Das Wichtigste in Kürze
- Die Freiheit der Kunst steht unter Druck, sagt Carsten Brosda in Hamburg
- Kunst muss frei bleiben, auch bei politischem Druck und finanziellen Fragen
- Kultur ist kein Luxus, sondern essenziell für die Gesellschaft, betont Brosda
Die Freiheit der Kunst steht unter Druck, sagt Carsten Brosda am Rande der Jahrestagung des Deutschen Bühnenvereins, dessen Präsident der Hamburger Kultursenator ist. Im Gespräch wirbt er dafür, dass die Kunst frei bleiben muss, auch bei politischem Druck und finanziellen Fragen. Kultur sei kein Luxus, sondern essenziell für die Gesellschaft.
Herr Brosda, bei der Tagung des Deutschen Bühnenvereins diskutieren Sie über die Freiheit der Kunst. Ist das gerade, was Sie in der Theaterszene am meisten beschäftigt?
Carsten Brosda: Es ist ein wichtiges Thema, das uns derzeit beschäftigt, weil diese Freiheit der Kunst von mehreren Seiten bedroht ist. Wir erleben, dass die Bühnen und die Kultur insgesamt als Aushandlungsorte einer freien Gesellschaft unter Druck geraten. Hinzu kommt die Frage, wie es mit der Finanzierung und den Arbeitsbedingungen der Bühnen aussieht, was ebenfalls unmittelbare Auswirkungen auf die Freiheit hat. Wenn eine Bühne ständig damit beschäftigt ist, ihr eigenes Durchkommen zu sichern, weil sie nicht weiß, ob die staatliche Mitfinanzierung ausreichend ist, hat das Auswirkungen auf die Freiheit dessen, was man noch machen kann. Insofern ist das Beharren auf der Freiheit der Kunst eines, das in viele Richtungen wirkt und bei dem wir auch politisch in der Verbandsarbeit gefordert sind.
Finanzen beiseite: Wer übt diesen Druck aus?
Brosda: Das ist kein neues Phänomen. Gerade in kommunalen Kontexten geraten Bühnen immer wieder unter Druck – etwa durch rechte Kräfte, die Zuwendungen daran knüpfen wollen, dass die Bühnen zum Beispiel regionale Identität stärken oder nur noch bestimmte Stoffe spielen sollen. Manchmal wird auch ein falscher Zusammenhang konstruiert und behauptet, dass öffentlich geförderte Kultureinrichtungen neutral sein und darum zwanghaft verschiedene Positionen abbilden müssen. Da müssen wir gegenhalten: Wichtig bleibt, dass künstlerische Positionen frei sind und sich aus der Kunst heraus entwickeln können. Kunst muss erst einmal machen dürfen, damit wir uns dann gesellschaftlich mit dem auseinandersetzen können, was sie macht.
Carsten Brosda und Bühnenverein
- Carsten Brosda: Geboren 1974 in Gelsenkirchen, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Nach dem Studium der Journalistik und Politikwissenschaft an der Universität Dortmund, inklusive eines Volontariats bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, promovierte er über „Diskursiven Journalismus“. Beruflich war er zunächst als Pressereferent, Redakteur und später Redenschreiber für die SPD tätig, bevor er verschiedene Leitungsfunktionen im Bundesministerium für Arbeit und Soziales übernahm. Es folgten Positionen als Abteilungsleiter Kommunikation, Leitung des Amtes Medien in Hamburg und als Senator der Kulturbehörde. Seit 2020 ist er Präsident des Deutschen Bühnenvereins.
- Deutscher Bühnenverein: Als traditionsreicher und international bedeutender Verband vertritt der Deutsche Bühnenverein die Interessen von insgesamt 662 Theatern und Orchestern – von kleinen Bühnen bis hin zu den größten Häusern im ganzen Land, erstreckend von Süddeutschland bis zur Küste. Im Fokus seiner Tätigkeit steht das Bestreben, die Voraussetzungen für seine Mitglieder so zu verbessern, dass künstlerische Entfaltung auf höchstem Niveau möglich wird. In kulturpolitischen Fragen übernimmt der Bühnenverein eine zentrale Rolle, indem er sich als engagierte Stimme für die Anliegen und Bedürfnisse der deutschen Theater- und Orchesterlandschaft einsetzt. In der Kulturhauptstadt Chemnitz diskutierten die Mitglieder des Deutschen Bühnenvereins am Wochenende die aktuellen Themen des Theaters.
