Sprachwissenschaftlerin Heidrun Kämper beobachtet Besonderheiten der politischen Sprache - und hat die Jahrestagung des Mannheimer Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache (IDS) zum Thema mitkonzipiert.

Kämper: „Die verbale Schärfe hat heute eine andere Dimension“

Von 
Thomas Groß
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Rauerer Ton, mehr Störungen, Provokationen: Mit dem Einzug der AfD-Fraktion in den Bundestag hat sich die Kommunikation im Plenum verändert (Archivbild vom 14.12.2018). © B.Jutrczenka/dpa

Mannheim. Sprachwissenschaftlerin Heidrun Kämper beobachtet Besonderheiten der politischen Sprache - und hat die Jahrestagung des Mannheimer Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache (IDS) zum Thema mitkonzipiert.

Frau Kämper, Sie haben die Jahrestagung des Leibniz- Instituts für Deutsche Sprache mitkonzipiert. Das Thema lautet „Sprache in Politik und Gesellschaft“. Welche Aspekte und Fragestellungen verbinden Sie damit?

Heidrun Kämper: Wir möchten ein besonderes Forschungsfeld der Sprachwissenschaft, die Politolinguistik, ins Licht rücken, das passt ja in die aktuelle politisierte Zeit. Wir wollen erfahren, wo wir heute stehen mit unseren Fragestellungen und Methoden. Außerdem haben wir interdisziplinär eingeladen: Die Politologin Andrea Römmele zählt beispielsweise zu den Referentinnen. Spezielle Fragestellungen beschäftigen sich mit politischer Partizipation, so am Beispiel von Stuttgart 21. Die direkte Demokratie in der Schweiz wird thematisiert - und die sprachlichen Besonderheiten, mit denen sie praktiziert wird. Nicht zuletzt geht es um neue Zugänge zum Forschungsfeld durch die großen elektronischen Textsammlungen und dabei etwa um die Frage, wie sich rechte Positionen sprachlich entwickeln und nachzuweisen sind.

Die politische Sprache ist eines Ihrer Hauptarbeitsgebiete, was fällt Ihnen da derzeit besonders auf?

Kämper: Nun, da ist vor allem die Radikalisierung zu nennen, die im Zuge der Beteiligung der AfD an der politischen Auseinandersetzung festzustellen ist. In den Parlamenten ist eine Radikalisierung der politischen Sprache zu registrieren, ich denke an Störmanöver, Beleidigungen und die Missachtung von kommunikativen demokratischen Prinzipien. Im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen kommt das Thema Menschen- und Grundrechte wieder mehr ins Bewusstsein und wird artikuliert, zusammen mit der Frage, welche Aufgabe eigentlich das demokratische Parlament hat. Was zuvor eher selbstverständlich war, bekommt nun einen anderen Stellenwert.

Was die schärfere Auseinandersetzung angeht: Könnte man nicht auch sagen, dass man jetzt wieder an einem Punkt ist, der in früheren parlamentarischen Phasen, als Persönlichkeiten wie Herbert Wehner und Franz-Josef Strauß zu den prägenden Rednern gehörten, schon einmal ausgeprägt war?

Kämper: Ich stehe eher auf dem Standpunkt, dass die Schärfe heute eine andere Dimension hat. Es kann unter die Überschrift „Stören und demokratische Prinzipien missachten, wo immer es geht“ gefasst werden. Das gehört zum Programm der AfD. Wehner und Strauß haben impulsiv aus dem Moment heraus agiert und gesprochen; heute haben wir es mit kalkulierter und programmatisch fixierter Strategie zu tun. Dies als ein Provozieren zu fassen, ist eher eine Verharmlosung. Ich nenne als Beispiel, dass sich die AfD-Fraktion im Bundestag am 27. Januar 2018 geschlossen nicht erhoben hat, als die Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch die Gedenkrede zum Holocaust-Gedenktag hielt. Das wirft ja ein Licht auf ihr Verhältnis zur Vergangenheit und zur deutschen Geschichtspolitik.

Sie sind Sprachwissenschaftlerin, aber auch Mitglied der SPD, für die Sie im Mannheimer Gemeinderat sitzen. Könnte das den objektiven Blick womöglich beeinträchtigen?

Kämper: Ich bin viele Jahrzehnte im wissenschaftlichen Geschäft und beanspruche schon deshalb für mich wissenschaftliche Neutralität. Was ich beschreibe, ist faktengestützt, so ist es auch aus meiner Studie zum Verhalten der AfD im Stuttgarter Landtag ersichtlich. Ich kann jede Aussage belegen. Zudem weiß ich mich in guter Gesellschaft mit Fachkollegen, die eher anderen Parteien nahestehen. Wir sind uns über das Gesagte einig. Entsprechend entstehen in Parlamenten in dieser Frage Koalitionen, die von den Linken bis zur FDP reichen. Es geht nicht nur um politische Meinungen oder Einstellungen, wir sehen, dass von der AfD demokratische Prinzipien infrage gestellt werden.

Spiegelt diese Besonderheit parlamentarischer Auseinandersetzung insgesamt gesellschaftliche Phänomene wider? In sozialen Medien fallen Auseinandersetzungen ja durchaus auch schärfer aus …

Kämper: Man kann sicher sagen, dass wir in einer Zeit leben, da sprachliche Barrieren eher tief anzusetzen sind. Das hat natürlich mit sozialen Medien zu tun, in denen man sich sozusagen austobt. In den Parlamenten steht aber eher die Reflexion über Demokratie im Vordergrund. Und die AfD ist sprachlich definitiv hemmungsloser als andere Parteien.

