Kunst

Kunst in Frankfurt: Die Jungen legen Finger in offene Wunden

Frankfurts MMK-Tower zeigt noch bis August politische Gegenwartskunst. Im Zentrum der Ausstellung stehen globale Themen wie Geld, Krieg, Rohstoffe.

Von 
Christian Huther
Lesedauer: 
Atiéna R. Kilfas Film „Rotor Vector“ (2024, hier ein Standbild) zeigt, dass vieles nicht das ist, was es zu sein scheint. © Atiéna R. Kilfa

Frankfurt. Die 17 Ortsschilder sind ordentlich aufgereiht, sie tragen aber keine Namen. Doch die roten Querbalken verraten, dass es die Schilder am Ortsende sind und es folglich um das Verlassen der Orte geht. Diese Installation stammt von der ukrainischen Künstlerin Olia Fedorova, die aus ihrer Heimat geflüchtet ist und nun diese Symbole der Auslöschung von Orten, von Geschichte und Erinnerung zeigt. Die Schilder erinnern auch an die Grabkreuze der zahllosen Kriegstoten.

So beginnt die neue Schau im Frankfurter MMK-Tower, der Filiale des Museums für Moderne Kunst (MMK) mitten im Bankenviertel. MMK-Chefin Susanne Pfeffer hat zusammen mit Kuratorin Julia Eichler aus einer riesigen Auswahl von 680 Namen lediglich elf jüngere Künstler und Künstlergruppen eingeladen. Sie umkreisen „sehr analytisch und reflektiert“, so Pfeffer, die zusehends komplexer werdende Welt. Im Zentrum stehen globale Themen, die uns alle angehen, wie Macht und Geld, Politik und Krieg, Rohstoffe und Natur.

Die Kunst der Täuschung und Transformation

Die französische Künstlerin Atiéna R. Kilfa zeigt einen älteren Mann, der Macht, Stärke und Würde ausstrahlt. Aber als die Videokamera um das Porträt herumfährt, entpuppt sich der Mann als flacher Pappaufsteller vor dem Schreibtisch. Wir dürfen nicht der ersten Wahrnehmung von Bildern vertrauen, meint Kilfa, oft sitzen wir Täuschungen oder Fälschungen auf – prüfen, prüfen, prüfen, lautet heute die wichtigste Devise.

Wieder anders arbeiten Elom 20ce, Musquiqui Chihying und Gregor Kasper, die aus Togo, Taiwan und Deutschland kommen. Die Künstlergruppe filmte einen der weltweit größten Elektronikschrottplätze in Accra, der Hauptstadt von Ghana. Die Arbeit dort ist sehr gefährlich wegen giftiger Dämpfe, die Menschen werden nicht alt. Mit der Axt werden die Geräte aufgebrochen, das Plastik verbrannt und das restliche Metall zu Niedrigpreisen nach China verkauft – wo die Produktion wieder beginnt. Aber die Künstler sehen nicht nur das Negative, sie produzieren aus den elektromagnetischen Wellen der Geräte auch sanfte Klänge als Zeichen für neu entstehende Energien.

Die Kunst hält uns den Spiegel vor

„Undermining the immediacy“ lautet der Titel der Schau, was man mit „Untergrabung der Unmittelbarkeit“ übersetzen kann. Der auch im Deutschen etwas sperrige Titel spielt darauf an, dass im Internet-Zeitalter die Erwartung besteht, dass alles immer sofort verfügbar ist. Aber dem ist oft nicht so, und wie Kilfa uns zeigt, sollte man erst mal gar nichts glauben.

Sogar der Boden in fernen Ländern ist heiß umkämpft. Die Norwegerin Eline Benjaminsen und der Kenianer Elias Kimaiyo erklären in ihrem Video, dass die Bauern in Afrika nicht über Landbesitz im westlichen juristischen Sinn verfügen. Sie müssen fast täglich um die Bodennutzung kämpfen, da sie von der kenianischen Umweltpolizei immer wieder vertrieben werden, wenn Geld vom CO₂-Ausgleich eingeht. Das Land soll eigentlich unangetastet bleiben, aber was wir gutgläubige Europäer mit den Spenden anrichten, ahnen nur die wenigsten.

Diese Kunst hält uns gnadenlos den Spiegel vor über unseren Umgang miteinander und mit der Natur. Die Zeiten, als sich der Freund von aktueller Kunst noch in manierlich gemalte Bilder vertiefen konnte, sind vorbei. Die Welt ist nicht besser geworden, aber die Jungen legen die Finger in offene Wunden.

Die Schau läuft bis 24. August, Info unter mmk.art.

Freier Autor Als freier Kulturjournalist im Großraum Frankfurt unterwegs; Schwerpunkte sind bildende Kunst und Architektur. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke