Das Interview

Mannheimer Opernintendant Puhlmann: „Damit etwas kommt, muss etwas gehen“

Die Sparpläne der Stadt Mannheim erzwingen Opernabsagen, Intendant Puhlmann kündigt sein Ende an – steht die Nationaltheateroper bald an einem Wendepunkt?

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Stefan M. Dettlinger
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Fühlt sich in den Kulissen des Bühnenbilds zu Wagners „Lohengrin“ offenbar wohl: Albrecht Puhlmann, Opernintendant des Nationaltheaters Mannheim. © Markus Proßwitz | masterpress

Mannheim. Zuerst erzwingen die Sparpläne der Stadt Mannheim die Streichung einer ganzen Opernproduktion, dann kündigt der Opernintendant Albrecht Puhlmann das Ende seiner Intendanz an. Zwei harte Nachrichten binnen einer Woche – das hört man selten aus der Oper am Nationaltheater. Grund für ein Gespräch mit dem Chef des Mannheimer Musiktheaters.

Herr Puhlmann, seit einem Jahr ist das Opal geöffnet. Das war ja ein Ort der Sehnsucht für die Oper. Sie spielen jetzt im Oktober noch vier Vorstellungen dort. Lohnt sich das überhaupt?

Albrecht Puhlmann: Unbedingt. Letzte Saison hatten wir, um uns an den neuen Spielort zu gewöhnen, deutlich weniger Vorstellungen. Jetzt sind es 120 Opernabende einschließlich Tanz, das ist viel für ein Theater im Interim. Wir mussten uns herantasten. Ziel ist ein Repertoirebetrieb in einem Haus, das ursprünglich als Ensuitetheater gebaut war, mit drei Stücken parallel, zum Beispiel „Lohengrin“, „Alice in Wonderland“ und „Pagliacci“. Dieses rollierende Prinzip setzen wir fort und erreichen so eine angemessene Aufführungszahl. Doppelbespielungen im Schlosstheater in Schwetzingen, „Orfeo“ oder „Così fan tutte“, bedeuten dann aber auch Einschränkungen im OPAL.

Und so erklären Sie, dass zwischen 6. und 31. Oktober gerade mal vier Opernabende anstehen, das heißt, 21 Tage spielen Sie nicht.

Puhlmann: Ja, weil wir etwa an diesem Dienstag technisch zum Beispiel „Lohengrin“ einrichten, dann umbauen auf „Pagliacci“ und das Familienkonzert am Samstag. Jede Veranstaltung muss mitgezählt werden, da wir begrenzte Kapazitäten haben – nicht personell, sondern beim Um- und Aufbau. Deshalb bitte ich, nicht nur den Oktober anzuschauen, sondern das ganze Jahr. Gerade zu Beginn der Saison ab November bereiten wir vor, was ab Dezember und Januar in den besucherstarken Monaten gespielt werden soll. Im Dezember haben wir dann deutlich mehr Aufführungen.

So groß wird das Mannheimer Opernhaus aus nach 2028 sein. © Christian Kleiner

Im November sind es zehn, 14 im Dezember, im Januar wieder zehn. Wie steht es dabei um das Orchester und den Opernchor? Lohnen sich – bei allmählich schwindendem Interesse an Oper – für Mannheim noch so große Kollektive?

Puhlmann: Sie lohnen sich und sind notwendig, wenn man ein Stück wie „Lohengrin“ oder andere Repertoire-Stücke aufführen und parallel noch ein Akademiekonzert spielen will. Wir haben sechs Orchesteralleinproben und sechs Bühnenorchesterproben zu „Lohengrin“. Davor haben wir die Wiederaufnahme „Pagliacci“, eine Oper, die lange nicht im Spielplan war. Da braucht man viele Proben. Dazwischen: Akademiekonzert, Mozart-Serenade, Wiederaufnahme, das Theaterfest – das alles braucht Proben. Für all das brauchen wir unsere großen Kollektive, die teuer erscheinen, aber notwendig sind. Und nochmals: Wir befinden uns in einer Sanierungszeit, die besonderen Gesetzen unterworfen ist.

Kommen die Leute da auf ihre Pflichtdienste? Gibt es keine Unterbeschäftigung?

Puhlmann: Es gibt keine Unterbeschäftigung, fragen Sie die Orchesterdirektorin. Ich bin jetzt seit zehn Jahren in Mannheim. Wir hatten bis zum Beginn der Pandemie einen Vollbetrieb. Das ist jetzt nicht zu vergleichen. Wir stecken mitten in einer Sanierung unter eingeschränkten Bedingungen. Es war immer klar, dass die Interimsspielzeiten besonders werden. Wir sind nicht in einer Routine, in der man Repertoire abrufen kann. Wenn ich Stücke lange nicht spiele, wie jetzt die „Butterfly“, dann braucht das ein großes Maß an Proben. Der Probenaufwand ist erheblich, da geht niemand spazieren.

