Mannheim. Herr Oerding, am Donnerstag spielen Sie in Mannheim. Wird sich Ihr Programm wie bei der April-Tournee auf Ihr aktuelles Album „Plan A“ fokussieren? Oder gibt es eher ein Festivalprogramm mit Hits und Fanfavoriten?
Johannes Oerding: Erfahrungsgemäß bauen wir für die Open Airs ein ganz besonderes Set. Das heißt: Von allen sieben Alben werden Songs gespielt. Natürlich gibt es etablierte Live-Klassiker und -Hits, die die Leute gern hören und die wir gern spielen. Wir verwenden also nicht alle Songs vom neuen Album. Ich werde mir auch ein paar Kleinigkeiten überlegen, etwa dass wir so eine Art Nostalgie-Medley machen, bei dem wir Songs anspielen und im neuen Kleidchen vortragen.
In die extrem negative Stimmung im Land schicken Sie ein extrem positives Lied wie „Dafür Dafür“. Ist das heutzutage schon politisch – und auch so gemeint?
Oerding: Das ist jetzt kein klassischer politischer Song. Er ist auch nicht als Gesellschaftskritik gemeint, sondern eher eine Kritik an mir selbst (lacht), an meiner Ambivalenz. Weil ich oft so hin und hergerissen bin: Bin ich dafür oder dagegen? Aber klar: Ich sehe es schon ein Stück weit als meine Aufgabe, mich umzuhören und zu schauen, was um mich herum passiert. Da fällt zum Beispiel auf, dass wir alle schon immer gut darin sind, alles zu bemängeln und zu bemeckern. Im Moment mehr denn je. Aber wir nehmen nicht wirklich Dinge in die Hand und handeln. Davon sind wir weit weg. Das sehe ich an mir, aber auch an der ganzen deutschen Gesellschaft.
Teile der deutschen Gesellschaft diskutieren gerade viel über Missbrauchsvorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann. Viele sagen, es sei ein strukturelles Problem in der Musikbranche. Wie gehen Sie selbst mit dem Machtgefälle zwischen Star und Fans um?
Oerding: Fakt ist, das struktureller Machtmissbrauch in vielen Branchen, auch in unserer, noch viel zu häufig passiert. Ich halte es für extrem wichtig, dass wir über dieses Thema sprechen und solche Fälle aufarbeiten und uns dafür sensibilisieren. Natürlich sind Interaktion und der Austausch mit den Menschen vor der Bühne und den Fans in den sozialen Medien für mich wichtig, aber auch hier gibt es Grenzen. Bei mir gibt es keine organisierten Backstage-Partys mit Fans.
Auf „Plan A“ findet sich mit „Eins-zu-Eins-Gespräch“ ein sehr intimes Zwiegespräch mit Ihrem Vater. Das ist eher ein Gedicht als ein Song. Wie funktioniert das live?
Oerding: Eigentlich wollte ich den Song nicht live spielen. Aber seit seiner Veröffentlichung bekomme ich zu keinem anderen Song mehr Feedback: Dass er auffällig viele Leute abholt oder berührt. Deshalb dachte ich, ich setze mich einfach ans Klavier und lese diesen Text vor. Ich glaube, dass das einer der Highlight-Momente der Tour war. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, und ich habe in viele berührte Gesichter gesehen. Insofern hat der Song sich seinen Weg gesucht und sich gegen mich durchgesetzt. Ich habe auch gemerkt, dass das auch gar nicht mehr mein Song ist. Er gehört den vielen Leuten da draußen. Dann bin ich immer ein Freund davon, solche Lieder auch zu spielen.
Was sagt Ihr Vater dazu?
Oerding: Ich habe vor der Veröffentlichung zunächst dafür gesorgt, dass mein Vater den Song hört. Er hätte sagen können: „Lass’ den auf den Konzerten bitte weg.“ Wenn man so privat über eine dritte Person schreibt, dann muss die davon vorher wissen. Es sei denn, man mag sie nicht. Ich habe meine Mutter gebeten, ihm den Song in einem ruhigen Moment vorzuspielen. Und sie hat mir rückgemeldet, dass er schon nach den ersten Sätzen sehr bewegt war und sich freut, wenn er so veröffentlicht wird und live stattfindet.
Ich bin immer schwer beeindruckt, wenn Sie live singen. Der Sound Ihrer Alben machte mich zuletzt weniger glücklich – es ist mir teilweise zu glatt und zu nah am Deutschpop-Klischee. Warum fällt das bei vielen Künstlern so auseinander? Bei der Special Edition von „Plan A“ unterstreichen es die Bonus-Live-Versionen noch mal deutlich.
Oerding: Ich sehe das natürlich nicht so. Wenn die Platte so klingt wie sie klingt, dann ist das so, weil ich das so will. Ich will auch, dass sie produziert klingt, weil es ein Studioalbum ist. Wenn ich vorhabe, ein analoges Album aufzunehmen, dass nach Band oder live oder Organik klingen soll, dann mache ich das. Aber in dem Fall nehme ich mir die aktuellen Produktionsmöglichkeiten vor – und da habe ich viel mit elektronischen Sachen gearbeitet, um das für mich auszuprobieren. Und am Ende war ich total zufrieden und glücklich damit. Nach wie vor mag ich die Diskrepanz, dass die Leute sagen: „Hey, das klingt live noch einmal anders.“ Da ist noch einmal eine andere Ebene dabei, und ich glaube, so soll es eigentlich auch sein. Nur umgekehrt wäre es schlecht. Wenn Du eine geile Platte hast und live versagst. Aber ich mache nun einmal deutschsprachige Popmusik. Ich komponiere, wie ich komponiere, und bin total happy damit.
Warum dann überhaupt der Unterschied zum Live-Sound?
Oerding: Ich freue mich auch immer darauf, mit der Band live die Sachen zu erarbeiten. Und dann noch mehr ins Detail zu gehen. Denn wenn ich eine Platte mache, ist die Band auch oft nicht dabei. Mal mache ich was mit dem Bassisten, oder einer soll man kurz drübertrommeln. Ansonsten spiele ich ganz viel selber. Ich freue mich dann richtig, wenn es an die Proben geht für die Live-Tour, wenn wir dann gemeinsam die speziellen Versionen erarbeiten, die dann so klingen, wie sie live klingen. Live ist es luftiger, aber eben auch eckiger und kantiger. Das ist genau das, was ich mir dann wünsche. Meine ersten Platten hatten vielleicht noch ein bisschen mehr Singer-Songwriter-tum mit ein bisschen Soul. Jetzt hätte ich tatsächlich Lust, mal so eine richtig geile Unplugged-Platte zu machen. Wie „MTV Unplugged“. Und vielleicht mache ich auch noch einmal eine Soul-Platte. Ich mache eben so viel so gerne.
Zur Person und zum Konzert
- Johannes Oerding wurde am 26. Dezember 1981 in Münster geboren und wuchs am Niederrhein auf.
- Bekannt wurde der Sänger und Songwriter 2009 als Live-Attraktion im Vorprogramm von Simply Red und Ich + Ich. Im selben Jahr erschien sein Debütalbum „Erste Wahl“. Zuletzt folgte seine siebte Studioplatte „Plan A“, das zweite Nummer-eins-Album in Folge.
- Der Wahl-Hamburger spielt am Donnerstag, 22. Juni, beim Zeltfestival Rhein-Neckar auf dem Mannheimer Maimarktgelände. Das Vorprogramm mit Deutschpopsänger Philipp Dittberner beginnt um 19.30 Uhr. Abendkasse: 65 Euro.
- Alle Infos: https://www.zeltfestivalrheinneckar.de
Eine gewisse Uniformität im Deutschpop-Sound war ja zwischenzeitlich unüberhörbar. Ist das der Grund, warum die Dominanz im Radio abgeklungen ist?
Oerding: Das ist kein neues Phänomen. Genres haben immer ihre Phasenbewegungen. Aber ja, ich glaube auch, dass es eine Übersättigung gab – an dem Sound, den Themen, die besungen wurden. Ehrlich gesagt, sind die Sender aber auch selbst schuld. So ein Song wie „Eins-zu-Eins-Gespräch“ würde im Radio nie gespielt. Warum denn nicht? Das Radio meckert, dass alles so gleich klingt. Da kann ich nur sagen: „Ihr beschneidet die Songs! Ihr selbst seid es doch, die zum Beispiel nur Stücke spielen, die unter drei Minuten lang sind!“ Jetzt rege ich mich ein bisschen auf (lacht). Oder bei den Themen: Dann hast du mal was Politisches, schon heißt es: „Nein, da müssen die Zuhörer zu viel nachdenken. Oder: Das ist zu traurig.“ Also das ist eine Frechheit! Wann hat man mal eine geile deutschsprachige Ballade gehört im Radio in den letzten zehn Jahren? Ich habe ziemlich viele auf meinen Alben, aber die werden nicht gespielt, weil sie immer fluffigen Pop haben wollen. „Ich bin bald zurück“ oder „Weiße Tauben“ wurden eben nicht gespielt. Es ist ähnlich schwer, zum Beispiel bei Spotify in die Playlists zu kommen. Traurig.
Sie haben bisher dreimal das in Mannheim produzierte „Sing meinen Song“ moderiert. Geht das Engagement weiter?