- Info: Bühnenverein
Die Theater sind ja erfahrungsgemäß eher links orientiert. Was wäre denn mit der Kunstfreiheit, wenn jetzt ein Regisseur käme, der eher konservative und eher rechte Ansichten hat? Hat der dann auch die Freiheit?
Brosda: Na klar! Ich glaube auch nicht, dass das kulturelle Spektrum so homogen ist, wie oft behauptet wird. Es gibt viele künstlerische Positionen, die wenig mit dem klassischen Rechts-Links-Spektrum zu tun haben. Am Ende ist alles zulässig, was sich im rechtlichen Rahmen bewegt. Die Frage ist, was die Gesellschaft aushalten will und wie sie mit dem, was auf den Bühnen präsentiert wird, umgeht. Es gibt eine Vielfalt von Positionen, auch über die Texte, die verhandelt werden. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Positionen ist wertvoll. Man sollte nicht zu schnell einengen, aber auch nicht alles einfach akzeptieren. Die spannende Frage ist, welche Diskussionen sich aus den Positionen auf den Bühnen ergeben.
Also für Sie wäre sozusagen die Grenze, oder wie es mal andere ausgedrückt haben, die Brandmauer: die Legalität?
Brosda: Rechtlich kann man halt erst eingreifen, wenn gegen rechtlich geregelte Dinge verstoßen wird. Die Frage, ob alles diesseits dieser Grenze sinnvoll ist oder nicht, ist eine Frage des gesellschaftlichen Diskurses. Es lohnt sich, diesen Diskurs zu führen und als Gesellschaft deutlich zu sagen, wenn etwas zwar rechtlich zulässig ist, wir es aber trotzdem falsch finden. Dazu muss eine Position aber überhaupt erst mal markiert sein, um sich mit ihr auseinanderzusetzen und sie zu verwerfen. Es tut uns gut, bereitwilliger in die offene Auseinandersetzung zu gehen.
Also so, wenn Jonathan Meese auf der Bühne den Hitlergruß zeigt, ist das für Sie noch von der Kunstfreiheit gedeckt, oder ist es dann schon jenseits?
Brosda: Das ist eine Frage für Gerichte, im konkreten Fall war es von der Kunstfreiheit gedeckt. Wenn im Theaterspiel Nazi-Positionen gezeigt werden, ist das zunächst eine gespielte Rolle, mit der wir uns auseinandersetzen, kein volksverhetzendes Statement. Theater macht so Dinge verhandelbar, die sonst nicht zulässig wären. Entscheidend ist, dass wir uns darüber austauschen und diskutieren – so beginnen Erkenntnisprozesse, die Kunst anstößt.
Für Sie ist die Jahrestagung auch Bestandsaufnahme und Kursbestimmung der Bühnen in Deutschland. Was macht Ihnen da am meisten Sorgen, jetzt abgesehen von der Kunstfreiheit?
Brosda: Am meisten beschäftigt mich, wie die Arbeitsfähigkeit der Bühnen und Orchester künftig gesichert werden kann. Die öffentliche Hand finanziert viel, doch die Haushalte stoßen an Grenzen. Wir müssen das Bewusstsein stärken, dass Kultur kein Luxus, sondern ein wesentlicher Teil der Gesellschaft ist. Außerdem geht es darum, Kulturinstitutionen so aufzustellen, dass sie auch unter veränderten Bedingungen flexibel und arbeitsfähig bleiben.
Politikwissenschaftler sagen ja da ganz nüchtern, Kultur sei keine Pflichtaufgabe.
Brosda: Das stimmt, Kultur fällt kommunal oft unter freiwillige Leistungen, weil ein rechtlicher Anspruch schwer zu definieren ist. Es gibt aber Wege, Planbarkeit zu schaffen: etwa durch Kulturentwicklungspläne, Kulturfördergesetze oder mehrjährige Vereinbarungen wie in Thüringen. Auch ein gemeinsames kulturelles Verständnis ist da wichtig. In Gelsenkirchen wurde in den 80ern jedes Jahr über die Theaterfinanzierung diskutiert – das Theater gibt es bis heute, weil man politisch entschieden hat: Das ist uns wichtig. Genau auf solche Entscheidungen kommt es immer wieder an.