Der Hintergrund: Von den 1,5 Millionen, die das Nationaltheater sparen muss, leistet die Oper den größten Batzen. Sie haben auch fast 40 Prozent des NTM-Etats, macht 0,9 Millionen Euro Sparauflage. Sie haben mit „The Greek Passion“ eine Produktion abgesagt. Wie, wo sparen Sie noch? Sparen Sie auch an den Strukturen, ergo am Personal?

Puhlmann: Tatsächlich sind 53,6 Millionen des Etats am NTM Personalkosten für die rund 840 Mitarbeitenden. Davon ist die Oper ein großer Teil. Wir gucken in all diesen Bereichen, wo wir strukturell sparen können, ohne die Substanz zu gefährden. Im Orchester fragen wir uns: Welche Stellen kann man für einen bestimmten Zeitraum frei lassen? Wir müssen die grundsätzliche Frage stellen: Wie gehen wir 2028 mit Normalbetrieb ins große Opernhaus zurück? Ich frage mich aber schon: Sind 160 Opernabende im Jahr noch zeitgemäß? Gibt es dafür Publikum in Mannheim mit seinen 320.000 Einwohnern? Das sind interessante Fragen.

Die Animation zeigt, wie künftig das unteres Foyer aussehen wird. © Hans Jörg Michel

Es geht doch um die Frage: Welchen gesellschaftlichen Platz kann die Oper in Zukunft einnehmen? Es ist ja spürbar, dass es immer schwieriger wird, den Saal vollzukriegen, selbst in Premieren …

Puhlmann: Jetzt mal sehr überspitzt gesagt: Hätte ich die Antwort, würde ich vielleicht weitermachen.

Jetzt nehmen Sie schon meine letzte Frage vorweg.

Puhlmann: Verzeihung, aber ich mache jetzt seit mehr als 40 Jahren Oper, ich kenne viele Häuser und Festivals mit unterschiedlichen Betriebsstrukturen. Ich habe aber immer das Repertoire- und das Ensemble-Theater verteidigt. Ich bin so sozialisiert geworden. Aber: Der junge Tancredi sagt in Lampedusas großartigem „Il Gattopardo“ zum alten Fürsten Salina diesen schönen Satz: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich ändert.“ Darüber muss man nachdenken, sehr deutlich. Natürlich ist die Frage, was soll bleiben? Natürlich muss die Kunstform Oper bleiben, mit all dem, was dazugehört – da schließe ich jetzt mal Operette und Musicals mit ein …

... also den Bereich Musiktheater …

Puhlmann: Ja, das braucht eine Zivilgesellschaft unbedingt auch in Mannheim. Gleichzeitig die Frage: Was muss man dafür geben? Und dann gibt es da Schlagworte wie Niedrigschwelligkeit und Publikumserweiterung – hätte ich da die alles lösende Antwort, wie man all das erreicht, wäre mir leichter ums Herz. Das hat zu meiner Entscheidung beigetragen, aufzuhören. Mit dem Neueinzug gibt es dann eine neue Intendanz Oper. Die muss diese Fragen angehen. Ich habe mal mit Peter Konwitschny einen „Fidelio“ gemacht. Unser Motto stammte von Heiner Müller: „Damit etwas kommt, muss etwas gehen.“ Das erfordert eine gewisse Radikalität auch der Entscheidung. Wir sind an einem Wendepunkt, wo man genau überlegen muss, wie man die Kunstform Musiktheater in die Zukunft retten kann.

Albrecht Puhlmann

  • Albrecht Puhlmann: Mannheims Opernintendant ist 1955 in Bad Segeberg geboren. Dort ist er auf einem Bauernhof aufgewachsen. Danach geht er nach Hamburg zum Studium der Musikwissenschaft, Philosophie und Literaturgeschichte.
  • Als Operndramaturg wird er in Darmstadt, Kassel und Berlin tätig, leitet die Oper Basel und wird Intendant der Staatsopern in Hannover und Stuttgart. Mannheim holt ihn 2016. Sein erster Vertrag über fünf Jahre wurde im vergangenen Jahr um weitere drei Jahre bis 2024 und dann bis 2028 verlängert.

Bedeutet Ihr Mannheimer Ende eigentlich dann auch das Ende Ihrer Berufslaufbahn?

