Interview - Liedermacher Konstantin Wecker spricht im Interview mit dem "MM" über sein neues Studioalbum

Konstantin Wecker zum neuen Album "Utopia": „Ich bin anarchischer als je zuvor“

Von 
Jörg-Peter Klotz
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© Sturm & Klang/ Thomas Karsten

Liedermacher Konstantin Wecker über sein neues Studioalbum „Utopia“, das Alter Kammermusik, Querdenker und Faschismus.

Herr Wecker, Ihr neues Album heißt „Utopia“. Was umfasst dieser große Begriff für Sie?

Konstantin Wecker: „Utopia“ ist ein Wort, das mich seit meiner Jugend begleitet. Ich habe mich als junger Mann viel mit Thomas Morus beschäftigt, der 1516 den Roman „Von der besten Verfassung des Staates und von der neuen Insel Utopia“ veröffentlicht hat. Und vor zwei Jahren habe ich Stefan Zweigs wunderbare Biografie „Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam“ gelesen, über den großen Humanisten, der mit Morus gut bekannt war. Beide stehen für eine undogmatische Offenheit, und ich war immer schon ein bekennender Anarcho. Weil ich als 17-Jähriger mit Begeisterung Henry Miller gelesen habe - und Sätze wie „Der wahre Künstler muss Anarchist sein.“ Ich fühle mich heute sogar anarchischer als je zuvor.

Anarchisch im Sinne von gegen das System oder den Staat sind auch viele Querdenker, QAnon-Sektierer oder die Trumpianer, die das Capitol gestürmt haben.

Wecker: Nein, die wollen keine Anarchie, sondern ein Führertum. Da können Sie sich sicher sein. Die Identitären haben ganz stolz schon vor einigen Monaten gesagt, dass es endlich wieder Demonstrationen gibt, die rechts offen sind. Das kommt für mich überhaupt nicht annähernd in die Tüte. Man kann schon in Wilhelm Reichs „Die Massenpsychologie des Faschismus“ lesen, dass der Faschismus nur durch das Bilden von Mythen eine Chance hat. Denn rational kann man ihn ganz leicht zerlegen. Jetzt hören wir wieder Leute, die rationale Argumente oder Fakten milde weglächeln und sagen: „Jaja, schon gut, Du weißt einfach noch nicht genug.“ Das ist eine große Gefahr.

Was verstehen Sie unter Anarchie?

Wecker: Anarchie ist ein Wort, das zwar seit 100 Jahren bekämpft wird, aber es ist eine so schöne Idee. Die Idee eines liebevollen, herrschaftsfreien Zusammenlebens von Menschen. Es gab auch anarchische Gesellschaftsformen bei indigenen und nomadischen Völkern oder in Matriarchaten. Es heißt vor allem: Es gibt keinen Führer. In patriarchalischen Gesellschaften werden wir seit Tausenden von Jahren von malignen Psychopathen beherrscht. In Herrschaft steckt ja das Wort Herr drin, es sind meistens Männer gewesen. Das Patriarchat hat die Erde fast vernichtet, und wir stehen kurz vor dem Ende vieler Tierarten. Wenn wir da nichts ändern, auch in Richtung einer wirklichen Gleichheit von Mann und Frau, wird die Menschheit zugrunde gehen.

Der Liedermacher

  • Der politische Liedermacher Konstantin Wecker wurde am 1. Juni 1947 in München geboren.
  • 1973 erschien das Debütalbum „Die sadopoetischen Gesänge des Konstantin Amadeus Wecker“. Mit der vierten Platte „Genug ist nicht genug“ gelang ihm 1977 der große Durchbruch.
  • Am 18. Juni erscheint das Studioalbum „Utopia“.
  • Am 21. Juni folgt das Buch „Poesie und Widerstand. Ein Plädoyer für Kunst und Kultur“ (Kösel Verlag, 176 Seiten, 14 Euro).
  • Mit dem Live-Programm „Utopia. Eine Konzertreise“ kommt er am 15. Dezember 2021 in den Mannheimer Rosengarten.

Im gleichnamigen Lied wehren Sie die üblichen Vorhaltungen ab, dass Utopien zu utopisch für diese Welt sind: „Nennt mich gerne einen Spinner, der nicht passt in unsre Zeit. Doch ihr lebt in einem Alptraum, mein Traum ist die Wirklichkeit.“ Woher nehmen Sie weiterhin diesen Optimismus?

Wecker: Wie schreibt Erich Fromm so schön: „Hoffen heißt auch, an etwas zu glauben, von dem man weiß, dass es zu Lebzeiten nicht verwirklicht werden kann.“ Und das hat sehr viel mit meiner Tätigkeit auf der Bühne zu tun. Ich habe 50 Jahre lang eigentlich jedes Jahr wenigstens 100 Konzerte gegeben. Auch in Zeiten, in denen es mir sehr schlecht ging. Und das erste Jahr, in dem ich statt 100 nur zehn Konzerte gegeben habe, war 2020. Und ich merke so deutlich wie mir dass Mutmachen meines Publikums, dem auch ich Mut machen kann mit meinen Liedern, fehlt. Und wie mir das auch immer Hoffnung gegeben hat. Denn wenn du manchmal das Gefühl hast - und das haben viele Leute - Mensch, vielleicht bin ich ja ganz allein mit meiner Meinung, und dann triffst du Hunderte, ja manchmal Tausende, die die gleiche Sehnsucht haben wie du, dann macht das Mut.

