Zugegeben, zuletzt war man ihm persönlich etwas gram. Auf eine Gesprächsanfrage zum Thema Nationaltheater Mannheim, – das Werkhaus feierte 50. Geburtstag – hatte sich der sonst recht auskunftsfreudige Zeitzeuge nicht gemeldet. Dass es ihm schon schlecht ging, lässt natürlich alles verzeihen.
Fangen wir trotz seiner internationalen Karriere vor Ort an: In unruhigen Zeiten war er einst nach Mannheim gekommen, die „68er Unruhen“ machen vor Theatertüren nicht halt. Michael Hampe hatte den Ensemblewunsch nach einem Mitbestimmungsmodell aufs Gleis gesetzt und das progressive Duo Hagen Müller-Stahl (Bruder von Armin Müller-Stahl) und Jürgen Flimm in der Spielzeit 1972/73 als Spielleiter Schauspiel berufen. Doch es rummste und knirschte gewaltig: Der Fülle der Zerwürfnisse, die das Modell mit sich brachte, konnte man letztlich nur mit „einvernehmlichen Kündigungen“ Herr werden. Flimm und Müller-Stahl gehen gleich, Hampe 1975, nach nur drei Mannheimer Jahren.
Seine Progressivität konnte der 1941 in Gießen geborene künstlerisch glänzend kanalisieren: Flimm wechselte von Mannheim 1973 als Oberspielleiter ans Thalia Theater, wurde dann Schauspielintendant in Köln (1979) und ging danach wieder nach Hamburg, diesmal als Intendant (1985-2000). Später leitete er renommierte Festivals wie die Ruhrtriennale und die Salzburger Festspiele. Dort trafen wir ihn und sprachen über seine glänzenden Hamburger Jahre, aber auch über Progressives, was ihm nun doch schon Mitte sechzig, nicht mehr ganz so gut gefiel. Wo er tatkräftig zupackte, konnte er auch schwer wieder loslassen.
Salzburg, Bayreuth und Berlin
In Salzburg hatte es, trotz großer künstlerischer Erfolge, Reibereien gegeben, auch weil er ab 2006 Ruhrtriennale und Salzburg parallel leitete, so wie er später auch phasenweise in Berlin und Salzburg zeitgleich Chef war. Aus einem jungen Wilden war dann doch irgendwann „ein Theatermann alter Schule“ geworden, ein Macher, ein Tausendsassa, der der studierte Soziologe, Literaturwissenschaftler und Fußballfreund eben auch war. Lang war seine Karriere. Bis 2018, war er acht Jahre Intendant der Staatsoper Unter den Linden.
Seine Affinität zur Musik hat dem Schauspielmann nicht geschadet, im Gegenteil: Mit Nikolaus Harnoncourt und Daniel Barenboim Bernd Alois Zimmermann oder Luigi Nono zu arbeiten, war seine herausragendste Begabung.
Als Regisseur war er dabei durchaus streitbar, dem Nachrufer etwa bescherte er in Bayreuth 2000 (nach dem Mannheimer von 2022) den zweitfadesten „Ring“ seines bisherigen Wagnerianer-Lebens, aber auch den spannendsten „Don Giovanni“ (Mozart) und „King Arthur“ (Purcell) seiner Laufbahn. Im Schauspiel wurde Jürgen Flimm indes besonders für seine lebendigen Klassiker-Inszenierungen wie Kleists „Käthchen von Heilbronn“ (1980 mit Katharina Thalbach und Günter Lamprecht), Ibsens „Peer Gynt“ oder Tschechows „Platonow“ gefeiert. Sein Ruf führte zur Weltkarriere: Jürgen Flimm inszenierte neben den Salzburger und Bayreuther Festspielen unter anderem auch in New York, London, Mailand oder Zürich. Neben vielen kulturpolitischen und künstlerischen Verdiensten sind die um das zeitgenössische und avantgardistische Musiktheater sicherlich die höchsten.
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