Puhlmann: Ich freue mich tatsächlich, dann alle meine Interessen leben zu können. Man gibt ja doch auch viel ab, das Theater ist dann für lange Zeit das Leben. Ich möchte aber die Sanierungszeit noch mit voller Kraft machen und dann Platz lassen für ein neues Denken. Da muss man erst mal gedanklich viel zulassen und infrage stellen, was ich gar nicht möchte.

Sie haben ja Kontakte zu jungen Kollegen. Wo, glauben die, muss radikaler gedacht werden – auch für die Wiedereröffnung am Goetheplatz?

Puhlmann: Wir tauschen uns darüber aus, wie ein Spielhaus mit Schauspielhaus, Opernhaus, Kammerbühne, Foyer und Vorplatz – Wie kann da ein „dritter Ort“ entstehen mit einer Offenheit in die Stadt und vor allem in einer Wechselwirkung? Dabei geht es nicht mehr um einzelne Produktionen von Oper oder Tanz, um eine Durchlässigkeit der Orte, auch die Durchlässigkeit des Repertoires, ganz wichtig, um das, was wir immer Niedrigschwelligkeit nennen, zu gewährleisten. Hier wird gerade auch an einem Programm gearbeitet, für das uns eine Förderung zugesprochen worden ist.

Vor der Sanierung: Nationaltheater Mannheim. © Christian Kleiner

Was fühlen Sie da persönlich?

Puhlmann: Dass jetzt eine jüngere Generation das Musiktheater erweitert. Wir müssen, wie Don Giovanni, Grenzen überschreiten, um eine Wirkung zu entfalten. Diesen Grenzübertritt überlasse ich gern meiner Nachfolge.

Auch die wird es schwer haben, den Saal mit mehr als 1100 Plätzen am Goetheplatz zu füllen – eigentlich ist das schon fast undenkbar.

Puhlmann: Nun war es eine gemeinsame Entscheidung des Gemeinderats, zu sagen, wir sanieren dieses Haus, wie es ist. In Basel und anderswo saniert man ebenfalls unter Denkmalschutzbestimmungen, reduziert aber bei gleichem Volumen die Saalkapazität von 1000 auf knapp 800 Plätze.

Und das Argument Denkmalschutz?

Puhlmann: Die Entscheidung in Mannheim war eine andere: Erhalt des Saales mit seiner großartigen Akustik. Dazu muss man jetzt stehen. Ebendeshalb braucht man Ideen der Öffnung.

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Am Anfang Ihrer Mannheimer Zeit sind Sie zusammen mit Jan Dvórak öfter auf Tuchfühlung mit der Popkultur gegangen, um neue Menschen anzusprechen. Warum findet in der Richtung nichts mehr statt?

Puhlmann: Ich muss hier deutlich sagen: Ich hätte das gern gemacht. Das ist ein Desiderat. Durch die Pandemie ist dieser Zugang tatsächlich versperrt worden. Wir hatten ja gesehen, dass es dafür eine unglaubliche Neugierde und Enthusiasmus gibt. Ein Beispiel war Björks „Vespertine“. Das war ausverkauft damals. Das ging dann in der Pandemie nicht mehr. Und wenn wir über Musicals und Pop heute in der Sanierungszeit sprechen, dann kann ich mir das nicht leisten, da braucht man ja viele Gäste. Ich will und muss aber Orchester und Chor beschäftigen.

Sie leiten als Intendanen und Intendantin die Geschicke des Nationaltheater Mannheim (v.l.): Albrecht Puhlmann (Oper), Tilmann Pröllochs (Geschäftsführung), Ulrike Stöck (Junges Nationaltheater), Christian Holtzhauer (Schauspiel) und Stephan Thoss (Tanz). © Christian Kleiner

Es gab ja Projekte mit Orchester, also Konstantin Gropper zum Beispiel. Das war ja mit Orchester.

Puhlmann: Ja, aber ich meine Aufführungen, die auch reproduzierbar sind. Es gibt dann auch immer Rechte-Fragen. Ich hätte wahnsinnig gern mal eine „West Side Story“ gemacht, um einen Klassiker zu nennen. Aber da kriegt man die Rechte nicht, weil die immer touren. Da sind wir zu sehr im Zentrum Deutschlands. Popmusik, wäre ein Ansatzpunkt für eine Nachfolge, und es gibt ja auch genügend Anknüpfungspunkte in Mannheim. In der Sanierungszeit kann das so jetzt nicht passieren, aber ich hätte gern ein anderes Publikum dadurch gewonnen, das ist so.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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