Nationaltheater - Tanzintendant Stephan Thoss zur Silvester-Spezial-Premiere „Rising“ im Schauspielhaus des Nationaltheaters

Knaller: Tanzpremiere zu Silvester in Mannheim

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Ensemblearbeit bei den Proben (v. l.): Joris Bergmans, Leonardo Cheng, Emma Kate Tilson, Luis Tena Torres, Jessica Liu und Lorenzo Angelini. © Maximilian Borchardt

Mannheim. Wie bitte? Eine Premiere an Silvester? Eine Uraufführung gar? So dürfte es viele Mannheimer Theaterfreunde beim Blick auf den Spielplan gegangen sein. Während großformatige Jahresschlussunterhaltung am Nationaltheater meist der Opernsparte überlassen wird, liegt diesmal das Augenmerk auf der Tanzsparte. Zwar steht auch in diesem Jahr ab 19 Uhr eine „Festliche Operettengala“ auf dem NTM-Spielplan, in der Bariton und Bloomaul Joachim Goltz und Dirigent Wolfram Koloseus sicher manch musikalisches Feuerwerk zünden werden, aber eine echte Premiere?

Die kann nur die Tanzsparte von Intendant Stephan Thoss bieten: „Wir wollen die Energie, die der Jahreswechsel mit dem Blick nach vorne, der Freude, den guten Vorsätzen für das neue Jahr mitbringt für und mit Tanz nutzen.“ So ein Jahreswechsel ist eben immer auch Aufbruch, Anfang, Neubeginn, den die Dramaturgie mit dem englischen Wort „Rising“ auf den Punkt brachte - der Titel war gefunden.

Stephan Thoss – Intendant NTM Tanz

  • Stephan Thoss  wurde 1965 in Leipzig geboren und an der Palucca-Schule in Dresden ausgebildet. 1992 wurde er Hauschoreograph an der dortigen Semper-Oper.
  • Thoss war Ballettdirektor in Kiel (1998-2001), Hannover (2001 -2006)und Wiesbaden (2007-2014). Mit „Der Sommernachtstraum“ nach Shakespeares Komödie gab er 2016 seinen Einstand als Ballettintendant am Mannheimer Nationaltheater. Thoss wurde unter anderem mit dem Bayerischen Theaterpreis 1998 und dem „Faust“ 2007 des Deutschen Bühnenvereins ausgezeichnet.
  • Premiere von „Rising“, eine Uraufführung von sechs jungen Choreographinnen und Choreographen, ist am 31. Dezember, 20 Uhr, im Schauspielhaus. Weitere Vorstellungen sind am 2. Januar (17 Uhr), 15. und 30. Januar (19 Uhr) sowie am 5. Februar 2022 (jeweils 19 Uhr) zu sehen. Karten: 0621/16 80 150. 

Beim Countdown vorwärts zählen

Doch Tanzintendant Thoss wollte diesen Gedanken noch mit einer choreographischen Idee veredeln: „Dieses Energiepotenzial sehe ich am stärksten bei jungen Choreographinnen und Choreographen, die die Sehnsucht haben, aufzubrechen, neues zu wagen, in neue Sphären vorzustoßen.“ Thoss suchte also ganz bewusst junge Tanzschaffende, die mit ersten Auszeichnungen und Achtungserfolgen am Beginn ihrer choreographischen Karriere und somit an der Schwelle zu größerer Bekanntheit stehen. Sechs von ihnen werden an Silvester zeigen, was sie mit der Mannheimer Thoss-Compagnie erarbeitet haben.

Hoffnungsvolle Anfänger lassen sich, die NTM-Reihe „Choreographische Werkstatt“ belegt es, durchaus in den eigenen Reihen finden. Durch eine Panne während der digitalen Corona-Auflage des hauseigenen Formats war etwa die Solistin Emma Kate Tilson im Studio-Werkhaus zu kurz gekommen. Statt eines raffinierten Tanz-Kurzfilmes tanzt und choreographiert die junge Amerikanerin nun live das Eröffnungssolo in „Rising“. Der Spanier Luis Tena Torres, seit der letzten Spielzeit ebenfalls NTM-Ensemblemitglied, zeigt sein Stück „demons“, das er vom Werkstatt-Duo nun zum Trio umgearbeitet hat.

Stephan Thoss hatte nämlich eine weitere Idee für die „Silvester-Spezial-Premiere“: Gegen den Jahresschluss-Countdown zählt er hoch. Statt zehn, neun, acht ... laufen die Tanz-Uhren auf der Bühne des Schauspielhauses mit Blick auf 2022 anders. Sechs Kreationen entwickeln sich vom Solo Emma Kate Tilsons zum Duo, Trio, Quartett, Quintett - bis zum finalen großen Ensemblestück mit elf beteiligten Tänzerinnen und Tänzern.

Weitere aufstrebende, preisgekrönte junge Nachwuchschoreographinnen und Choreographen waren dank guter Kontakte schnell gefunden, etwa an seiner ehemaligen Wirkungsstätte, dem Staatstheater Hannover, wo ein rühriger Förderverein seit 1986 den renommierten Internationalen Choreographischen Wettbewerb ausschreibt und durchführt. Thoss, der vor Ort noch gut im Gespräch mit seinen Vorgängern und Nachfolgern sowie der „Ballett Gesellschaft Hannover“ ist, fand zügig interessante Kandidatinnen und Kandidaten.

„Mir war in diesen schwierigen Zeiten auch besonders wichtig, dass eben junge, freie Kunstschaffende zum Zuge kommen, die kein Festengagement schützt“, erläutert Stephan Thoss die Auftragsvergabe.

Sechs Teile - und fast eine Gala

Für das Duo „Line-up“ verpflichtete er den Italiener Roberto Tedesco, seine Landsfrau Sofia Nappi hat mit „Holelah“ das große Ensemblestück zum Finale übernommen. Beide wurden bereits, wie auch die Israelin Anat Oz, beim Choreographenwettbewerb in Hannover ausgezeichnet. Letztere tritt in Mannheim mit „The Introversion Coda“ zu Léon Minkus’ Musik des Grand Pas de Deux aus dem Ballett „Don Quixote“ für vier Tanzende an. „Ein augenzwinkernder Blick in die Ballettwelt ist hier inklusive“, verspricht Thoss schmunzelnd. Als „postapokalyptischen Cyberpunk“ bezeichnet Michael Ostenrath seine Choreographie „FSK2“. Der ehemalige Tänzer der William-Forsythe-Nachfolgetruppe Dresden-Frankfurt-Dance-Company zeige mit seinem Quintett „eine eher unkonventionelle Arbeit.“

„Und natürlich“, verspricht der Tanzintendant, versuche man „den Silvesterrahmen unter Corona-Bedingungen so festlich wie derzeit irgendmöglich“ zu machen, „ein bisschen Gala-Charakter zu zaubern.“

Als Tanzabend, der nach der Premiere in das Spielplan-Repertoire übernommen werde, funktioniere „Rising“ auch nach Silvester, versichert er. Jetzt muss die Uraufführung am Silvestertag für etwa gute 80 Minuten nur noch zünden wie ein ordentliches Feuerwerk. Mit Stephan Thoss sind wir zuversichtlich.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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