Am Ende des ersten Teils kommt hier auch noch Zauberei ins Spiel. Nicht wirklich natürlich. Aber der (Welt)-Star des Abends, Flötist Emmanuel Pahud, spielt als Zugabe ein Stück von Alexandre Desplat. Mit Magie hat das freilich nur insofern zu tun, als Desplat die Filmmusik für „Die Heiligtümer des Todes“ geschrieben hat, und „Die Heiligtümer des Todes“, nicht jede und jeder weiß das, sind der siebte und letzte Teil der Fantasy-Reihe von Joanne K. Rowling um den Zauberlehrling Harry Potter.
Aber ein bisschen zaubert Pahud im 6. Akademiekonzert dann ja doch, wie er aus einer einfachen trillerartigen Figur heraus ein spannendes Solostück entwickelt, in dem weder Tonalität noch die Trennung von Tönen eine Rolle zu spielen scheint, denn Pahud glissandiert mühelos hin und her, als sei die Oktave in hunderte Zwischenräume geteilt. „Airlines“ spielt, wie die Potter-Musik, mit geschickt platzierten Spannungsanstauungen, fremdartigen Stimmungen, quirligen Girlanden, die Pahud, ganz Virtuose, brillant und mit zartem Schmelz aus seiner goldenen Flöte tröpfeln lässt. Desplat spielt auch mit Partikeln aus der Stimmartikulation, lässt es plosiv Ploppen oder frikativ Zischen. Faszinierend!
Zuvor aber spielt Pahud noch die „Kleinigkeit“ von Mozarts 1. Flötenkonzert G-Dur (KV 313). Ein galantes, helles und beschwingtes Stück Musik, das gleich zu Beginn über dem Achtel-Motor pumpender Celli und Bässe mit der Kombination aus langen, punktierten und herabperlenden Noten tänzerische Elastizität schöpft. Ivan Repusic (ein Kandidat für GMD Alexander Soddys Nachfolge?) führt das Nationaltheaterorchester (NTO) mit der Selbstverständlichkeit eines heiteren Spaziergangs. Die Streicher klingen weich, zart vibrierend und homogen, Hörner, Oboen und Flöten passen sich farblich ein. Schroffheiten gibt es keine.
Es geht um die Idealfrau
Und Pahud geht beim Spielen auf der Bühne auch spazieren und nutzt die vier Quadratmeter, die er dort hat. Er tänzelt. Immer wieder kuschelt er fast mit Repusic. Und seine Flöte klingt dabei natürlich sensationell kultiviert und ungewohnt weich, bisweilen, vor allem in der Höhe oberhalb des dreigestrichenen C, staunt man, wie wenig offensiv Pahuds Ton wird, der selbst dort noch gedeckelt, dunkel und eher obertonarm bleibt.
Genau das macht ja auch sein spezielles Timbre aus, das von körperlichen Tiefen bis zu stratosphärischen Höhen keinen Kolorit-Bruch aufweist. Am besten zu hören ist das nicht nur in den wohl von Pahud selbst geschriebenen Kadenzen der drei Sätze, sondern auch, wenn er ein dreigestrichenes f auf ein eingestrichenes d folgen lässt. Perfekt und – freilich auf ganz andere Weise als Harry Potter – zauberhaft.
Um Zauberei geht es ja auch bei der eingangs gespielten Ouvertüre zum Elfenkönig „Oberon“ von Carl Maria von Weber – oder einem der Hauptwerke der Romantik: Hector Berlioz’ 1830 uraufgeführte „Symphonie Fantastique“, ein Paradebeispiel programmatischer Musik. Berlioz erzählt hier ja von sich selbst, von seiner schier irrsinnigen Liebe zur Idealfrau, der englischen Schauspielerin Harriet Smithson, die hier eben … zur Hexe wird. Und schon der Titel weist ja auch auf so etwas wie magischen Realismus hin; man muss schließlich nur den berühmten finalen „Hexensabbat“ anhören, um zu wissen, dass Berlioz nichts anderes wollte als eine einstündige Klangzauberstunde, die Bilder im Kopf entstehen lässt. Wer sich noch an Dan Ettingers Version vor rund zehn Jahren erinnert, weiß auch, dass Repusic das wesentlich kontrollierter macht, weniger draufgängerisch und in vielen Belangen auch etwas polierter. Ettinger ist aufs Ganze gegangen. Das war toll. Repusic geht eher ins Werk hinein und sendet Röntgenstrahlen in die Knochen der Partitur mit ihren fast 30 Notensystemen.
Ein Wahn kurz nach Schuberts Tod
Repusic ist auch ein sehr detailverliebter Pultmensch, bisweilen dirigiert er sogar Selbstverständlichkeiten durch, die von allein funktionieren würden. Aber das macht nichts. Ihm steht ein großes Repertoire an Kapellmeistergesten zur Verfügung. So gelingt der träumerische Charakter der Nr. 1 so farbenreich wie die mysteriösen chromatischen Verlagerungen in der Ballszene, der anschließende Walzer, das harmonische Duo von Englischhorn und Oboe auf dem Feld, die Polyphonie im Marsch und dann freilich der zuerst mit irrwitziger Virtuosität und dann mit mächtigem (echtem!) Glockengeläut eingeleitete Zorn des „Dies Irae“ im Finale – ein moderner Wahn, wenn man bedenkt, dass Berlioz das zwei Jahre nach Schuberts Tod geschrieben hat.
Und das NTO ist in Bestform. Die Holzbläser wendig wie Wiesel, das Blech strahlend wie Gold und die Streicher auch in geteilter Besetzung ein Garant für kultivierten Breitbandsound. Repusic hat Erfahrung. Man merkt es. Man hört es. Und mit dem NTO klappt es gut. Die 1300 Zuschauer im Rosengarten sind begeistert. Das geht auch schwerlich anders.
7. Akademiekonzert
Das Programm: Schubert (Ouvertüre zu „Die Zauberharfe“, Sinfonie Nr. 4 c-Moll). Beethoven (Sinfonie Nr. 3 Es-Dur „Eroica“). Es dirigiert Roberto Rizzi Brignoli.
Die Termine: 9. und 10. Mai um 20 Uhr im Mozartsaal des Rosengartens.
Der Ausblick: Beim 8. Akademiekonzert am 13./14. Juni dirigiert Alexander Soddy Mahlers „Auferstehungssinfonie“, es singen Sopranistin Anne Schwanewilms, Mezzosopranistin Okka von der Damerau, Chor und Extrachor des NTM (0621/260 44).
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