienst schaltet das Prestigeprojekt nach einmonatiger heimischer Kinoauswertung am 28. Oktober frei - finanzierte Big-Budget-Produktion, knapp zweieinhalb Stunden lang, setzt gute Nerven und einen noch besseren Magen, siehe die schwer erträglichen Lazarettszenen, voraus.
Im Frühjahr 1917 können es der 17-jährige Abiturient Paul Bäumer - gespenstisch überzeugend gespielt von Newcomer Felix Kammerer - und seine Kumpels, darunter Tjaden (Edin Hasanovic), Albert (Aaron Hilmer) und Franz (Moritz Klaus), kaum erwarten, in den Kampf zu ziehen. In Paris sehen sie sich schon, als gefeierte Sieger, angespornt vom Direktor, der an ihre Pflicht appelliert, „Kaiser, Gott und Vaterland“ zu dienen. So zieht die „eiserne Jugend“ los, fröhlich singend. Mit der euphorischen Stimmung ist es bald vorbei. Erschöpft kommen die Kameraden nach tagelangem Marsch an der Westfront an.
Gleich ist man mittendrin im Schlachtengetümmel. Freund und Feind sind schlammverschmiert nicht voneinander zu unterscheiden. Es wird geschossen, mit dem Bajonett auf den Gegner eingestochen. Schmerzensschreie sind zu hören, Leuchtspurmunition erleuchtet den nachtschwarzen Himmel. Krieg ist keine sportliche Angelegenheit, sondern pure Brutalität. Zahllose Tote gibt es zu beklagen. In Feuerpausen werden ihnen die Erkennungsmarken abgenommen, ihre Kleidung in die Heimat zurückgeschickt, wo Näherinnen sie wieder zusammenflicken. Um damit neue Rekruten auszustatten. Der Kreislauf des tödlichen Wahnsinns lässt sich kaum besser veranschaulichen.
Dem ersten Gemetzel folgt ein eineinhalbjähriger Zeitsprung. Am Horror hat sich nichts geändert. Mit dem erfahrenen Soldaten Stanislaus „Kat“ Katczinsky (Albert Schuch) hat sich Bäumer angefreundet, in einer Feuerpause wird einem Bauern eine Gans gestohlen und anschließend gebraten - ein Festmahl, ein Augenblick ausgelassener Freude, der nicht ohne schlimme Folgen bleibt. Hinter die Front, die sich nie wirklich verschiebt, wechselt die Handlung zwischendurch. In einem Eisenbahnwagon treibt der deutsche Staatssekretär Matthias Erzberger (stark: Daniel Brühl) verzweifelt die Verhandlungen für einen Waffenstillstand voran. Die Franzosen diktieren die Bedingungen.
Eine letzte Offensive
Derweil wettert Devid Striesow als strammer Preußen-General, Rotwein trinkend und Braten an seine Hunde verfütternd, in der Sicherheit eines okkupierten Schlosses gegen die Sozialdemokraten, die seiner Meinung nach Deutschland verraten haben. Den „Schandfrieden“ kann er nicht akzeptieren, noch kurz vor Beginn der Waffenruhe befiehlt er - „ein Offizier ohne Krieg, ist kein Offizier“ - eine letzte Offensive.
Ein Himmelfahrtskommando, hautnah mit viel nervöser Handkamera von James Friend gefilmt, untermalt von einem ans Mark gehenden Tondesign, das vom pointierten Score des ebenfalls als Hauschka („Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“) bekannten Pianisten und Experimentalmusikers Volker Bertelmann perfekt ergänzt wird. An die von Marlon Brando als Colonel Kurtz in „Apokalypse Now“ gestammelten Worte „Das Grauen! Das Grauen!“ fühlt man sich erinnert. Lapidar belegt die finale Texttafel diese Aussage: 17 Millionen Soldaten sind in Ersten Weltkrieg sinnlos gefallen.
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