Oerding: Ehrlich gesagt, habe ich mich richtig daran gewöhnt. Es ist die schönste Zeit im Jahr. Also, wenn mich die Mannheimer wieder fragen: Ich würde „Sing meinen Song“ jederzeit wieder machen. Gefühlt, ist es für mich kein Aufwand mehr. Ich weiß, ich lerne neue Menschen kennen und kann mich weiter vernetzen. Ich werde inspiriert, muss mich selber hinsetzen und kreativ werden – das macht einfach Spaß! Weil es auch eine Herausforderung darstellt. Die Frage ist nur: Wann ist meine Geschichte da auserzählt? Muss da mal jemand Anderes ran?
Die Arbeit in Mannheim mit Arrangeur Mathias Grosch und seiner Band verliert wahrscheinlich auch nicht an Reiz, oder? Immerhin sind Sie insgesamt viermal dabei gewesen und Rekordhalter.
Oerding: Ja, ich bin Rekordhalter! Da haben sich auch Freundschaften aufgebaut. Wobei ich die meisten Bandmitglieder schon vorher kannte. Man läuft sich in der Szene ja irgendwann mal über den Weg. Gerade mit Mathias ist die Zusammenarbeit eng: Er weiß, wie ich denke. Was ich mag, und was ich nicht mag. Meistens mache ich zu Hause schon etwas fertig, habe zum Beispiel die Gitarre aufgenommen und eine Vorstellung dabei. Dann macht es Mathias noch mal schick, damit es schön aufgeräumt ist für die Band, mit der wir die Version zu Ende erarbeiten. Da ist auch jeder herzlich eingeladen, noch etwas einzubringen. Das liebe ich an der Sendung und auch an der Vorbereitung.
Man plaudert bei der Aufzeichnung in südafrikanischer Urlaubsatmosphäre manchmal private Dinge aus. Xavier Naidoo hat zum Beispiel erst bei „Sing meinen Song“ öffentlich gemacht, dass er einen Sohn hat. Vergisst man da wirklich das Millionenpublikum?
Oerding: Ich halte generell mein Privatleben – so gut es geht – raus aus der Öffentlichkeit. Aber man vergisst tatsächlich die Kameras, spätestens nach der ersten Folge. Meist drehen wir zwei am Tag. Denn bis auf die Steadycam, die jemand auf der Schulter vor der Bühne hat, sieht man die Kameras auch nicht. Die sind irgendwo im Busch, wie im „Dschungelcamp“. Man ist einfach ins Gespräch vertieft oder mit sich und seinem nächsten Auftritt beschäftigt, vielleicht auch aufgeregt. Da achtest du nicht darauf: Wie sehe ich aus? Wie gucke ich gerade? Das ist das Schöne an der Sendung. Denn bei 16 Kameras ist es eh egal. Wenn jemand will, dass er dich genau dann einfängt, wenn du doof aussiehst, dann macht er das. Aber in der Show wird ja keiner vorgeführt.
Man nimmt den Teilnehmenden ja wirklich ab, dass die oft sehr schönen Neuinterpretation der eigenen Songs zu Tränen rühren. Aber geht es Ihnen nicht selber so, wenn Sie die Shows hinterher sehen – es wird schon sehr, sehr viel geweint, oder?
Oerding: Vor Ort merkt man das gar nicht so. Die Momente verteilen sich über viele Tage. Und wenn mal einer weint, dann gibt es die nächsten drei Songs vielleicht keine Ergriffenheit. In der Sendung ist es natürlich manchmal geballt zusammengeschnitten. Da kann ich mir schon vorstellen, dass es der eine oder die andere inflationär findet. Mir war das auch zu viel, als ich noch nicht dabei war. Nach dem Motto: Schon wieder eine Gruppenumarmung. Aber ich habe meine Meinung geändert: Vor Ort gibt es so ein Momentum, da hilft es, sich in den Arm zu nehmen – etwa, um beeindruckte Stille zu unterbrechen. Oder den Tränenfluss. So kommt es zu dieser Harmonie, die ich an der Sendung sehr mag: Alle wollen es allen möglichst leicht machen, damit es gut wird. Ich selbst bin eigentlich nicht nah am Wasser gebaut. Aber mit jedem Jahr, das ich älter werde, wird es mehr (lacht). Bei der Folge mit meinen eigenen Liedern ist es ja nicht nur die Tatsache, dass jemand Deinen Song liebevoll neu singt. Da zieht ja auch ein Teil deines Lebens an dir vorbei. Es kommen Bilder hoch aus der Zeit, als du ihn geschrieben hast. Dann bist du voll in diesem Film drin und es ist vielleicht ewig lange her. Was dir so bewusst wird – und das berührt mich dann einfach.
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