Mannheim. Unbestritten ist Thomas Freitag einer der größten deutschen Kabarettisten. Kein Wunder, dass die Klapsmühl’ am Rathaus am Freitagabend (wann sonst?) wieder einmal ausverkauft ist. Obwohl er das stark autobiografisch geprägte Programm „Hinter uns die Zukunft“ hier schon gespielt hat. Am Ende der zwei Stunden kategorisiert sich der 73-Jährige selbst als „Scharnier zwischen Dieter Hildebrandt und den Jungen heute“. Auch in dieser Generation ist der gebürtige Mittelhesse einer der letzten, der nach über 50 Jahren noch auf der Bühne steht. Und das in Mannheim ohne jeden größeren Aussetzer, hellsichtig, stark in der Analyse und so präzise sprachmächtig, wie man es heutzutage nur noch selten zu hören bekommt.
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Im Mittelpunkt steht wieder Freitags 2020 erschienenes Buch „Hinter uns die Zukunft. Mehr als eine Autobiografie“ (Westend Verlag, 256 Seiten, 24 Euro). Aber der Abend ist keine Lesung. Freitag spricht frei, interpretiert seine Texte phasenweise brillant, baut kleine Nummern und Retrospektiven aus seiner langen Karriere ein – und singt (meistens) beeindruckend. Er wirft so auch gesellschaftspolitisch einen Blick zurück, der Gegenwart und Zukunft neu ausleuchtet.
"Und Höcke sitzt schon im Wartesaal"
Das Persönliche ist dabei der Ausgangspunkt: Freitag berichtet mitreißend, wie er im Schwäbischen als Teenager mit Opernparodien seine ersten Schritte auf der Bühne macht – als „Barbier von Backnang“, den es bald nach Berlin zu Dieter Hallervordens Wühlmäuse-Theater führt. Seine Hochzeit als auch im Fernsehen enorm präsenter Kabarett-Star mit großartigen Parodien von Strauß, Kohl und Co. streift er nur. Der mit allen kleinkünstlerischen Mitteln inszenierte autobiografische Teil endet nachdenklich: Mit der Selbstdiagnose einer „postparodistischen Belastungsstörung“ und der Frage: „Was hast Du denn erreicht mit Deinem Kabarett? Strauß verhindert, der gegen Trump ein Waisenknabe war? Und Höcke sitzt schon im Wartesaal.“
Die Wiederholungstäter im Publikum haben das allerdings schon gesehen in der Klapsmühl’. Vielleicht noch nicht ganz so perfekt, denn 2021 stand der Hauptdarsteller nach einer Knie-Operation unter Schmerzmitteln. Nach einer halben Stunde fragt man sich aber n schon etwas unruhig: „Die halbe Welt brennt, die Demokratie entgleitet – und Thomas Freitag reiht altbewährtes Material aneinander?“ Das ist natürlich nicht der Fall. Es gibt eine fast lakonische Abhandlung zur drohenden Klimakatastrophe mit einer Parabel zum CO2-neutralen Ameisenstaat und der Pointe: „Was habt ihr vor zehn Jahren im Urlaub beim Tauchen gesehen? Korallen. Was sehr ihr in zehn Jahren beim Tauchen im Urlaub? Amsterdam.“
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Mit Schopenhauers Hilfe über Israel und Gaza
Dann folgt ein kurzer, deshalb umso pointierter wirkender Rundumschlag zur Weltlage. Zunächst charakterisiert Freitag die Ampel-Regierung – „als ob Hase, Igel und Chamäleon sich zusammen getan hätten“. Sein Ton ist dabei wohltuend unaufgeregt. Die Polemik vieler Kabarettschaffender oft weit unter der Gürtellinie ist für ihn eher Teil des Problems und völlig unpolitisch: „Dabei lacht sich nur die AfD ins Fäustchen. Bundeskanzler Olaf Scholz’ Politik der sehr ruhigen Hand, habe ihm eine Weile sogar gefallen. Aber dem Mann beim Reden zuzuhören, sei so spannend wie Wasser beim Kochen zuzugucken. „Wobei: Da blubbert es am Ende wenigstens. Aber wer soll es denn machen?“ Den „verbrecherischen Überfall der Hamas auf Israel“ verknüpft er gekonnt mit dem roten Faden seines Programms aus dem Zitatenschatz Schopenhauers: „Der Mensch ist das einzige Raubtier, das anderen Lebewesen bewusst Schmerzen zufügt.“ Brillant. Das würde man gern noch einmal als abendfüllendes Programm sehen.
Info
 Am Sonntag, 5. November, 19.30 Uhr, ist Thomas Freitag in der Kulturbühne Max in Hemsbach zu sehen. Karten bei reservix.de (24 Euro plus Gebühren)
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