Noch zu den sozialen Medien: Wenn sich Nutzerinnen und Nutzer sprachlich weniger zurückhaltend zeigen, folgt das dann eher dem individuellen oder allgemeinen Bedürfnis, oder wird es auch durch die Form dieses Mediums begünstigt? Immerhin verschwimmen hier ja auch die Grenzen zwischen privat und öffentlich, ohne dass es allen bewusst wäre.

Kämper: Es ist ein Wechselspiel, beide Faktoren spielen eine Rolle und ja, sie verstärken sich dann gegenseitig. Wer sich ungehemmt äußert und dafür Bestätigung findet, äußert sich später eben erst recht so. So entsteht eine regelrechte Spirale der Radikalisierung.

Die Corona-Pandemie und ihren Einfluss haben Sie schon erwähnt. Wenn man auf den Umgang miteinander blickt, auf die gute Tradition, sich ausreden zu lassen, Argumenten zu vertrauen, bringt dann auch die Pandemie eine Verschärfung im Ton mit sich?

Kämper: Ja. Die Pandemie hat uns in einigen Bereichen der Gesellschaft auf bekannte Phänomene verwiesen, die nun besonders zum Ausdruck kommen. Die Einschränkungen der grundgesetzlichen Freiheiten sowie der Umstand, dass die Verordnungen am Parlament vorbei in Kraft gesetzt wurden, sind eben auch ein schwieriges Feld. Allerdings war das eine Antwort auf eine krisenhafte Konfliktsituation. Man musste sich entscheiden, ob es wichtiger ist, Menschen vor einer erheblichen gesundheitlichen Gefährdung, ja Todesgefahr zu schützen oder Grundrechte an die erste Stelle zu setzen.

Sprachliche Umbrüche als Folge und Spiegel politisch-sozialer Veränderungen haben Sie in ihrer wissenschaftlichen Karriere vor allem untersucht. Könnte, mit etwas Abstand betrachtet, auch die Corona-Pandemie einen entsprechenden Umbruch markieren - und falls ja, mit welchen Folgen?

Kämper: Nun, die von mir untersuchten Zäsuren waren grundsätzlicher Art: Nach dem Ersten Weltkrieg mussten echte demokratische Strukturen erst einmal aufgebaut werden, nach 1945 galt es, sie wiederzugewinnen. Wobei ich die Corona-Thematik nicht kleinreden möchte. Sie hat aber eine funktionierende Demokratie zur Voraussetzung. Innerhalb derselben werden natürlich Dinge infrage gestellt. Wenn nun die akute Bedrohung ganz allmählich zu Ende geht, werden ja sukzessive auch die demokratischen Einschränkungen zurückgenommen.

Sie präsentieren auf der Tagung das letzte Projekt, das Sie am IDS betreut haben. Worum geht es?

Kämper: Das Thema ist die sprachliche Sozialgeschichte in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft von 1933 bis 1945. Dabei geht es nicht um die Sprache der politischen Akteure wie Hitler oder Goebbels, die schon gut untersucht ist. Im Fokus stehen diejenigen, die keine Funktionsträger, aber den Nationalsozialisten zugeneigt waren - oder die, die der Partei ablehnend gegenüber standen, aber nicht in den Widerstand gingen. Oder diejenigen, die zu den Ausgeschlossenen zählten, wie die Juden. Meine Kollegin Britt Marie Schuster aus Paderborn beschäftigt sich explizit mit der Sprache des Widerstands.

Sie gehen bald in Ruhestand. Welche Bilanz Ihrer Arbeit und deren Wirkung würden Sie ziehen?

Kämper: Ich gehe mit der Gewissheit, dass ich hier ausgezeichnete Bedingungen hatte, das, was ich wichtig fand, zu erforschen. Ich habe immer Unterstützung erfahren. Mein Anliegen war es, das Erforschte der Gesellschaft gleichsam zurückzugeben. Es sollte um Wissenschaft gehen, welche die Gesellschaft interessant findet und auch versteht. Das konnte ich mit den erwähnten Projekten realisieren, denke ich.

Noch einmal zur Tagung: Welche Erwartungen haben Sie daran?

Kämper: Ich hoffe, dass wir ein gründliches Bild unseres Themas bekommen, auch der Forschungsmethoden. Sprachwissenschaft soll hier zeigen, dass sie etwas zu sagen hat und in der Gesellschaft eine Rolle spielt. In diesem Zusammenhang möchte ich noch die Podiumsdiskussion am späten Dienstagnachmittag mit dem Titel „Sprache und Gewalt“ erwähnen, an der auch die Politikerin Renate Künast sowie der Mannheimer Schauspielintendant Christian Holtzhauer sich beteiligen werden. Auch sie soll zeigen, wie Wissenschaft in die Gesellschaft hineinreicht. Es entspricht ja ebenfalls unserer politisierten Zeit, dem Verhältnis von Sprache und Gewalt genauer nachzugehen. Über eine Tagungsanmeldung (ids-mannheim.de/org/tagungen/anmeldung.html, d. Red.) kann jeder und jede, der und die Interesse hat, teilnehmen.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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