Mannheim. Die Apostel wirken zufrieden, Paulus und Petrus ruhen in sich. Mit dem Schlüssel der eine, der andere mit Schwert und seinen Briefen. Die Szene hat etwas Beruhigendes. Überraschend, denn zu den Füßen der beiden wackelt die Welt, ein demokratischer, ja, ein schier anarchischer Akt findet dort statt: Magnus Mehl nämlich quetscht in einer Mixtur aus Gewaltakt und feinsinniger Eleganz gleich mehrere Töne aus seinem Saxofon. In seiner Komposition „Multilayer Fantasie“ lässt er sein Horn dissonant doppelt tönen, während der junge Christian Mehler seine Trompete über dem hypnotischen Rausch der Becken sehnsüchtig mäandern lässt. Eine unfassbare Freiheit.
Schwäbisch Hall. Hospitalkirche. Hier findet dieser Tage statt, was 2023 nach Mannheim kommen wird: das Landesjazzfestival. So hat das zumindest IG-Jazz-Vorstand Martin Simon noch vor zehn Monaten im Gespräch mit dieser Redaktion gesagt. Seitdem herrscht Stille an dieser Front. „Wir wollen Konzerte auf Spinelli machen, wir sind aber ganz am Anfang. Nichts ist sicher geplant“, war das letzte Wort von ihm zu diesem Thema.
Am Ende: Indierocker The Notwist
In Schwäbisch Hall hingegen hatte man für 2022 bereits 2017 den Zuschlag erhalten und: „Wir planen schon seit 2019“, sagt Ute Christine Berger, Kulturbüroleiterin in Schwäbisch Hall. So habe man sich natürlich gleich angesehen, „wie andere das machen“ und sei nach Ravensburg gefahren, um mit den Machern vor Ort zu sprechen und das Landesjazzfestival 2019 anzusehen. Machen die Mannheimer das auch? „Bei uns hat sich keiner gemeldet“, so Berger.
In Schwäbisch Hall hat das Festival ein Kernteam um Bergers städtisches Kulturbüro zusammen mit dem Jazzclub Schwäbisch Hall und dessen Leiter Dietmar Winter organisiert. Rund 20 Veranstaltungen, einige Diskussionen und Vorträge exklusive, gehen noch bis 15. Oktober gebündelt über die Bühne – viele baden-württembergische Künstler sind dabei, Alexandra Lehmler und Matthias Debus aus Mannheim, der südkoreanische Jazzgesangstar Youn Sun Nah, und zum Abschluss wendet sich das Festival mit den Indie-Rockern The Notwist sogar an ein jüngeres und eigentlich an Anderem interessiertes Publikum.
Finanziert wird das maßgeblich von Land und Stadt – jeder gibt zunächst einmal jeweils 15 000 Euro, wobei die Kommune ja allein mit (Wo)Manpower viel mehr investiert. Kooperationspartner und Sponsoren hat man an der Kocher ebenso reichlich gefunden, Konzertkreis Triangel, Kunstverein, Kino im Schafstall und Goethe-Institut. Bei den zwölf Sponsoren, die zusammen laut Berger ebenfalls 15 000 Euro geben, sind so renommierte Player dabei wie die Stadtwerke Schwäbisch Hall, der Reinigungstechniker Kärcher oder die Kunsthalle Würth.
Rund 30 000 Euro Kartenerlöse
Aber auch bei den Eigeneinnahmen sieht es in Schwäbisch Hall bislang bestens aus. „Es läuft gut“, meint Schatzmeister Willi Ehinger hinter der Kasse lächelnd, „wir rechnen schon mit 30 000 Euro aus den Kartenerlösen.“ Dass das klappt, dafür sorgt nicht nur das attraktive Programm, sondern auch entsprechende Räumlichkeiten. Die Hospitalkirche mit ihren maximal 200 Plätzen ist die kleine Location für den Jazz. Stars wie Youn Sun Nah spielen im Neubausaal mit seinen rund 400 Sitzplätzen (unbestuhlt bis zu 600) oder gar im Neuen Globe Theater wie The Notwist und Maxi Pongratz – der Abend ist bereits ausverkauft.
An dem Abend mit Mehl in der seit langem entweihten Hospitalkirche unter dem Altar und am Fuße der Apostel steht anfangs auch eine Dame auf der Bühne. Mit einer besonderen Aufgabe: Bettina Bertók-Thumm. Bertók-Thumm ist Geschäftsführerin der legendären Bauer Studios in Ludwigsburg, in denen Jazzgrößen wie Carla Bley, Keith Jarrett oder auch Liedermacher Konstantin Wecker Meisterwerke aufgenommen haben. Sie erzählt aus der Firmengeschichte. Mit den Bauer Studios kooperiert das Festival. „Wir wollten nicht nur einfach Konzert an Konzert setzen“, erklärt Dietmar Winter die Programmatik, „wir haben mit zwei berühmten Jazz-Studios ästhetisch nach einem roten Faden gesucht.“ Neben den Bauer Studios ist das die Musikproduktion Schwarzwald, kurz MPS, die 1968 von der damaligen High-Fidelity-Firma Saba ins Leben gerufen wurde. Auch die MPS hat international bestes Renommee und wurde von Oscar Peterson, Archie Shepp oder Wolfgang Dauner geschätzt und frequentiert. Mit beiden verbindet die deutsche Jazzszene also sehr viel – der Ansatz ist ähnlich dem von Rainer Kern 2019 für Enjoy Jazz, als Manfred Eichers ECM, früher oft in den Bauer Studios zu Gast, 50. Geburtstag feierte und die Festivaldramaturgie prägte.
Zusage des Ministeriums
Man staunt, wie viel in Schwäbisch Hall nachgedacht, organisiert, auf die Beine gestellt und überhaupt möglich wurde. Das soll nicht despektierlich klingen. Im Gegenteil: Was hier passiert, ist beachtlich für eine Stadt, die ja nur gut 40 000 Einwohnerinnen und Einwohner hat, keine Musikhochschule, geschweige denn einen Jazzstudiengang wie Mannheim.
Und hier? Das Ministerium hat seine 15 000 Euro für Mannheim zugesichert, wie es am Dienstag auf Anfrage bestätigt, die Stadt hat über die Höhe ihrer Fördersumme noch nicht entschieden, so Sonja Weihrauch aus dem Kulturamt auf Anfrage. Bleibt die Frage nach den privaten Geldgebern. Die waren in Sachen IG Jazz und Neuer Deutscher Jazzpreis zuletzt sehr zurückhaltend. Eine Enttäuschung. Das würde auch Petrus und Paulus nicht gefallen. Aber immerhin sensationelle Locations wie die Hospitalkirche hätten wir schon.
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