Die Entwicklung Ihrer jüngsten Studioplatten ist interessant: „Wut und Zärtlichkeit“ (2011) hat so starke, eingängige Songs, dass es fast wie ein Popalbum funktioniert. „Ohne warum“ (2015) wirkt wesentlich poetischer, „Utopia“ noch hochkultureller, auch durch das Kammerensemble und Text-Elemente wie dem Prolog aus „Faust“. Vergeistigen sie zusehends?

Wecker: Also, ich wollte ja mit „Utopia“ auf Tour gehen, als ich diese Lieder noch gar nicht hatte. Da hatte ich vor, Gedichte des Poeten Erich Mühsam und von Mascha Kaléko zu vertonen. Das werde ich auch machen. Aber ich hatte auch ein ganz anderes musikalisches Konzept im Kopf … und dann passierten mir diese Texte. Da war ganz klar, ein Großteil davon forderte eine kammermusikalische Umsetzung. Und ich vertone ja immer meine Texte, also ich habe nie vorher die Musik. Übrigens endet dieser Liederzyklus auf dem Album mit dem Lied „Utopia“, die drei weiteren Lieder gehören eigentlich nicht dazu.

Stimmt, die drei Bonussongs klingen wie aus einer anderen Zeit. Der Zyklus hat auch so etwas … altersweises, teilweise transzendentales.

Wecker: Nachdem ich die Texte geschrieben hatte, fiel mir auf, dass sie mir etwas Neues gezeigt haben. Weil sie sich auch ganz aufrichtig mit dem Alter beschäftigen. Zum Beispiel „Was uns am Leben hält“, das auch das einzige Lied ist, das sich dem Thema Liebe widmet. Das ist auch ganz anders als ein Liebeslied des jungen Wecker. Was ich notwendig und richtig finde - in einer Gesellschaft, in der man eigentlich kaum alt werden darf. Weil man immer fit und der Tollste sein muss, der mit retuschierten Fotos die meisten Likes bekommt. Es ist aber wichtig, sich mit dem Alter zu beschäftigen. Und ich bin sehr froh, dass es meine Gedichte mit mir tun.

Teilweise klingt der Zyklus auch wie eine Art neues Kunstliedgenre, vor allem „Das wird eine schöne Zeit“.

Wecker: Das Interessante dabei: Das ist das einzige Lied, das nicht neu ist. Zwei Wochen vor der Aufnahme, als uns schon klar war, wir machen das so kammermusikalisch wie möglich, - und das ist ja auch übrigens meine musikalische Herkunft -, da hat mir mein lieber Archivar eine Partitur in die Hand gedrückt, handgeschrieben. Und das war genau die kammermusikalische Einleitung zu der „Schönen Zeit“. Da das auch textlich so gut zu den jetzigen Liedern passt, wollte ich das allein schon mir zur Freude noch einmal aufnehmen.

Im Winter gehen Sie - hoffentlich - auf „Eine Konzertreise nach Utopia“ . Die Tour führt am 15. Dezember auch in den Mannheimer Rosengarten - dann womöglich mit Kammermusikensemble?

Wecker: Da ist noch viel unklar: Wie viel Publikum darf kommen? Wie wird die Situation sein? Wenn ich in einen vollen Saal kommen darf, kann ich mehr Musiker mitnehmen. Wenn ich in einem Saal für 2000 Leute vor 200 spielen muss, geht aus finanziellen Gründen nur ein Trio.

Am 21. Juni erscheint Ihr neues Buch „Poesie und Widerstand. Ein Plädoyer für Kunst und Kultur“. Wie wichtig ist es, immer wieder Stellung für die nicht systemrelevante Kultur zu beziehen?

Wecker: Ursprünglich war die Idee mit dem Arbeitstitel verbunden „Mein Leben ohne Bühne“. Ich wollte beschreiben, wie es einem Künstler ergeht, der normalerweise permanent unterwegs ist - und dann nicht mehr. Dann merkte ich, dass es immer politischer wird. Ich habe ja die ganze Zeit Streaming-Konzerte gemacht, die nach wie vor auf meiner Website abrufbar sind. Und ich habe auch immer wieder politische Texte gepostet. Mir geht es vor allem um die Frage: „Wie systemrelevant ist Kultur?“ Damals, am Anfang der Pandemie, ging es sogar noch. Ich habe erst seit dem Herbst das Gefühl, in Deutschland - und ich bin jetzt auch in Italien und Österreich gewesen - hat die Kultur Ähnlichkeit mit Fitnessclubs. Sie ist eine Freizeitbeschäftigung, auf die man auch verzichten kann.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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