Sie wollen ein Bekenntnis der Politik zur Kultur.
Brosda: Ja, aber nicht nur am Sonntag in der Matinee-Rede, sondern auch unter der Woche, wenn man in den Ausschüssen sitzt und in politisches Entscheidungshandeln übersetzt.
Sie sind selbst Politiker. Müssen die Theater bluten?
Brosda: Das ist genau die Problematik: Die Kommunen müssen oft ausbaden, was anderswo entschieden wird. Ich hätte es begrüßt, wenn die Kulturförderung zum Staatsziel erklärt worden wäre – dann könnte man die Auswirkungen politischer Entscheidungen besser abwägen. Statt immer nur Lücken zu schließen, sollte die Finanzverfassung so gestaltet sein, dass auf allen Ebenen auch genug Geld für Kultur da ist. Es geht nicht nur um Infrastruktur, sondern auch darum, Kultureinrichtungen, Bildung und soziale Infrastruktur so auszustatten, dass sie gesellschaftliche Wirksamkeit entfalten können.
Gehen wir mal weg von den Finanzen. Was fällt Ihnen an Themen und Formaten in deutschen Theatern auf, was missfällt Ihnen?
Brosda: Ich sehe viele Suchbewegungen in alle Richtungen. Nach Corona kommen die Zuschauer zurück, und es gibt große Bemühungen, neue Publikumsschichten zu erreichen – als Bühnenverein haben wir das mit einem Audience-Development-Projekt unterstützt. Dabei geht es nicht nur um Marketing, sondern auch darum, neue Stoffe, Formen und Personen auf die Bühne zu bringen. Neben avantgardistischen Formaten muss es auch Stücke geben, die einfach einen schönen Abend bieten. Den einen großen Trend sehe ich nicht, sondern viel Experimentierfreude – aber auch die ernsthafte Beschäftigung mit der Frage, was passiert, wenn Neues nicht ankommt.
Wir beobachten, dass immer mehr Theater für verschiedene Zielgruppen gemacht wird. Müsste das Theater nicht Formate finden, in denen verschiedene Bevölkerungsgruppen zusammenkommen?
Brosda: Sie beschreiben den Goldstandard: möglichst viele verschiedene Menschen im Haus zu erreichen. Besonders in Städten mit nur einem Theater ist das wichtig. Viele Häuser probieren zielgruppenspezifische Angebote aus, um neue Besucher anzusprechen, denn oft heißt es: „Das ist relevant, was die am Theater machen, aber ich bin nicht gemeint.“ Das muss man überwinden. Im nächsten Schritt sollte es darum gehen, die Vielfalt auch im Saal zusammenzubringen, damit unterschiedliche Positionen sich begegnen. Das Ziel bleibt, mehr Vielfalt im Publikum zu erreichen.
Theater bemühen sich um Demokratie, aber oft sitzen nur die Überzeugten im Publikum. Wie kann man andere erreichen?
Brosda: Die Frage ist, wie Theater für Demokratie und freie Gesellschaft wirbt. Theater kann uns daran erinnern, dass wir kreativ Realitäten schaffen können, die nicht sind, aber sein könnten. Das Spannende ist nicht, wenn jemand auf der Bühne predigt: Du sollst Demokratie leben – da kommen nur die Überzeugten. Aber wenn ein Abend die bunte Vielfalt von Leben zeigt und man sieht, was auch sein könnte, erreicht man andere. So entsteht eine Langfristwirkung, ein Bewusstsein, dass wir mehr können, als wir uns bisweilen zutrauen. Das ist die demokratierelevante Position: Lust machen, es anders zu versuchen, empathisch und freundlich miteinander umzugehen. So erreicht man auch Menschen, die vorher nicht gekommen wären. Jeder Abend ist ein neuer Versuch.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-kultursenator-carsten-brosda-die-freiheit-der-kunst-ist-bedroht-_arid,2309100.html